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FORSCHUNG/387: Die Wüste grünt (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 4/2011

Sahara
Die Wüste grünt

Text Tim Schröder


Der Süden Europas wird mit dem Klimawandel sehr wahrscheinlich deutlich trockener. Doch ausgerechnet in der Sahara könnten sich bei einer mäßigen Erderwärmung Pflanzen ausbreiten - so wie es auch in der Vergangenheit ab und an geschah. Martin Claußen, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie, simuliert das Wechselspiel von Klima und Vegetation. Dem Norden Afrikas prognostiziert er auf diese Weise eine grünere Zukunft.


Ladislaus Almásy hätte Wichtigeres zu tun gehabt, als sich für Steine zu interessieren. Er war Geheimagent der deutschen Wehrmacht und schleuste deutsche Spione nach Ägypten ein. Er kannte die Pfade durch die lebensfeindlichen Geröll- und Sandfelder der südlichen Sahara wie kaum ein anderer Europäer. Mit dem Kriegs- und Liebesroman Der englische Patient hat man ihm ein literarisches, romantisierendes Denkmal gesetzt. Doch im Grunde ist Almásys militärisches Wirken eher zweitrangig. Aus heutiger Sicht sind die Steine, mit denen sich Almásy damals beschäftigte, wesentlich interessanter: die Felsen der Hochebene des Gilf el-Kebir, staubige Höhlen im südwestlichen Zipfel Ägyptens voller prähistorischer Wandmalereien.

Beduinen hatten Almásy in den 1930er-Jahren zu den verborgenen Zeichnungen geführt. Der machte die Werke in der westlichen Welt bekannt. Sie zeigen Nashörner, Flusspferde, Ackerbauern, Menschen der Jungsteinzeit, an der Schwelle vom Jäger und Sammler zum sesshaften Kleinbauern. Almásy dämmerte, dass die Südsahara nicht immer so trocken und lebensfeindlich gewesen sein kann. Es muss Zeiten gegeben haben, da sich dort, wo sich heute Staub und Steine breitmachen, Getreide und Steppengras im Wind wiegten.

In den 1930er-Jahren lachte man über Almásy und seine verrückte Idee von der grünen Sahara. Doch der Abenteurer und Selfmade-Entdecker behielt recht. Heute weiß man, dass die Sahara mehrfach ergrünte und wieder verdorrte. Die letzte feuchte Periode begann in Westafrika vor rund 16.000 Jahren, in Ostafrika vor rund 10.000 Jahren. Vor etwa 5500 Jahren wurde die Region dann wieder trockener.

In den letzten Jahrzehnten haben Archäologen viele Hinweise auf die vergangenen Zivilisationen im ehemals grünen Wüstenland gefunden - Steingutscherben, Pollen, Samen. War es trocken, zog es die Menschen in die fruchtbaren Niederungen des Nils. War es feucht, wanderten sie in die weiten Ebenen im Süden, weg aus der Nilregion, die dann morastig und unbewohnbar war. Seit gut zehn Jahren versuchen Forscher, diesen steten Wechsel von feucht und trocken zu verstehen. Nicht mehr nur anhand von Höhlenmalereien oder Pollen, sondern vor allem mit geballter Computerkraft. Es sind Klimaforscher, die mit Modellrechnungen und Simulationen in die Vergangenheit blicken - auch um das zukünftige Schicksal der Wüste voraussagen zu können.

Die Computeranlagen, die man dafür braucht, sind groß. Eine davon steht in Hamburg: der Großrechner des Deutschen Klimarechenzentrums, ein Ensemble aus mehreren Dutzend mannshoher grauer Kästen, die sich in einem turnhallengroßen Raum drängen. Millionen von Rechenoperationen laufen darin gleichzeitig ab. Martin Claußen nutzt das elektronische Superhirn regelmäßig. Der Professor für Meteorologie und seine Mitarbeiter vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie füttern es mit Sahara- und Klimadaten.


VEGETATION UND KLIMA IM WECHSELSPIEL

Für Claußen ist die Klimasimulation so etwas wie ein Spiel, und mit dem Klimarechner darf sich der Forscher eines der weltgrößten Rechenspielzeuge bedienen. Mitunter treibt er die Simulation auf die Spitze. Dann lässt er es über Afrika regnen wie seit Jahren nicht, oder er schaltet die Verdunstung ganzer Kontinente aus. Willkürlich aber ist sein Klimaspiel nicht. Claußen will die großen Zusammenhänge verstehen - denn das Klima ist hoffnungslos komplex. Man verliert sich schnell in Details, zwischen Meer- und Luftströmungen, dem Reflexionsvermögen feuchter Böden, absinkenden Luftmassen und der Farbe der Ackerkrume - zwischen Hunderten von Einflussgrößen, die zusammen das Klima bestimmen. Der große Blick aufs Ganze gibt da eine erste Orientierung.

So war es auch Mitte der 1990er-Jahre, als Claußen die Sahara-Simulation für sich entdeckte. Damals galt als Lehrmeinung, dass allein das Klima bestimmt, wo welche Pflanze wächst. "Die Vegetation folgt dem Klima." Angesichts der Abholzung der tropischen Regenwälder aber kam Claußen der Gedanke, dass die Vegetation durchaus auf das Klima zurückwirkt, dass sich beide gegenseitig beeinflussen. Er überprüfte seine These, zunächst mit einem extremen Vergleich: In einer Simulation verwandelte er die Kontinente einerseits in gänzlich begrünte, mit dunklen Wäldern bedeckte Flächen. Für die Vergleichssimulation aber ließ er die Erde recht hell. Der Rechner berücksichtigte die Strömungen der Atmosphäre und der Ozeane, den Transport von Feuchtigkeit und Wärme um die Erdkugel.

Noch hatte Claußen die Sahara nicht im Blick. Er wollte einfach wissen, wie unsere heutige Welt aussieht, wenn er eine Simulation mit verschiedenem Pflanzenbewuchs startete. Das Ergebnis war verblüffend: Begann er mit der dicht bewaldeten Erde, entwickelte sich die Vegetation auf dem Globus, so wie wir sie heute kennen. Die Sahara aber blieb leidlich grün! Weite Savannen bedeckten das Gebiet. Startete er hingegen mit der hellen Erde, blieb die Sahara hell, trocken und wüst. "Das war ein starker Hinweis darauf, dass Vegetation und Klima miteinander wechselwirken und gemeinsam betrachtet werden müssen. Die Vegetation ist quasi eine Klimavariable, so wie die Temperatur oder der Luftdruck", sagt Claußen. Ein Grund: Dunkle Kontinente heizen sich stärker auf. Helle Flächen reflektieren das Sonnenlicht. Das beeinflusst die Verdunstung von Wasser oder auch Luftströmungen.

Claußen erinnerte sich damals, gelesen zu haben, dass die Sahara vor rund 10.000 Jahren grün war. Er überlegte, dass vor allem die allmähliche Änderung der Einstrahlung der Sonne einen Einfluss haben könnte. Denn die Erde taumelt wie ein eiernder Kreisel um die Sonne. Damit ändern sich die Stellung der Erde zur Sonne, die Länge der Jahreszeiten und die Neigung der Erdachse nahezu periodisch im Laufe von 20.000, 40.000 und 100.000 Jahren. So wird die Nordhalbkugel zu manchen Zeiten im Sommer stärker bestrahlt und im Winter weniger. Die Folge sind heißere Sommer und kältere Winter.

Claußen veränderte in seinem Modell die Strahlung der Sonne, stellte sie so ein, wie sie vor 6000 Jahren auf die Erde getroffen sein muss. Er staunte nicht schlecht. Sein Klimamodell lieferte nicht zwei, sondern nur noch eine einzige Lösung, egal ob er das Modell mit grüner oder wüster Sahara in die Rechnung schickte - die grüne Sahara. Seine Erklärung: Je nach Verteilung der Sonnenstrahlung entwickelt das System aus Klima und Vegetation nur einen oder eben zwei stabile Zustände. Daraus folgerte er: Wenn im Laufe der Zeit zwei Lösungen entstehen, kann das System von einer Lösung in die andere springen. Dann kann die Vegetation der Sahara in die eine oder in die andere Richtung kippen - zur Dürre oder zur Savanne, in der Leben möglich ist.


DIE SAHARA KANN SICH SCHLAGARTIG VERÄNDERN

Multi- oder Bistabilität nennt man ein solches Nebeneinander labiler Zustände, das man auch aus anderen Gebieten der Mathematik kennt - aus der Volkswirtschaftslehre, die sich mit Einflussgrößen beschäftigt, die Wirtschaftskrisen auslösen können. Oder aus der Biologie, von nährstoffreichen Seen, von denen manche klar und sauber bleiben, andere aber durch irgendeinen Auslöser umkippen und sich in Rekordzeit in ein modriges Gewässer voller Algen verwandeln.

Bistabilität für die Wüste. Das war ein völlig neuer Gedanke. Die Simulation machte klar, dass sich der Zustand einer Wüste offenbar schlagartig ändern kann - mit katastrophalen Folgen für die Völker, die dort siedeln. Zwar änderte sich die wichtige Klimagröße der Sonneneinstrahlung im Laufe der letzten 20.000 Jahre langsam und kontinuierlich. Die Bistabilität aber führt dazu, dass die Vegetation und das Klima viel schneller als die Sonneneinstrahlung wechseln können.

Mit seiner frühen Simulation Mitte der 1990er-Jahre hatte Claußen zum ersten Mal ein Modell der Atmosphäre mit einem Vegetationsmodell gekoppelt und damit eine Simulation kreiert, in der sich Klima und Vegetation gegenseitig beeinflussen. Damals war das eine kleine Sensation. Diese frühen Simulationen hatten aber den Nachteil, dass sie das Klima stets nur für einen Zielzeitpunkt berechnen konnten - für heute oder die Zeit vor 6000 Jahren zum Beispiel. Einen zeitlichen Verlauf über Jahrtausende, eine langsame Klimaänderung lieferten sie nicht.

Zusammen mit seinen russischen Forschungspartnern Victor Brovkin, Andrey Ganopolski und Vladimir Petoukhov legte Claußen 1999 nach. Die Kollegen trafen sich damals am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wo Claußen für gut zehn Jahre arbeitete, nachdem er seine wissenschaftliche Laufbahn begonnen hatte. Die Forscher hatten ein schnelles Klimamodell entwickelt, das die Atmosphäre, die Ozeane und die Vegetation vollständig miteinander koppelt und zudem lange Zeitreihen in hohem Tempo durchspielt. Sie starteten ihre Simulation tiefer in der Vergangenheit - vor etwa 9000 Jahren, als Löwen und Nashörner durch die zentrale Sahara streiften und der Tschadsee Hunderte von Kilometern breit war - der "Mega-Tschad".

Wieder legte der Rechner los, schaufelte gewaltige Datenmengen um. Das Simulationsprogramm berechnete für jeden Tag die Meeres- und Luftströmungen, für jedes Jahr den aktuellen Zustand der Vegetation - je nachdem, ob es trockener oder feuchter wurde - bis in die Gegenwart. Das Ergebnis bestätigte die Vermutung: Irgendwann vor 5500 Jahren begann die Sahara zu verdorren, überraschend abrupt. Innerhalb weniger Jahrhunderte oder gar Jahrzehnte muss das Leben in weiten Teilen der Sahara verschwunden sein.

Zunächst war das nicht viel mehr als nackte Theorie, schnöde Zahlen aus einem Rechner, der 5000 Kilometer entfernt von der Sahara in Deutschland summt. Doch dann, nur ein Jahr später, 2000, veröffentlichte der Geologe Peter deMenocal von der Columbia University in New York die Ergebnisse einer Expedition vor der westafrikanischen Küste. DeMenocal hatte tief in das Sediment am Meeresgrund gebohrt, in jahrtausendealte Schichten.


NORDAFRIKA REAGIERT REGIONAL UNTERSCHIEDLICH

Die Analyse der Bohrkerne schlug bei den Klimaforschern wie eine Bombe ein: Bis vor etwa 6000 Jahren bestand das Sediment am Meeresboden aus groben festen Körnern, die für gewöhnlich durch Flüsse ins Meer gespült werden. In der Sahara muss es seinerzeit ausgiebig geregnet haben. Die jüngeren Sedimentschichten aber zeigen ein anderes Bild. Ab etwa 5500 ist nur noch Staub vorhanden. Und das lässt nur einen Schluss zu: Winde hatten Staub aus der schnell austrocknenden Sahara ins Meer geweht. Claußen und seine Kollegen waren begeistert. Harte geologische Fakten hatten ihre Berechnungen offenbar untermauert.

Doch Claußen war mit seinem Klimamodell nicht wirklich zufrieden. Das Programm konnte zwar sehr schnell rechnen, löste die Kontinente aber nicht fein genug auf. "Wir wollten ein neues Modell, das die gesamte Welt im Detail betrachtet, das regionale Unterschiede berücksichtigt." Ein solches, feineres Klimamodell gab es damals bereits am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Für seine Zwecke aber musste Claußen - wieder zurück in Hamburg - es mit seinen Mitarbeitern um die Vegetation ergänzen, es in die Lage versetzen, die Begrünung mitzurechnen, Steppengras, Gestrüpp und Bäume im Laufe der Zeit mitwandern zu lassen.

Seit einigen Jahren läuft dieses Klimamodell Nummer 3. Es unterteilt die Welt und damit auch die Sahara in feine Quadrate mit bis zu 120 Kilometer Kantenlänge. Zudem fließt Wissen über die Färbung des Bodens oder die Verdunstung in den verschiedenen Gebieten in das Modell ein. Claußen erreicht damit zugleich eine hohe zeitliche und räumliche Auflösung. Beides zusammen zwingt einen Computer gewöhnlich recht schnell in die Knie. Selbst der große Hamburger Klimarechner braucht einen ganzen Tag Rechenzeit, um hundert Jahre zu simulieren. Für eine Reise ins Jahr 5000 vor unserer Zeit brauchen die Hamburger also trotz geballter Rechenkraft Geduld.

Doch der Blick ins Detail lohnt sich. "Früher haben wir die Sahara als ein Ganzes betrachtet", sagt Claußen, "demnach trocknete die Wüste in Gänze aus." Heute weiß er, dass das nicht so einfach ist. Die Regionen unterscheiden sich offenbar deutlich. Es gab immer wieder einmal grünere und trockenere Landstriche. Zudem verdorrte die Westsahara offenbar schneller als der Osten. Einige Gebiete scheinen tatsächlich abrupt ihr Gesicht verändert zu haben. "Zudem sieht es so aus, als würden manche Regionen andere mitreißen. Breitet sich die Wüste in einem Gebiet aus, folgen benachbarte Areale nach."

Die Ergebnisse decken sich mit Untersuchungen von Kölner Forschern um Stefan Kröpelin, die vor wenigen Jahren Sedimentproben aus dem uralten Yoa-Salzsee im Norden des Tschad gezogen haben. Aus Pollen und Sporen lasen die Wissenschaftler, dass tropische Pflanzen und Farne vor 5000 Jahren plötzlich vergingen. Savannen-, Mittelmeer- und Wüstenpflanzen hingegen gibt es am Yoa-See, der im Osten der Sahara liegt, noch heute. Von einem abrupten Austrocknen kann hier also keine Rede sein. Der Niedergang des Lebens war nur für manche Spezies abrupt, für andere eher ein schleichender.


DIE SÜDLICHE SAHARA KÖNNTE BALD WIEDER ERGRÜNEN

Die Kölner kombinierten ihre Sedimentproben mit Wissen über prähistorische Siedlungsreste, Knochen oder Keramikscherben. Demnach herrschte hier vor 8500 Jahren ein feuchtwarmes Klima. Es waren die Zeiten, in denen Höhlenmalereien à la Almásy entstanden. Die fruchtbare Sahelzone lag deutlich weiter im Norden. Als auch der Osten vor etwa 5300 Jahren langsam austrocknete, zogen sich die Menschen weiter in den Süden zurück. Oder nach Norden, wo der Nil zur neuen Lebensader wurde. Während die fruchtbaren Steppen der Sahara im Staub versanken, begann am Nil die Ära der Pharaonen. "Unser altes, schnelles Klimamodell betrachtete die Sahara als einen einheitlichen Flecken", sagt Claußen. "Heute wissen wir, dass sie viele Gesichter hat."

Die Sahara ist also ein komplexer Lebensraum, das ist gewiss. Vorhersagen hält Claußen daher für schwierig. Dennoch hat er mit seinen Klimamodellen bereits in die Zukunft geschaut und versucht, die Frage zu beantworten, ob der Klimawandel die Sahara in naher Zukunft neu ergrünen lassen könnte. Bläst der Mensch weiter ungehemmt Kohlendioxid in die Luft, dann heizt er dem Planeten kräftig ein. Durch die Erderwärmung wird die Verdunstung wie unter einem Kochtopfdeckel zunehmen und damit auch der Niederschlag. Dann könnte vor allem der Süden der Sahara bereits in diesem Jahrhundert ergrünen, während sich anderswo, etwa im Mittelmeerraum, trockene Gebiete ausdehnen - so zeigt es zumindest die Simulation.

Die natürliche Entwicklung ohne den Menschen wäre eine andere: Mit der gemächlichen Veränderung der Sonnenstrahlung dürfte die Sahara erst in rund 10.000 Jahren wieder feucht werden. Dann werden starke Monsunregen über Afrika hinwegziehen wie zuletzt vor 6000 Jahren. Dass sich in der Sahara schon in den kommenden Jahrzehnten Grünland ausbreiten könnte, zeichnet sich in Satellitenmessungen schon als Trend ab: In den letzten Jahren ist eine Zunahme der Vegetation im Süden erkennbar. "Überweidung und falsches Landmanagement könnten die Vegetation aber schnell wieder vernichten", gibt Claußen zu bedenken.

Ohnehin scheint die Begrünung nur von kurzer Dauer zu sein. "In unserem neuen, komplexen Modell sehen wir zunächst eine Begrünung der Sahara, aber bei weiterer Erwärmung wieder einen deutlichen Rückgang des Grüns." Doch noch kann niemand mit Sicherheit sagen, wie die Zukunft der Sahara tatsächlich aussieht, denn die Ergebnisse verschiedener Klimamodelle weichen noch zu stark voneinander ab.

Claußen geht deshalb noch einen Schritt weiter. Er füttert sein Hochleistungs-Klimamodell mit weiteren Details. "Ob Bäume ihre Blätter abwerfen, ob sich feuchter Humus bildet oder wie stark der Boden zwischen den Pflanzen hindurchscheint - all das wirkt sich auf das Klima und die Entstehung von Grünland aus." Er kooperiert mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena, Experten, die die Umwandlung von Biomasse unter verschiedenen klimatischen Bedingungen aus dem Effeff kennen. Die Hoffnung: Je genauer Claußen die Wirklichkeit nachstellen kann, desto präziser werden die Vorhersagen.

Der Hamburger Klimarechner hat an den realistischeren Simulationen noch länger zu knacken als ohnehin. Daher greift Claußen immer wieder gern zu dem kleinen, flotten Klimamodell, das sogar auf einem PC läuft. Das rechnet nicht ganz so detailgenau, liefert aber eine ganz passable geografische Auflösung. "Damit können wir größere Trends schnell mal überprüfen", sagt Claußen. 10.000 Jahre an einem Tag schafft die Simulation spielend. Doch am Ende kommt es vor allem auf die detaillierte Simulation an - beispielsweise um die nächsten hundert Jahre der Sahara genau vorherzusagen. Denn die interessieren nicht nur Klimaforscher derzeit wohl am brennendsten.


GLOSSAR

Bistabilität
Bezeichnet den Umstand, dass ein System in zwei Zuständen existieren kann. In welchem der beiden Zustände das System tatsächlich vorliegt, hängt unter anderem von der Vorgeschichte ab. Sobald sich aber ein äußerer Faktor auch nur ein wenig ändert, kann das System von einem in den anderen Zustand springen. Für die Sahara heißt das: Je nachdem, ob die Welt als Ganze eher grün oder eher öde ist, macht sich im Norden Afrikas Vegetation oder Wüste breit. Bei einer geringfügigen Änderung des eingestrahlten Sonnenlichts wird die Landschaft abrupt trocken oder fruchtbar.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 80-81:
Heute gedeihen Pflanzen in der Sahara nur an Oasen, während sie sich in der Jungsteinzeit immer wieder in großen Teilen Nordafrikas breitmachten. Das Bild zeigt eine Oase beim marokkanischen Ort M'hamid nahe der algerischen Grenze. Im Vordergrund: die Dünen von Erg Chagaga.

Abb. S. 82 oben:
Brachte Grün ins Klimamodell: Martin Claußen analysiert die Wechselwirkung zwischen Klima und Vegetation und entdeckte dabei, dass die Sahara zeitweise einen bistabilen Zustand annimmt. Je nach Ausgangssituation kann sie dann sowohl grün als auch wüst sein.

Abb. S. 82 unten:
Während die Menge des eingestrahlten Sonnenlichts (gemessen in Watt pro Quadratmeter; obere Grafik) in den vergangenen 9000 Jahren langsam abnimmt, sinkt der Anteil der Vegetation, die in der Jungsteinzeit einer relativ groben Simulation zufolge noch weite Teile der Sahara bedeckte, innerhalb von 1000 Jahren auf null (mittlere Grafik). Gleichzeitig nimmt die Menge des Wüstenstaubs, der sich im Atlantik als Sediment ablagert, zu (gemessen als Anteil an Terrigenen - Sedimenten vom Festland - und in Gramm pro Quadratzentimeter in tausend Jahren; untere Grafik).

Abb. S. 83 oben:
Abweisende Schönheit mit belebter Vergangenheit: Wo heute Sanddünen die Landschaft prägen, erstreckte sich vor etwa 6000 Jahren eine Savanne.

Abb. S. 83 unten:
3 Von der fruchtbaren Epoche der Sahara zeugen die Felsmalereien im Wadi Howar, südlich des Gilf el-Kebir. Das Wadi zieht sich vom Tschad bis in den Sudan und bildete in der Jungsteinzeit einen wichtigen Nebenfluss des Nils.

Abb. S. 84:
Heute kann die Sahara in zwei Zuständen existieren. Die beiden Ergebnisse (1a, 1b) von Simulationen der nordafrikanischen Vegetation zeigen, dass sie mal stärker und mal weniger begrünt sein kann. Diese Bistabilität ist in dem Diagramm oben links durch die beiden Mulden veranschaulicht, in denen das als Kugel dargestellte System stabil liegt. Wie in der Simulation 2 zu sehen ist, ergibt sich für die Jungsteinzeit nur ein stabiler Zustand: der grüne.

Abb. S. 85:
Eine Satellitenaufnahme der Sahara: Die Simulation des wüsten Zustands (1a) gibt sehr gut wieder, wie stark die Sahara tatsächlich mit Vegetation bedeckt ist.

Abb. S. 86:
Nur ein besonders leistungsfähiger Computer wie Blizzard im Deutschen Klimarechenzentrum (oben) kann mit feiner räumlicher und zeitlicher Auflösung simulieren, wie stark die Sahara mit Vegetation bedeckt ist. Die grünen Kreuze symbolisieren die Wahrscheinlichkeit kurzer Grünphasen: Je größer das Kreuz, desto stärker die Begrünung. Vor 6000 Jahren reichte die Sahelzone weiter in den Norden als heute. Zudem wuchsen damals in der gesamten Sahara immer wieder Pflanzen.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 4/2011, Seite 80 - 87
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2012