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POLITIK/511: Substanz oder Greenwash-Show? - Hintergrundpapier zum UN-Klimagipfel (Germanwatch)


Heinrich-Böll-Stiftung - Die grüne politische Stiftung
Germanwatch e.V.

Substanz oder Greenwash-Show?
Die Zeit für Halbheiten ist vorbei


Hintergrundpapier zum Klimagipfel in Kopenhagen, 7.-18. Dezember 2009

Von Christoph Bals - Berlin, 4. Dezember 2009


Kurzzusammenfassung

Wenige Tage vor dem Klimagipfel von Kopenhagen ist noch unklar, wieviel Substanz, wieviel Show er bringen wird. Die Regierungschefs stehen vor einer Entscheidung, die von der Größenordnung her mit der Abschaffung der Sklaverei vergleichbar ist: den Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft und den Einstieg in ein neues Wohlstandsmodell zu beschließen. Mehr als 100 Regierungschefs werden in Kopenhagen erwartet. Klar ist: sie wollen der Weltöffentlichkeit ein Ergebnis präsentieren. Unklar aber ist, ob sie der Versuchung erliegen, die größte Greenwash-Show der Geschichte zu inszenieren.

Werden sie die notwendigen Reduktionsziele beschließen, die die Welt auf den Pfad zu einem 1,5- bis 2-Grad-Limit des Temperaturanstiegs bringt - oder werden sie nur entsprechende unverbindliche Langfristziele beschließen, die noch dazu durch schwache oder fehlende Kurzfristziele konterkariert und durch verschiedene Schlupflöcher entleert werden? Werden die Industrieländer die notwendigen Finanzströme in Entwicklungsländer beschließen, um dort den Schutz des Klimas und Regenwaldes sowie die Anpassung an die unvermeidbaren Konsequenzen der klimatischen Veränderungen zu ermöglichen? Oder werden sie hohe Finanzzahlen nennen, in Wirklichkeit aber kaum zusätzliches öffentliches Geld bereitstellen?

Werden sie von einem "politisch verbindlichen" Abkommen sprechen, das in Wirklichkeit keine Verbindlichkeit erzeugt, oder werden sie tatsächlich ein "rechtlich verbindliches" Abkommen auf den Weg bringen, an das sich dann auch zukünftige Regierungen halten werden müssen?

Die Zeit für Halbheiten ist vorbei. Die politischen Führerinnen und Führer der Welt müssen sich entscheiden, ob sie uns und künftige Generationen verheizen wollen.


*


Impressum

Autor: Christoph Bals

unter Mitarbeit von: Tilman Santarius, Lutz Morgenstern, Hendrik Vygen,
Thomas Spencer, Anne Koch, Gerold Kier, Klaus Milke und Sven Harmeling


Herausgeber:
Heinrich-Böll-Stiftung
Schumannstraße 8
D-10117 Berlin
Telefon 030.285 34-0, Fax -109
www.boell.de
info@boell.de

Germanwatch e.V.
Kaiserstr. 201
D-53113 Bonn
Telefon +49 (0)228/60492-0, Fax -19
www.germanwatch.org
info@germanwatch.org

Diese Publikation kann im Internet abgerufen werden unter:
www.boell.de/navigation/oekologie-gesellschaft-5433.html
www.germanwatch.org/klima/c15bp.pdf

Raute

Inhalt

Regierungschefs kommen - Substanz oder Show?
Die Herausforderung
Anforderungen an das Klimaschutzpaket von Kopenhagen
Peak und Internationalisierung der Schwellenländerziele
Anreiz- und Sanktionsmechanismus
Vorreiterkoalition der verletzlichen Staaten unterstützen
Wissenschaftsbasierte Überprüfung der Emissions- und Finanzziele im Jahr 2015
Das Finanzpaket von Kopenhagen
Rechtlich verbindlich oder Politische Show?
Die Herausforderung annehmen
Hauptforderungen auf einen Blick


Regierungschefs kommen - Substanz oder Show?

Knapp eine Woche vor Kopenhagen haben fast 100 Staats- und Regierungschefs angekündigt, an den letzten beiden Verhandlungstagen des Klimagipfels teilzunehmen. Jeden Tag werden es mehr.

Barack Obama hat sich erfreulicherweise umentschieden: Er kommt nicht am 9. Dezember, um eine Sonntagsrede zu halten, sondern am 18., dem letzten Verhandlungstag, um gemeinsam mit dem anderen Regierungschefs die letzten strittigen Fragen zu klären. Die Welt wird sehr genau darauf schauen, ob er tatsächlich eine Führungsrolle übernimmt. Die Aushändigung des Friedensnobelpreises an Obama hätte man besser bis zum Ende des Klimagipfels verschieben sollen. Wenn er beim Klimagipfel den Nachweis geführt hätte, dass er tatsächlich gewillt und in der Lage ist, "die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken,"[1] und damit der Durchbruch zu einem ambitionierten, fairen und rechtlich verbindlichen Abkommen gelungen wäre.

Angesichts der vielen Regierungschefs kann Kopenhagen den Durchbruch dazu bringen. Die 192 Staaten können ein klares Signal an die Bürger und Bürgerinnen, an Industrie und Finanzmarkt senden: Die Zukunft gehört der CO2-freien Gesellschaft.

Da die Regierungschefs sich aber wohl in jedem Fall in einem Erfolg sonnen wollen, besteht auch die Gefahr, dass der Klimagipfel in Kopenhagen zur größten Greenwash-Show der Geschichte wird.

Es besteht kein Grund zum Fatalismus. Aber wir sind uns der Herausforderungen bewusst.


Die Herausforderung

Die fossilen Energieträger waren der energetische Kern der industriellen Revolution und des seitdem aufgebauten Wohlstandmodells. Um einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden, ist es notwendig, bis Mitte des Jahrhunderts in den Industriestaaten den Einsatz fossiler Energieträger praktisch völlig zu beenden.

Climate change is not waiting for any of us.
Juan Rafael Elvira Quesada; Mexican Environment Minister, UN-Klimaverhandlungen, 26. Mai 2008

So hat etwa die EU beschlossen, bis 2050 den Ausstoß von Treibhausgasen um 80 bis 95% gegenüber 1990 zu verringern.

Solche Ziele wurden nicht willkürlich festgelegt. Sie beruhen auf zahlreichen wissenschaftlichen Analysen, die die Notwendigkeit aufzeigen, den globalen Temperaturanstieg auf weniger als 2 Grad zu begrenzen, möglichst sogar auf 1,5 Grad. Zwar ist notwendig, dass die Staaten Kompromisse untereinander auf dem Weg dorthin machen. Aber der Klimawandel unterliegt den Gesetzen der Physik, und mit diesen gibt es keine Kompromisse. An dieser Messlatte muss sich jedes Ergebnis von Kopenhagen bewerten lassen: Bringt es uns auf einen Pfad, der den Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 Grad begrenzt.

Nur wenn Vorreiterstaaten beherzt zeigen, dass es ein lebenswertes und gerechtes Wohlstandsmodell ohne CO2-Emissionen gibt, lässt das der Staatengemeinschaft eine Chance, dies zu erreichen. Diese Vision gilt es in konkretes Handeln zu übersetzen.

Das zweite Kriterium der Messlatte ist die Fairness. Wir haben heute weltweit einen extrem ungleichen Pro-Kopf-Ausstoß von Treibhausgasemissionen. Und die Menschen mit dem geringsten Ausstoß, die zugleich die Ärmsten sind, können sich am wenigsten vor den Konsequenzen des Klimawandels schützen und sind am heftigsten betroffen. Das Abkommen muss diese Ungleichheit abbauen anstatt sie in einer "Klima-Apartheid" zu zementieren.

"The idea of freezing the current level of global inequality over the next half century or more, as the world goes about trying to solve the climate problem, is economically, politically and ethically unacceptable."
The World Economic and Social Survey
[2]

Fairness ist auf drei Ebenen verlangt:

Erstens: hinsichtlich einer fairen Verteilung der Klimaschutzpflichten, die sich am zentralen Prinzip der Klimarahmenkonvention orientiert, den "gemeinsamen aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten". Denn die Verantwortung zum Klimaschutz ist eine gemeinsame, aber auch eine nach (historischer) Emissionslast und Reichtum differenzierte. Eine Konsequenz davon ist, dass die Industrieländer vorangehen müssen. Eine andere, ohne die Schwellenländer lässt sich das Problem nicht lösen.

Zweitens: Zentrales Ziel von Kopenhagen ist, dass der Gipfel die globale Investitionsdynamik für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz massiv beschleunigt. Eine Politik, die sich am 2-Grad-Limit orientiert, wird eine ökonomische Dynamik in Gang setzen, die weit größer ist je seit der Industriellen Revolution. In wenigen Jahren sollte dann nicht mehr die zentrale Gerechtigkeitsfrage sein: Wie kann die Last eines engagierten Klimaschutzes fair verteilt werden? Sondern: Wie kann sichergestellt werden, dass auch die jetzt noch armen Menschen und Regionen an dieser Dynamik angemessen teilhaben?

Drittens: Die Emissionen der Vergangenheit schädigen bereits heute viele Millionen von Menschen existenziell. Wie kann sichergestellt werden, dass diese Menschen und die entsprechenden Regionen angemessene Unterstützung bei der Anpassung, der Vorsorge, dem Risikomanagement und der Schadensbeseitigung (z.B. durch Versicherungen) erhalten?

Das Ziel das fossile Fundament des industriellen Wohlstandsmodells umzubauen, lässt sich leicht verkünden und zugleich schwer umsetzen. Es geht hier um nichts weniger als den schnellen Umbau des gesamten Energie-, Verkehrs-, Gebäude-, Forst- und Landwirtschaftssystems weltweit. Die Regierungschefs dieser Welt stehen in Kopenhagen und den darauf folgenden Jahren vor einer Aufgabe, die in ihrer historischen Dimension und Tragweite der Abschaffung der Sklaverei oder des Feudalismus gleicht.


Anforderungen an das Klimaschutzpaket von Kopenhagen

Um einen im großen Maßstab gefährlichen Klimawandel abzuwenden, wäre es notwendig, den Temperaturanstieg deutlich unter 2 Grad, am besten bei 1,5 Grad, zu begrenzen. Nach dem jetzigen Verhandlungsstand scheint es möglich, dass ein 2-Grad-Limit als nicht rechtlich verbindliches Richtungsziel beschlossen wird. Zugleich dürfte angekündigt werden, dass dies mindestens eine 50-prozentige Reduktion der globalen Emissionen bis 2050 und eine mindestens 80-prozentige Reduktion für die Industrieländer bedeutet. Damit könnte, wenn sich das Basisjahr auf 1990 bezieht, mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit das 2-Grad-Limit erreicht werden. Wichtig dabei: eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit ist alles andere als sicher - in jedem zweiten Fall geht es schief. Wenn sich das Basisjahr auf ein späteres Jahr bezieht - etwa 2005 - dann sinkt wegen der bis 2005 gestiegenen Emissionen die Wahrscheinlichkeit deutlich, dass das 2-Grad-Limit unterboten bleibt.

Die Verabschiedung des 2 Grad-Limits und der Langfristziele für 2050 wären wichtige richtungweisende Signale. Aber es gilt zwei Dinge zu beachten: Zum Einen sind diese Langfristziele nicht verbindlich, sondern in den Verhandlungen nur in der sogenannten "Gemeinsamen Vision" (engl. Shared Vision) verankert. Zum anderen aber ist im Jahr 2050 keiner der heutigen Regierungschef mehr im Amt und müsste ein mögliches Scheitern verantworten.

Entscheidend sind daher rechtlich verbindliche Kurzfristziele (bis 2017 bzw. 2020) für die Industrieländer und verbindliche Aktionsverpflichtungen für die Schwellenländer. Rechtlich verbindliche Kurzfristziele sind der Schlüssel, um Langfristziele zu erreichen.

Gefahr Nr. 1 für ein Greenwash-Abkommen: Langfristziele ohne Kurzfristziele

Es kann sein, dass in Kopenhagen zwar ein 2-Grad-Limit und unverbindliche Langfristziele mit viel schönen Worten verkündet werden, aber dass die gleichzeitig verbindlich vereinbarten Kurzfristziele für 2020 dann deutlich hinter der in Kopenhagen gesetzten Messlatte zurückbleiben. Verbindliche Kurzfrist-Reduktionsziele sind der einzige realistische Weg für das Erreichen von Langfristzielen.

Wenn nicht vor 2017 der Scheitelpunkt des globalen Emissionsausstoßes erreicht wird und danach die Emissionen zügig sinken, lassen sich die ehrgeizigen Reduktionsziele für 2050 nicht erreichen. Das verbleibende Emissionsbudget ist dann zu früh aufgebraucht. Das wäre, wie wenn man den Großteil seines Monatsgehalts in der ersten Woche verprasst. Den Rest des Monats hat man dann kaum noch Geld. Der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU 2009) hat gezeigt, dass es bei einem Scheitelpunkt im Jahr 2011 reichen würde, in den Folgejahren bis 2050 jährlich die Emissionen um 3,7% zu verringern. Bei einem Scheitelpunkt im Jahr 2015, muss die Reduktion dann schon bei 5,3% liegen. Käme der Scheitelpunkt erst im Jahr 2020, würde eine jährliche Reduktion von 9 Prozent in den Folgejahren nötig.werden. Eine solch steile Reduktionsleistung lässt sich dann technisch und finanziell kaum mehr umsetzen.

Die Industrieländer müssten ihre Emissionen auf der Grundlage wissenschaftsbasierter Zahlen bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Wenn sie, wie von der EU vorgeschlagen, ihre Emissionen nur um 30 Prozent reduzieren, kann das 2 Grad Limit noch nicht einmal mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit gehalten werden. Derzeit addieren sich die Zielankündigungen der Industrieländer allerdings erst zu einem Gesamtziel von 12 bis 19 Prozent auf - je nachdem ob die unteren oder die oberen Bandbreiten der Ankündigung umgesetzt werden (z.B. EU: 20/30). Schon damit sind die Ziele deutlich zu schwach: es würden nur halb soviel Emissionen reduziert, wie notwendig wäre, um auf dem Pfad für das 2-Grad-Ziel zu bleiben. Zwar hat Japan sich unter der neuen Regierung erfreulich bewegt und will ein 25 Prozent Reduktionsziel akzeptieren. Norwegen ist bereit, in einem ambitionierten Kopenhagen-Abkommen ein 40 Prozent Ziel zu akzeptieren. Aber insbesondere das niedrige US-Ziel (-3 Prozent gegenüber 1990, und -17 Prozent gegenüber 2005) schwächt das Gesamt-Reduktionsziel der Industriestaaten. Jetzt rächen sich die acht verlorenen Jahre unter der Regierung Bush, die national und international den Klimaprozess gebremst haben.

Having done nothing so far is no excuse for avoiding what the science requires.
Südafrika, Klimaverhandlungen, März 2009

"We are jumping as high as the political system will tolerate."
Todd Stern, US-Delegationschef, Mai 2009

Die Welt wartet nun darauf, dass die EU sich - wie in den Verhandlungen vielfach angekündigt - im Rahmen eines ambitionierten Kopenhagen-Abkommens vom bereits vereinbarten 20 Prozent Ziel hin zum 30 Prozent Ziel bewegt. Doch die Wirtschaftskrise hat sogar für Spielraum gesorgt, um noch höhere Ziele zu beschließen. Studien von IIASA und dem World Energy Outlook 2009 der Internationalen Energieagentur zeigen: die EU könnte jetzt zu den Kosten, zu der sie das 30 Prozent Ziel ins Auge gefasst hat, ein deutlich höheres Ziel akzeptieren - in der Richtung von 40 Prozent.


Hinweis auf einen wichtigen Service

Die Climate Action Tracker (www.climateactiontracker.org) stellen eine regelmäßig aktualisierte Einschätzung ins Internet, was die von den Staaten angekündigten Treibhausgasreduktionen für ein 2 Grad oder 1,5 Grad Limit bedeuten.


Gefahr Nr. 2 für ein Greenwash-Abkommen: Die Gefahr von Schlupflöchern

Nach dem derzeitigen Verhandlungsstand muss mit erheblichen Schlupflöchern gerechnet werden. Danach wären selbst die zu niedrigen Reduktionsziele der Industrieländer nicht das Papier wert, auf dem sie stehen.

• Es sind noch 7,5 Gigatonnen sogenannte "hot air" (heiße Luft) im System, also überschüssige Emissionsberechtigung von Staaten wie Russland, deren tatsächliche Emissionen viel niedriger liegen als die Menge der zugeteilten Zertifikate. Wenn diese "heiße Luft" genutzt wird, sind die Reduktionsziele der Industrieländer 5 bis 7 Prozentpunkte weniger wert als auf dem Papier: Es bleibt dann nur noch ein Gesamtziel der Industrieländer bis 2020 von 5 bis 14 Prozent gegenüber 1990.

• Durch die Wirtschaftskrise sind zusätzlich etwa 4,5 Gigatonnen "hot air" entstanden. (Diese Zahl ist geschätzt und noch mit größerer Unsicherheit behaftet.) Diese Menge würde die realen Klimaschutzziele der Industrieländer um weitere 3 Prozentpunkte nach unten drücken. Es blieben dann nur noch ein Gesamtziel von 2 bis 11 Prozent)

• Es besteht zusätzlich die Gefahr, dass die Industrieländer die Anrechenbarkeit von Kohlenstoffsenken im Forst- und Landwirtschaftssektor selbst definieren dürfen. Dies würde es ihnen etwa ermöglichen, neugepflanzte oder zuwachsende Wälder auf das eigene Ziel anzurechnen, zugleich aber den Verlust von Senken durch abgeholzte und genutzte Biomasse nicht in ihr Ziel einbeziehen zu müssen. Das dadurch entstehende Schlupfloch wird auf 2 bis 9 Prozent abgeschätzt. Damit bliebe ein Emissionsziel bis zum Jahr 2020, das zwischen 7 Prozent Emissionswachstum und - im günstigsten der obengenannten Fälle - 9 Prozent Reduktion läge, jeweils gegenüber dem Jahr 1990.

Zum Vergleich: in Kyoto hatten die Industrieländer ein durchschnittliches Reduktionsziel von 5 Prozent gegenüber 1990 akzeptiert, und damals wurden Schlupflöcher von etwa der Hälfte dieses Ziels verhandelt. Schlupflöcher helfen nicht dem Klima, aber sie helfen den Regierungschefs, der Weltöffentlichkeit hohe Zahlen zu präsentieren und doch wenig tun zu müssen. Wenn dies passiert, erleben wir in Kopenhagen die größte Greenwash-Show der Geschichte.

"At the moment every country arrives at [international climate] negotiations seeking to keep their own emissions as high as possible. They never make commitments, unless someone else does first.
This is the logic of the madhouse, a recipe for collective suicide. We don't want a global suicide pact."
Maledives President Mohamed Nasheed, Inaugural Adress to the 'Climate Vulnerable Forum', Maledives, 9.11.09


Peak und Internationalisierung der Schwellenländerziele

Die Schwellenländer haben sich in den letzten Monaten in positiver Weise bewegt. Mexiko, Indonesien, Südafrika, Brasilien, Südkorea und zuletzt China haben Aktionsprogramme und relative Reduktionsziele vorgelegt. Das ist eine erfreuliche Bewegung, die vor zwei Jahren noch kaum jemand für möglich gehalten hätte. Trotzdem ist insbesondere China noch nicht weit genug gegangen. Die CO2-Produktivität dort muss nicht jährlich um 4 bis 4,5 Prozent, sondern um mehr als 5,5 Prozent steigen, um in absehbarer Zeit einen Scheitelpunkt (engl. Peak) der Emissionen und dann eine zügige Reduktion zu erreichen. Ohne den in absoluten Zahlen größten Emittenten China lassen sich die notwendigen Temperaturziele nicht einhalten.

Mindestens genauso zentral aber ist, dass China sich bereit erklärt, international akzeptierte Methodiken beim Bericht der Emissionen zu benutzen und die Umsetzung der versprochenen Ziele international überprüfen zu lassen.

"The US will not accept a binding target unless China and India also agree to be bound to commitments that are internationally verifiable.
But China will not commit to decarbonise its economy unless the US accepts a binding and ambitious emissions reduction target."
Nick Mabey, E3G, 2009


Anreiz- und Sanktionsmechanismus

Einen heftigen Konflikt wird es darum geben, ob es einen internationalen Anreiz- und Sanktionsmechanismus geben wird, um das Erreichen der Emissions- und Finanzziele sicherzustellen. Es ist klar, das die Verbindlichkeit der Ziele dadurch erheblich gestärkt werden würde. Ein solches System ist in verschiedenen Ebenen aufgebaut. Es müssen vergleichbare Zahlen vorliegen. Diese müssen mess- und überprüfbar sein. Es kann Anreize geben, um die Ziele zu erfüllen. Und es muss Sanktionen bei Nichterreichen der Ziele geben. Insbesondere beim letzten Punkt mauert die US-Regierung. Andererseits begibt sie sich in einen Selbstwiderspruch, denn von China erwartet sie international verifizierbare Verpflichtungen. Diese wird sie aber nur bekommen, wenn die USA ein international verbindliches und mit einem Sanktions-Mechanismus gesichertes Ziel akzeptieren.

Entweder werden sich hier beide Giganten nach oben bewegen - oder das Verbindlichkeitsniveau des Gesamtabkommens sinkt deutlich.


Vorreiterkoalition der verletzlichen Staaten unterstützen

Die Malediven haben eine Koalition besonders verletzlicher Staaten initiiert. Diese Staaten wollen nicht nur Forderungen an andere stellen, sondern sich entschieden auf den Weg machen, zu den Vorreiterländern auf dem Weg zur CO2-Neutralität zu gehören. Bis 2030 wollen sie das Energiesystem auf Erneuerbare Energien umstellen und die Emissionen des Flugverkehrs ausgleichen. Alle Industriestaaten, die eine positive Dynamik in Kopenhagen erzeugen wollen, sollten deutlich machen, dass sie bereit sind zur Erstellung der entsprechenden Pläne ebenso wie der Anpassungsstrategien, sowie die schnelle Umsetzung dieser Pläne mitzufinanzieren.[3]


Wissenschaftsbasierte Überprüfung der Emissions- und Finanzziele im Jahr 2015

Selbst wenn die in Kopenhagen beschlossenen Ziele in Übereinstimmung mit einem 2-Grad-Limit sein sollten - wofür derzeit wenig spricht - sollte direkt nach dem nächsten IPCC-Bericht unbedingt eine Überprüfung ("Review") durchgeführt werden, ob die beschlossenen Ziele und Verpflichtungen - sowohl die Emissions- als auch die Finanzziele - angemessen sind. Umso mehr ist dies notwendig, wenn die Ziele nicht ausreichen, um den Pfad zum 2-Grad-Limit sicherzustellen. Diese formale Überprüfung sollte im Jahr 2015 stattfinden, nachdem 2014 der neue IPCC-Bericht veröffentlicht ist.

Darüber hinaus besteht die Notwendigkeit für eine Notfall-Überprüfung (emergency review). Mit Berufung auf durch den Klimawandel ausgelöste Bedrohungen für ganze Regionen oder Staaten sollte eine qualifizierte Mehrheit der Staaten jederzeit eine Überprüfung der Angemessenheit der Reduktions- und Finanzierungsziele beschließen können.


Das Finanzpaket von Kopenhagen

In Bali, beim Klimagipfel 2007, wurde im Bali-Aktionsplan[4] das große Design des geplanten Kopenhagen-Abkommens festgelegt. Die Entwicklungsländer, insbesondere die Schwellenländer erklärten sich bereit, in Kopenhagen erstmals ernsthafte Klimaschutzaktionen (noch nicht nationale Reduktionsziele) zu übernehmen und darüber in messbarer, und verifizierbarer Form zu berichten. Die Industrieländer verpflichteten sich im gleichen Atemzug, diese Bemühungen durch Finanzierung und Technologiekooperation ebenso messbar und verifizierbar zu unterstützen. "No money - no deal" hat die dänische Präsidentin des Klimagipfels, Connie Hennegard, diese Ausgangslage auf den Punkt gebracht. "No action - no money" hat der Präsident der EU-Kommission Barroso hinzugefügt. Die Verpflichtung der hoch emittierenden Industrieländer die verletzlichsten Entwicklungsländer, die so gut wie nicht zum Klimawandel beigetragen haben, bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen, liegt ohnehin auf der Hand.

In der Wissenschaft ist unstrittig, dass hunderte Milliarden Euros jedes Jahr in Bewegung gesetzt werden müssen, wenn die anstehende große Transformation in Richtung Klimaschutz und Anpassung erreicht werden soll. Gestützt auf Studien von UNFCCC, McKinsey, der EU-Kommission und unabhängigen Wissenschaftlern hat eine Gruppe von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Einzelpersonen die Summe der öffentlichen Gelder, die notwendig sind, um Finanzströme in dieser Größenordnung durch Hebelwirkung in Bewegung zu setzen, auf 110 Milliarden Euro - für Klimaschutz, Regenwaldschutz sowie Anpassung - geschätzt.[5]

Bereits in absehbarer Zeit geht es für etwa 100 Staaten auf diesem Planeten mit dem Klimawandel um existenzielle Fragen - in den kleinen Inselstaaten und tief liegenden Flussdeltas, in den wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Staaten (LDCs) und um mehr als eine Milliarde Menschen in Regionen, deren Wasserversorgung von Gletschern abhängt. Hier liegt eine langfristige Herausforderung. Der Bedarf an verlässlicher, vorhersehbarer Finanzierung wird von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zunehmen. Die Weltbank sieht allein in den nächsten zehn Jahren einen jährlichen Anpassungsbedarf für die ärmsten Länder von etwa 25 Mrd. US-Dollar, für alle Entwicklungsländer gar von 75 Mrd US-Dollar - gerechnet werden nur die Zusatzkosten. Kurzfristfinanzierung ist dringend notwendig, aber darf auf keinen Fall zum Ersatz für die notwendige Langfristfinanzierung werden. Es geht auch darum, Instrumente der internationalen Risikoteilung zu etablieren: Industrieländer unterstützen - auch finanziell - den Aufbau von Klimaversicherungsmechanismen, die nach Großkatastrophen einspringen. Und sie bauen die Rahmenbedingungen für Mikro-Versicherung gegen Klimaschäden in den ärmsten Entwicklungsländern auf.

Von den Industrieländern hat bislang nur die EU überhaupt den Versuch gemacht, auf die Notwendigkeit des Finanzbedarfs zu reagieren. Auf den ersten Blick sehen die Zahlen ähnlich aus, wie die von den Nichtregierungsorganisationen aufgrund der wissenschaftlichen Studien eingeforderten 110 Milliarden Euro jährlich - laut EU sollen 100 Milliarden Euro in die Entwicklungsländer geleitet werden.

Doch auch hier gilt es auf das Kleingedruckte zu achten.

Erstens soll nach dem Willen der EU mindestens die Hälfte einfach das Geld sein, das durch CDM-Projekte in Entwicklungsländer fließt. Die CDM-Projekte dienen der kostengünstigen Zielerreichung der Emissionsziele der Industrieländer. Für jede Tonne CO2, die in diesen Projekten eingespart wird, darf in den Industriestaaten eine Tonne mehr in die Luft geblasen werden. Aber jetzt sollen nach den Vorstellungen der EU die Finanzströme des CDM als zugesagt Finanzierung für Minderungsmaßnahmen in den Entwicklungsländern gewertet werden. Die Folge: Mit dem Geld finanzieren die Industriestaaten nicht die zusätzlich in Entwicklungsländern erforderlichen Emissionsminderungen, sondern nur die Verlagerung ihrer eigenen Reduzierungsverpflichtungen.

Auf 22 bis 50 Milliarden beziffert die EU den jährlichen Bedarf der öffentlichen Unterstützung. Die 50 Milliarden wären also knapp die Hälfte der Summe, die nach unserer Einschätzung jährlich an öffentlichen Geldern nötig wären, um - insbesondere im Bereich des Klimaschutzes - wesentlich größere private Finanzströme anzustoßen. Zunächst wäre dringend erforderlich, dass die EU in Kopenhagen sich zumindest in Richtung der oberen Abschätzung, also 50 Mrd. Euro jährlich, hinbewegt - und bereit ist, die Zahl im Jahr 2015 auf der Grundlage des Standes der Wissenschaft und der zur Unterstützung vorgelegten Pläne der Entwicklungsländer zu überprüfen.

Doch auch die 22 bis 50 Mrd. Euro sollen - laut EU - nicht einfach öffentliche Gelder der Industriestaaten sein. Die Schwellenländer sollen nach EU-Vorstellung auch einen Beitrag zur Finanzierung leisten. So richtig es ist, auch die Schwellenländer im Klimaschutz in die Pflicht zu nehmen, die Niedrig-Kosten-Optionen in den eigenen Ländern selber zu finanzieren, so fraglich ist es doch, ob man sie zusätzlich auch noch zur Finanzierung der Maßnahmen in den Entwicklungsländern zur Kasse bitten sollte.

Der Rest, von dem die EU spricht, sind dann wirklich öffentliche Gelder. Doch es zeichnet sich immer mehr ab, dass diese Gelder nicht zusätzlich zu dem Geldströmen sind, die beim Millennium-Gipfel im Jahr 2000 zur Armutsbekämpfung (Millenniumsentwicklungsziele) versprochen worden war. Dort hatten die Industrieländer zugesagt, bis 2015 ihre Entwicklungsgelder auf 0.7 Prozent des Brutto-Inlandprodukts zu erhöhen. Jetzt sollen - so etwa ein aktueller Bundestagsbeschluss der schwarz-gelben Bundestagsmehrheit in Deutschland -, die neuen und zusätzlichen Klimagelder auf dieses Ziel angerechnet werden. Das lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder war das Millennium-Entwicklungsziel nicht ernst gemeint und die Industrieländer wollten ohnehin das versprochene Ziel nicht erreichen. Oder aber die Gelder, die für Armuts- und AIDS-Bekämpfung, Schulen und Krankenstationen gedacht waren, werden jetzt für Klimaschutz eingesetzt. In Bali hatten die Industrieländer noch versprochen, dass sie "neues und zusätzliches Geld" auf den Tisch legen würden.

Schon für die Zeit zwischen 1.1.2010 und 2012 sollten die Industrieländer Kurzfrist-Finanzierung in erheblicher Höhe für Entwicklungsländer zur Verfügung stellen. Es besteht konkreter Bedarf für sieben bis zehn Milliarden Euro pro Jahr - insgesamt zu zahlen von allen Industrieländer.

Doch auch hier gilt es darauf zu achten: ist das Geld zusätzlich - oder werden die 8 Milliarden Dollar an öffentlichen Geldern, die ohnehin schon jährlich in den Klimaschutz fließen, jetzt einfach noch einmal aufgelistet und leicht erhöht?

Die Entwicklungsländer hingegen müssen sich bewegen, was die Wirkungskontrolle der eingesetzten Gelder angeht. Wenn hier Milliardenströme in Bewegung gesetzt werden sollen, muss sichergestellt sein, dass das Geld dort landet, wo es hingehört: für den Klimaschutz, für den Regenwaldschutz und für die Anpassung der besonders betroffenen Menschen. Insbesondere diese Menschen haben einen Anspruch darauf, dass die Anpassungsmaßnahmen an ihrem Menschenrecht auf Nahrung bzw. Wasser ausgerichtet sind. Das heißt, dass die Planung auf die verletzlichsten Menschen zugeschnitten ist und dass diese bei der Planung und Evaluierung beteiligt werden. In den Ländern, die keine gute Regierungsführung ("good governance") vorweisen können, muss das Geld durch entsprechende Umsetzungseinrichtungen sinnvoll eingesetzt werden.

Für viele Entwicklungsländer ist es zentral, dass der Anpassungsfonds, der im Rahmen des Kyoto-Protokolls beschlossen und nach dem Inkrafttreten 2005 aufgebaut wurde, auch in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Der Fonds ist in verschiedener Hinsicht sehr innovativ. Erstens wird er durch eine Abgabe auf CDM-Projekte gespeist - die erste internationale Umweltabgabe überhaupt. Zweitens haben in diesem Fonds, die Entwicklungsländer, die das Geld ja sozusagen als Kompensation für die Schädigung der Treibhausgase der hochindustrialisierten Länder erhalten, eine Stimme mehr im Entscheidungsgremium als die Industriestaaten. Drittens können Länder, die den Nachweis bringen, solche Projekte gut umzusetzen, auch direkten Zugang zum Geld erlangen. Das heißt, dieses muss nicht immer durch die oft sehr schwerfällige und von anderen Interessen geleitete GEF oder Weltbank. abfließen. Die Zukunft des Anpassungsfonds ist für die Entwicklungs- und Schwellenländer einer der Gründe, sich vehement für den Fortbestand des Kyoto-Protokolls einzusetzen. Aus Sicht der EU stellt der Fonds allerdings ein Problem dar: Aus Klimaschutz-Projekten der EU (und anderer Industriestaaten) fließt Geld in diesen Topf. Nicht aber aus entsprechenden Projekten der USA, die das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet haben. Es könnte sinnvoll sein, hier eine wichtige formale Änderung vorzunehmen und zwar den Anpassungsfonds vom Kyoto-Protokoll in das neue Kopenhagen-Abkommen zu transferieren, so dass dann alle Industrieländer daran beteiligt sind. Statt weitere internationale Fonds unter dem Dach der UN-Klimarahmenkonvention aufzubauen, könnte es vielleicht noch ein "Fenster" für Klima- oder Regenwaldschutz in diesem Fonds geben. Diese würde auch dem EU-Mandat gerecht, keine zusätzlichen Institutionen zu etablieren.

Es gibt eine jahrzehntelange Geschichte der gebrochenen Finanzierungsversprechen der Industrieländern gegenüber den Entwicklungsländern. Aus diesem Grund sind zwei Schritte notwendig.

Erstens, dass die Gelder rechtlich verbindlich und nicht etwa als freiwillige Zusagen bereit gestellt werden. Jedes Industrieland sollte einen bestimmten Anteil, der sich aus den Kriterien der aktuellen und historischen Emissionen sowie des Reichtums berechnet, verbindlich finanzieren (assessed contribution).

Zweitens: Generell, aber insbesondere in Zeiten der exorbitanten Verschuldung aufgrund der Finanzkrise sind solche Zusagen nur glaubwürdig, wenn es Instrumente gibt, die das notwendige Geld generieren. Diese Instrumente sollten aus Gründen der Anreizstruktur so gestaltet sein, dass sie dem Verursacherprinzip entsprechen und sich das Klimaregime so zu einem sich selbst finanzierenden Mechanismus entwickelt. Insbesondere drei entsprechende Quellen sind in der Diskussion:

- Die Versteigerung (bzw. den Verkauf) der verbleibenden Emissionsrechte an die Industrieländer

- Abgaben oder Versteigerungserlöse aus dem Emissionshandel durch den internationalen Flug- und Schiffverkehr. Es wäre dringend notwendig, endlich Klimaschutzinstrumente (Abgaben, Emissionshandel) für diese beiden Bereiche zu etablieren - sowohl aus Klimaschutz- als auch aus Finanzierungsgründen.

- Versteigerungserlöse aus den nationalen Emissionshandelssystemen. Hierbei hat Deutschland zugesagt, von der Hälfte der Versteigerungserlöse für den Klimaschutz den größeren Teil für den internationalen Klimaschutz bereitzustellen, der kleinere Teil fließt in den nationalen Klimaschutz. Wenn Deutschland den größeren Anteil der gesamten Erlöse für den internationalen Klimaschutz nutzen würde, könnte so der gerechte Anteils Deutschlands, 7 bis 10 Mrd. Euro, zusammen kommen.

Wo soll das Geld herkommen und kommt das Deutschland nicht zu teuer? Diese Fragen liegen angesichts der Finanzkrise nahe. Die Antwort lässt sich aus zahlreichen aktuellen Studien ableiten: Ein ambitioniertes Kopenhagen-Abkommen kann - aufgrund des immensen Investitionsbedarfs, den die anstehende große Transformation erfordert - die Weltwirtschaft auf ein neues Gleichgewichtsniveau heben. Konkret heißt das: Klimaschutzinvestitionen sind dann nicht mehr Teil eines Null-Summenspiels. Das bedeutet, dass es viele Gewinner gibt und denen nicht in gleichem Maße Verlierer gegenüberstehen. Es würde viele Gewinner geben, weil überall mehr Geld für Klimaschutz investiert wird, entsprechende Arbeitsplätze entstehen, die Energieversorgungssicherheit gesteigert und gewaltige Kosten durch Klimaschäden abgewendet werden. Außerdem hat die internationale Energieagentur errechnet, dass jedes Jahr, welches die Welt versäumt, auf einen klimaverträglichen Pfad umzuschwenken, diese 500 Mrd. Dollar kosten werde.

Achieving mutual benefit and win-win outcomes should be the goal of our effort. Developed countries should support developing countries in tackling climate change. This not only is their responsibility, but also serves their long-term interests.
We should make our endeavor on climate change a win-win for both developed and developing countries and a win-win for both the interests of individual countries and the common interests of humanity.
President Hu, China, UN-General Assembly, 22.09.09

Am Beispiel Deutschland kann man sehen, dass es sich rechnen kann, das notwendige Geld auf den Tisch zu legen. Nur durch diese Finanzströme kann ein ambitioniertes Kopenhagen-Abkommen gelingen. Ein solches generiert viele zusätzlichen Investitionen, was der deutschen Exportwirtschaft nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) jährlich 30 Mrd. Euro Mehreinnahmen bescheren könnte.[6] Dies würde nicht nur Innovation und Arbeitsplätze bedeuten, sondern auch mehr als die für die Finanzierung notwendigen 7 bis 10 Mrd. Euro wieder in die Steuerkassen spülen.


Rechtlich verbindlich oder Politische Show?

Viele Akteure scheinen in Kopenhagen eher an einem Deal um jeden Preis interessiert, als an einem rechtlich verbindlichen Abkommen, das Geschichte schreibt. Die Welt wartet auf den Startschuss für eine technologische und gesellschaftliche Revolution, die große Transformation ins Solarzeitalter. Doch sie könnte ein Feuerwerk der unverbindlichen Versprechungen erleben, eingehüllt in den Rauch von Nebelkerzen.

Gefahr Nr. 3 für ein Greenwash-Abkommen: "Politisch Verbindlich"

Der Begriff "Politisch verbindlich" ist eine Nebelkerze. Ein "politisch verbindliches" Abkommen würde den poltischen Willen sozusagen in ein Sieb gießen, durch das er schnell herausfließen kann: Spätestens bei einem Regierungswechsel wäre ein Staat nicht mehr daran gebunden. Ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen hingegen würde den Willen in einen Eimer gießen, um ihn auf Dauer transportieren zu können. Wenn am Ende der Klimakonferenz ein politisch verbindliches Abkommen steht, wäre das ein Greenwash, weil es der Öffentlichkeit ein Sieb als Eimer verkaufen wollte.

In Kopenhagen geht es darum, ein rechtlich verbindliches, internationales Abkommen - mit der notwendigen Ambition, fair und umfassend - auf den Weg zu bringen.

Es gilt alle zentralen Eckpunkte in einer völkerrechtlich verbindlichen Entscheidung - in rechtlicher Sprache - zu entscheiden. Dieses Abkommen ist in Kopenhagen möglich.

Ein zeitgebundenes Mandat muss in einer weiteren Entscheidung festlegen, dass bis Mitte 2010 dann das ratifizierungsfähige Abkommen im notwendigen Detaillierungsgrad vorliegen muss.

Es war ein großer strategischer Fehler der EU, nicht auf eine zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls zu setzen, sondern auf ein gemeinsames Abkommen mit den USA und den Schwellenländern - ohne zu wissen, ob man dort die selbe rechtliche Verbindlichkeit erhält. "Man wirft nicht seine alten Schuhe weg, bevor man neue hat", kommentierte Ivo der Boer, der Chef des UN-Klimasekretariats, treffend.

Das positive an dieser Dynamik ist, dass mehr Druck auf die USA entsteht, sich tatsächlich in ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen mit vergleichbaren Verpflichtungen hineinzubewegen. Und es zeigt: "Europe and Japan - who have met their reduction commitments under the binding Kyoto Protocol - can only accept the weak US commitments which are on the table if a new agreement is at least as binding as Kyoto, and the US commits to comparable emission reductions by 2030 at the latest."[7]

Zunächst sollten die Substanz der Verpflichtungen für Industrie- und Schwellenländer in den beiden Verhandlungsforen getrennt verhandelt werden - sowohl in der Arbeitsgruppe zur zweiten Verpflichtungsperiode zum Kyoto-Protokoll (AWG-KP) als auch in der Arbeitsgruppe innerhalb der Klimarahmenkonvention (AWG-LCA). Erst wenn die Substanz geklärt ist und sich keiner über den Tisch gezogen fühlt, kann konstruktiv darüber verhandelt werden, ob die Ergebnisse in einem Abkommen zusammengeführt werden sollen. Wie die indische Delegationsleitung dies ausdrückt: letztlich zentral ist der Inhalt, nicht die Verpackung: "Clearly, the majority of developing countries will not agree to one new framework unless it binds legally developed nations and contains significant new medium term public finance for adaptation, forestry and clean energy."

Zentral ist, dass folgende internationale Rahmensetzungen in Kopenhagen-Abkommen enthalten sind:

1. Ein umfassender, transparenter und zeitnaher Bericht sowie ein Review (Überprüfung) der nationalen Treibhausgasemissionen sowie der zugesagten Ziele und politischen Aktivitäten.

2. Gemeinsame Standards für Berichte und Reviews der Treibhausgasemissionen aus Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF).

3. Gemeinsame Standards für nationale Treibhausgasregister und den Transfer von Treibhausgaseinheiten in verschiedene Länder.

4. Gemeinsame Standards für den globalen Emissionshandel.

5. Ein System der Anreize und Sanktionen ("Compliance-Mechanismus"), um die Zielerfüllung der klimapolitischen und finanziellen Verpflichtungen sicherzustellen.

Ohne diese internationale Rahmensetzung werden beim Ländervergleich Birnen mit Äpfeln verglichen. Wenn nicht sicher ist, dass eine Tonne CO2 tatsächlich eine Tonne CO2 ist, wird das System des Emissionshandel sinnentleert. Länder könnten die eigenen Regeln dann so ausgestalten, dass der Emissionshandel zur Gelddruckmaschine wird und Emissionsreduktionen nur noch auf dem Papier entstehen.

Gefahr Nr. 4 für ein Greenwash-Abkommen: "Pledge and Review"

Wenn jedes Land einfach seine Vorstellungen für Klima- und Finanzziele auf den Tisch legt und diese akzeptiert werden, finden eigentlich gar keine Klimaverhandlungen mehr statt. Der Sinn des multilateralen Ansatzes, dass alle mitmachen und sich alle weiter bewegen als sie dies sonst täten, ginge verloren. Bottom-up systems or country pledges will always fail to drive the necessary scale and pace of reductions. And it doesn't help governments to take on domestic interest lobbies.[8] Wenn dann noch die rechtliche Verbindlichkeit der Versprechungen fehlt, wird keine Dynamik, sondern Frustration und Stillstand ausgelöst.


Die Herausforderung annehmen

Die Regierungen dieser Welt stehen vor einer Herausforderung, wie sie wohl nur einmal im Jahrhundert vorkommt. Bei der Abschaffung des Feudalismus; als Abraham Lincoln der Frage der Abschaffung der Sklaverei gegenüberstand; als Winston Churchill entscheiden musste, wie er dem nationalsozialistischen Deutschland begegnet.

Wieder einmal ist die Zeit für Halbheiten vorbei. Wieder einmal bedarf es politischer Führung, die versteht, um was es geht, und die die Herausforderungen in eine politische Strategie umsetzt. Und es bedarf des politischen Engagements von Bürgerinnen und Bürgern - vor jedem Kohlekraftwerk, vor dem Konferenzgebäude in Kopenhagen und, vertreten durch die Zivilgesellschaft, durch Einflussnahme an den Verhandlungstischen.

In den letzten vier Jahren ist die Welt einen Riesenschritt im Klimaschutz vorangekommen. 2005 - beim Klimagipfel in Montreal - wurde noch darüber gestritten, ob man überhaupt darüber reden dürfe, ein neues Klimaabkommen zu vereinbaren. Wer damals glaubte, es könne bald einen US-Präsidenten geben, der für die USA eine konstruktivere Rolle akzeptiert, wurde verlacht. In der EU wurde zaghaft über 12 Prozent Reduktion bis 2020 diskutiert. In China wurden Themen wie Energieeffizienz und Erneuerbare Energien noch nicht auf Regierungsebene diskutiert. Und Indien erklärte, dass es in diesem Jahrhundert nicht über eigene Klimaziele verhandeln werde. Nach dem Klimagipfel 2006 in Nairobi haben zivilgesellschaftliche Organisationen gefordert: Jetzt muss Klima Chefsache werden. Heute ist es soweit: es werden mehr als 100 Regierungschefs nach Kopenhagen kommen, darunter auch der US-Präsident. Die EU wird in Kopenhagen voraussichtlich ihr Ziel für 2020 von 20 auf 30 Prozent erhöhen. China übernimmt mehr und mehr die Führung im internationalen Klimaschutz. Und Indien hat am Wochenende vor dem Kopenhagener Klimagipfel seine Vorschläge für Effizienzziele vorgelegt.

In Kopenhagen muss der nächste große Schritt gelingen. Die Medien und die Weltöffentlichkeit dürfen sich nicht von Feuerwerk und Nebelkerzen täuschen lassen. Die Klimaschutzdynamik lässt sich nicht mehr bremsen.

Kommt sie nicht zu spät? Schon die Frage ist falsch gestellt. Für manches kommt sie wahrscheinlich tatsächlich zu spät. Für anderes nicht. Es lohnt sich, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen:

"The most foolish no-fighting-spirit statement made by scores of people, is this: "We have already passed the tipping point, it is too late." They act as if a commitment to a meter of sea level rise is no different than a commitment to several tens of meters. Or, if a million species become committed to extinction, should we throw in the towel on the other nine million?" James Hansen, The Observer, 29.11.09


Hauptforderungen auf einen Blick
Verabschiedung des 1,5 bis 2-Grad-Limits und der Langfristziele für 2050 in der gemeinsamen Vision
Rechtlich verbindliche Kurzfristziele (bis 2017 bzw. 2020) für die Industrieländer und verbindliche, ambitionierte Klimaschutzaktionen für die Schwellenländer
Sanktions- und Anreizmechanismus für Zielerreichung (Emissions- und Finanzziele)
Reduktion der Industrieländer-Emissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990.
Gemeinsame Standards für Bericht und Review der Treibhausgasemissionen aus Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF).
Gemeinsame Standards für nationale Treibhausgasregister und den Transfer von Treibhausgaseinheiten in verschiedene Länder.
Gemeinsame Standards für den globalen Emissionshandel.
Aktionsprogramme und relative Reduktionsziele für Schwellenländer.
Nutzung international akzeptierter Methodiken beim Bericht der Emissionen und internationale Überprüfung der Umsetzung der versprochenen Ziele.
Erreichen des globalen Peaks (Scheitelpunkt des globalen Emissionsausstoßes) vor 2017.
Schlupflöcher durch "Hot Air" vermeiden.
Umfassender, transparenter und zeitnaher Bericht und Review (Überprüfung) der nationalen Treibhausgasemissionen sowie der zugesagten Ziele und politischen Aktivitäten im Jahr 2015
Möglichkeit einer Notfall-Überprüfung (Emergency Review)
Finanzierung in Höhe von 110 Milliarden Euro jährlich für Klimaschutz, Regenwaldschutz sowie Anpassung; dies sollte mit neuen und zusätzlichen öffentlichen Mitteln erfolgen, also nicht im Rahmen des 0,7-Prozent-Ziels.
Instrumente der internationalen Risikoteilung etablieren, die nach Großkatastrophen einspringen, u.a. Rahmenbedingungen für Mikro-Versicherung gegen Klimaschäden in den ärmsten Entwicklungsländern
Anpassungsfonds weiter und unter US-Beteiligung ausbauen
Instrumente, welche die Finanzmittel generieren: Versteigerung oder Verkauf der verbleibenden Emissionsrechte an die Industrieländer, Abgaben oder Versteigerungserlöse aus dem Emissionshandel durch den internationalen Flug- und Schiffverkehr, Versteigerungserlöse aus den nationalen Emissionshandelssystemen.
Rechtlich verbindliches, internationales Abkommen - keine bloß "politisch verbindliche" Absprache.
Zunächst sollte die Substanz der Verpflichtungen für Industrie- und Schwellenländer in den beiden Verhandlungsforen - der Arbeitsgruppe zur zweiten Verpflichtungsperiode zum Kyoto-Protokoll (AWG-KP) und der Arbeitsgruppe innerhalb der Klimarahmenkonvention (AWG-LCA) - getrennt verhandelt werden. Erst wenn die Substanz geklärt ist und sich keiner über den Tisch gezogen fühlt, kann man konstruktiv darüber verhandeln, ob man die Ergebnisse in einem Abkommen zusammenführt.

Weitere Informationen zum Klimagipfel: www.germanwatch.org/klimagipfel www.boell.de/oekologie Blog mit täglich aktuellen Informationen aus Kopenhagen: www.klima-der-gerechtigkeit.de


[1] Vgl. die offizielle Begründung des Nobelpreiskomitees, http://nobelpeaceprize.org/en_GB/laureates/laureates-2009/announce-2009/
[2] Vollständiger Bericht unter: http://www.un.org/esa/policy/wess/ , 2.9.09
[3] vgl. Rede des maledivischen Präsidenten Mohamed Nasheed vor dem Forum der Klimagefährdeten, 9.11.2009. www.presidencymaldives.gov.mv/4/?ref=1,6,2469
[4] http://unfccc.int/files/meetings/cop_13/application/pdf/cp_bali_action.pdf
[5] Ein Kopenhagener Klima-Abkommen Version 1.0. Entwurf für ein Kopenhagen-Abkommen von Mitgliedern von Nichtregierungsorganisationen, Juni 2009. www.germanwatch.org/klima/treaty1ovnar-d.pdf
[6]Quelle: J. Blazejczak, F. Braun und D.Edler in: DIW-Wochenbericht Nr. 18/2009, S. 294-301, www.diw.de/sixcms/detail.php/237602
[7] Nick Mabey, Sorting Blinks from Winks in the Copenhagen End Game", non paper, 2009
[8] Nick Mabey, ebd.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Ein "klimasicheres" CO2-Budget - die Konsequenzen eines späten Emissionsscheitelpunkts.
Grafik: WBGU (2009): Factsheet "Warum 2°C".
www.wbgu.de/wbgu_factsheet_2.html

Kasten: IEA - Analysis: Room to move for EU


Heinrich-Böll-Stiftung
Die grüne politische Stiftung
Schumannstraße 8, 10117 Berlin
Telefon 030.285 34-0, Fax 030.285 34-109
www.boell.de

Germanwatch e.V.
Dr. Werner-Schuster-Haus
Kaiserstr. 201, 53113 Bonn
Tel. 0228/60492-0, Fax -19
http://www.germanwatch.org


Eine englischsprachige Fassung erscheint im Laufe des Wochenendes und wird dann über unsere Klimagipfel-Website abrufbar sein, auf der Sie in den kommenden zwei Wochen auch regelmäßig aktuelle Informationen zum Gipfel finden werden, inklusive Berichte unseres vor Ort aktiven Klimagipfel-Teams: http://www.germanwatch.org/klimagipfel


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Quelle:
Germanwatch e.V., 05.12.2009
Dr. Werner-Schuster-Haus
Kaiserstr. 201, 53113 Bonn
Tel.: 0228/60492-0, Fax: 0228/60492-19
E-Mail: klimakompakt@germanwatch.org
Internet: http://www.germanwatch.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2009