Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2018
Lebensadern unserer Erde
Flüsse - begradigt, gestaut, zerstört.
Verdammt gefährdet
Der Kampf um Europas letzte Wildflüsse
von Christian Stielow
Europas Blaues Herz schlägt auf dem Balkan: Nirgendwo sonst in Europa gibt es eine vergleichbare Vielfalt unberührter Flusslandschaften. Doch diese Vielfalt ist bedroht. An die 3.000 Wasserkraftwerke sind zwischen Slowenien und Griechenland derzeit geplant - würden sie alle realisiert, wären die Folgen für die Natur katastrophal. Die Menschen vor Ort beginnen, sich gegen die wahnwitzigen Pläne zu wehren.
Wenn Sie sich eine Traumlandschaft vorstellen, wie würde diese
aussehen? Vielleicht so: hohe Berge mit schneebedeckten Gipfeln,
geheimnisvolle Wälder mit dichtem Unterholz, saftige Wiesen, über die
im Herbst der Nebel wabert und klare, smaragdgrün leuchtende Flüsse,
die ungebremst durch schroffe Schluchten und liebliche Täler fließen?
Solch eine Bilderbuchlandschaft gibt es wirklich, in Europa! In
zahlreichen Staaten der Balkanhalbinsel hat sich durch jahrzehntelange
Abschottung und aufgrund fehlender politischer Stabilität nach der
Wendezeit eine in weiten Teilen intakte Natur erhalten können.
Insbesondere die Flusslandschaften sind von faszinierender
Ursprünglichkeit.
Bedrohte Schönheit
Rund 80 Prozent der Balkanflüsse sind in einem guten oder sogar sehr
guten Zustand. Zum Vergleich: In Deutschland gelten nur noch weniger
als 10 Prozent der Flüsse als naturnah, 60 Prozent sind dagegen stark
reguliert. Wer hierzulande meint, einen unberührten Fluss vor sich zu
haben, war noch nicht auf dem Balkan. Das Blaue Herz Europas ist eine
kaum bekannte Perle in der europäischen Naturschatzkiste und noch
weitestgehend unerforschtes Terrain. Erste systematische
Untersuchungen ganzer Flusseinzugsgebiete zeigen: Die Wildflüsse des
Balkans zählen zu den Hotspots biologischer Vielfalt in Europa.
Dies scheint die PolitikerInnen der Balkanstaaten jedoch nicht zu interessieren; sie vergeben - oftmals an ausländische InvestorInnen - bereitwillig Konzessionen für den Bau von Wasserkraftwerken. Nach aktuellem Stand sind annähernd 3.000 Wasserkraftprojekte im Südosten Europas geplant. Sollten alle diese Pläne umgesetzt werden, würde Europas blaues Herz aufhören zu schlagen.
Kleine Kraftwerke, große Zerstörung
Ein Großteil des "Staudamm-Tsunamis" besteht aus sogenannten
Kleinwasserkraftwerken. Sie leiten das Flusswasser über in den Fels
gesprengte Pipelines ab, um an anderer Stelle Strom zu erzeugen.
Unterhalb der Ableitung verbleibt dann höchstens ein Rinnsal im
Flussbett, in dem Fische und andere Lebewesen kaum eine Chance zum
Überleben haben. In den Sommermonaten trocknen die betroffenen
Flussläufe dann meist vollständig aus - eine ökologische Katastrophe.
Aufgrund ihrer geringen Größe ist oftmals keine
Umweltverträglichkeitsprüfung für den Bau der Kleinwasserkraftwerke
vorgeschrieben. Selbst vor Schutzgebieten machen die Bauarbeiten
keinen Halt, mit all den negativen Begleiterscheinungen der für den
Bau benötigten Infrastruktur (Straßen, Stromleitungen, Pipelines
etc.).
Das Absurde daran: Die Energiebilanz von Kleinwasserkraftwerken ist mehr als ernüchternd. Auf der Seite des Umweltbundesamtes heißt es: "Typisch für den Kraftwerksbestand in Deutschland [...] ist die große Anzahl an Kleinwasserkraftanlagen. Sie dominieren zwar den Anlagenbestand, die wenigen großen Anlagen erzeugen jedoch weit über 80 Prozent des Stroms [...] in Deutschland."[1] Der Anteil von Strom aus Kleinwasserkraftwerken am gesamtdeutschen Energiemix beträgt gerade einmal 0,07 Prozent. Ähnlich stellt sich die Situation auf dem Balkan dar.
Verheerende Folgen auch für die Menschen
"Was nützt der erzeugte Strom, wenn die Menschen kein Brot mehr zu
essen haben?", fragt sich Xhevahir Shkurti. Der ältere Herr aus einem
kleinen Dorf in Albanien ist wütend; wütend auf das Kraftwerk, durch
das seine Getreidemühle nicht mehr mit Wasser versorgt wird und wütend
auf die Regierung in Tirana, die den Bau genehmigt hat. Es ist noch
nicht lange her, da mahlten Xhevahir Shkurti und sein Sohn Preparim
das Getreide von 15 Gemeinden. Die Mühle wurde durch das Wasser des
Flusses Rapuni angetrieben - eine nachhaltige Nutzung von Wasserkraft,
wie sie seit Jahrhunderten betrieben wird. Dann kam das Kraftwerk.
Seitdem steht die Mühle still. Die Staumauer hat dafür gesorgt, dass
das Flussbett unterhalb der Anlage vollkommen ausgetrocknet ist.
Verantwortlich für den Bau ist unter anderem die iC-Group, laut eigenem Selbstbild "die Expertengruppe für komplexe Ingenieur-Projekte und technisch-interdisziplinäre Gesamtlösungen". Ihren Sitz hat die Firma in Wien. Fast alle Ingenieurbüros, Baufirmen und GeldgeberInnen, die mit Wasserkraft auf dem Balkan Geld verdienen wollen, kommen aus dem Ausland. Insbesondere Entwicklungsbanken - im Falle des Rapuni-Kraftwerks die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) - aber auch Geschäftsbanken vor allem aus Österreich und Italien machen gute Geschäfte mit der Errichtung von Staudämmen auf der Balkanhalbinsel. "Bei den Banken herrscht eine Art Goldgräberstimmung", sagt Theresa Schiller von der international tätigen Naturschutzstiftung EuroNatur. Sie koordiniert die gemeinsam mit der NGO Riverwatch und zahlreichen lokalen Organisationen durchgeführte Kampagne "Save the Blue Heart of Europe" zum Schutz der Balkanflüsse. "Viele der von den ausländischen Geldinstituten finanzierten Kraftwerke würden in ihren Heimatländern aus Umweltschutzgründen keine Bewilligung erhalten", so Schiller weiter.
Der Kampf nimmt Fahrt auf
Die Finanzierung durch internationale Banken zu stoppen, ist einer der
Hebel, an dem die Kampagne ansetzt. "No Money - No Dams" (Kein Geld -
Keine Staudämme) lautet der Name einer Petition des amerikanischen
Outdoor-Unternehmens Patagonia gegen die Finanzierung von
Staudammprojekten in Südosteuropa. Bis zum Frühsommer hatten schon
mehr als 120.000 Menschen ihren Namen unter die Petition gesetzt. Die
ausgedruckte Unterschriftenliste übergaben VertreterInnen der Blue
Heart-Kampagne sowie von Patagonia im Juni an hochrangige
MitarbeiterInnen der EBWE in London. Diese signalisierten, sich aus
der finanziellen Unterstützung für Wasserkraftprojekte zurückzuziehen
- zumindest in geschützten Gebieten.[2]
Die Geldflüsse auszutrocknen, ist eine Möglichkeit, die Staudammflut auf dem Balkan zu verhindern. Doch auch die lokale Bevölkerung muss ihren Unwillen gegen die Zerstörung ihrer Heimat bekunden. Der von Patagonia in Auftrag gegebene Dokumentarfilm "Blue Heart" erzählt mit eindrücklichen Bildern und bewegenden Geschichten von Europas letzten wilden Flusslandschaften und ihrer Bedrohung durch den Ausbau der Wasserkraft. Im Sommer 2018 tourte der Film quer über den Balkan und konnte dank eines solarbetriebenen, mobilen Kinos auch in abgelegenen Dörfern gezeigt werden. Also genau dort, wo die betroffenen BürgerInnen leben und durch die naturzerstörerischen Projekte ihre Lebensgrundlage verlieren. Der Film zeigt Menschen, die sich mutig den Interessen der Staudammlobby entgegenstellen und den ZuschauerInnen somit inspirierende Vorbilder sind. Ein Beispiel: Die tapferen Frauen von Kruscica. Seit dem Sommer 2017 besetzen sie eine Brücke über den gleichnamigen Fluss, der die BewohnerInnen des bosnischen Dorfes mit frischem Trinkwasser versorgt. Sie widersetzten sich bereits 2 Räumungsaktionen des Investors; bei der ersten Aktion waren die Frauen brutaler Polizeigewalt ausgeliefert. Mittlerweile hat ein bosnisches Gericht die Baugenehmigung aufgehoben - die tapferen Frauen von Kruscica haben einen Etappensieg erreicht.
Hoffnungszeichen für die Balkanflüsse
Die Entscheidung des Kantonsgerichts im Fall Kruscica ist nicht das
erste Gerichtsurteil im Sinne der FlussschützerInnen auf dem Balkan.
Im Mai 2017 stoppte das albanische Verwaltungsgericht ein großes
Staudammprojekt an der Vjosa, dem größten erhaltenen, sprich noch
unverbauten Wildfluss auf dem Balkan. Der 'Fall Vjosa' war das erste
Gerichtsverfahren zu einem Umweltprojekt in Albanien überhaupt, auch
ein Zeichen dafür, dass die Zivilgesellschaft der Region im Wandel
begriffen ist.
"Es steht außer Frage, dass die BewohnerInnen der Balkanstaaten ein Anrecht auf die Verbesserung ihrer Lebensumstände haben. Aber es gibt Lösungsansätze zur Energieerzeugung, die nicht die letzten Wildflüsse unseres Kontinents zerstören. Bei 300 Sonnentagen im Jahr wäre Solarenergie eine sinnvolle Alternative zur Wasserkraft in Albanien", erläutert Ulrich Eichelmann, Geschäftsführer von Riverwatch.
Die NaturschützerInnen der Kampagne 'Save the Blue Heart of Europe' geben sich keinen illusorischen Hoffnungen hin. Ihnen ist klar, dass sie nicht alle 3.000 geplanten Wasserkraftwerke verhindern können. "Deshalb haben wir einen Ökomasterplan erarbeitet, der Tabuzonen für Wasserkraftprojekte an den Balkanflüssen definiert. Wir wollen erreichen, dass sich internationale Finanzinstitute selbst verpflichten, keine Kraftwerke in solchen Tabuzonen zu fördern. Für rund ein Drittel der geplanten Wasserkraftprojekte gibt es noch keine InvestorInnen, darin liegt unsere Chance", sagt Theresa Schiller. Sie und ihre MitstreiterInnen der Blue Heart-Kampagne sind überzeugt davon, die traumhaften Flusslandschaften auch für kommende Generationen bewahren zu können.
Autor Christian Stielow arbeitet in der Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit der Naturschutzstiftung EuroNatur.
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für
Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der
deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger
Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring,
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR)
e.V.
[1] https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/fluesse/nutzung-belastungen/nutzung-von-fluessen-wasserkraft#textpart-3
[2] https://balkanrivers.net/sites/default/files/Financing-hydropower-southeast-Europe-web-fin.pdf.
*
Quelle:
Rundbrief 4/2018, Seite 4 - 5
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2019
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