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FORSCHUNG/335: Zurück in die Lausitz - Pilotprojekt klärt Wiederansiedlungschancen für Auerhuhn (NATURMAGAZIN)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 3/2012

Zurück in die Lausitz
Pilotprojekt klärt Wiederansiedlungschancen für Auerhuhn

von Wolfgang Ewert



Mitte des 19. Jahrhunderts war die Welt für Lausitzer Auerhühner noch weitgehend in Ordnung. Den Hennen standen rund 200 Auerhähne zur Wahl, die sich auf 18 Balzplätzen um ihre Gunst bewarben. Rund 150 Jahre später hatte das Auerhuhn jedoch seinen Lebensraum in der Lausitz und diese dadurch eine attraktive Art verloren. Seit Ende der 1990er Jahre gelten Auerhühner in ganz Brandenburg als verschollen. Ein Pilotprojekt soll nun klären, ob nach Habitatsverbesserungen Chancen für eine Wiederansiedlung des größten heimischen Hühnervogels bestehen.


Gesprenkeltes Kleid, roter Überaugenstrich - hübsch sieht sie aus, die Migrantin aus dem hohen Norden. Naturparkleiter Lars Thielemann hat sichtlich Mühe, die Henne auf seinem Arm zu beruhigen. Gleich wird sie in die Freiheit entlassen werden - so, wie ihre 26 Gefährtinnen vor ihr auch. Vor wenigen Tagen hatten sie sich alle noch im verschneiten Schweden getummelt, wo sie im wahrsten Sinne des Wortes von der Straße weggefangen wurden. Aus dem fahrenden Auto heraus waren die am Straßenrand nach Futter suchenden Vögel gekeschert, anschließend untersucht, verpackt und per Flugzeug nach Deutschland gebracht worden. Selbst das schwedische Fernsehen hatte von der Fangaktion in den Staatswaldgebieten der Tärnaby mountains in der Provinz Västerbotten berichtet. Im Naturpark Niederlausitzer Heidelandschaft sollen sie nun im Rahmen eines Pilotprojektes eine neue Auerhuhnpopulation mitbegründen. Nach zwei Jahren, so erhofft man sich, sollen sich daraus die Erfolgsaussichten für eine spätere Wiederansiedlung des Charaktervogels ableiten lassen.


Aus Fehlern gelernt

Auch andernorts, beispielsweise im Rothaargebirge und im Harz, gab es Versuche, Auerhühner wieder anzusiedeln. Die Ansiedlung der aus Gehegeaufzuchten stammenden Tiere scheiterte jedoch unter anderem an der unzureichenden Freilanderfahrung der Vögel und dem daraus resultierenden Fehlverhalten gegenüber Feinden sowie aus ernährungsphysiologischen Gründen. Die Henne, in diesem Fall ein Gehegetier ohne Freilanderfahrung, prägt nämlich nicht nur das Feind- sondern auch das Ernährungsverhalten der Jungtiere. Dem Nachwuchs der Gehege-Hennen fehlten daher wichtige Kenntnisse für ein Leben "draußen".


Vereint erfolgreich

Bemerkenswert am Lausitzer Auerhuhnprojekt ist, dass es sowohl von Naturnutzern - Jäger, Forstleute und Landwirte - als auch von Naturschützern unterstützt wird - eine nicht alltägliche Allianz. Und dass sich die Lebensraumbedingungen im Projektgebiet inzwischen erheblich verbessert haben - sowohl für Auerhühner als auch für viele andere Arten. So übt heute weder das Militär im Auerhuhnland noch graben sich Schaufelradbagger durch Lausitzer Boden. Aber auch Waldumbaumaßnahmen, Schutzgebietsausweisungen und Moorrenaturierungen haben ihren Anteil daran, selbst die Lausitzer Luft ist heute wieder vergleichsweise sauber.

Die positiven Veränderungen sieht, wer offenen Auges durch die Liebenwerdaer Heide geht. Blaubeervegetation ohne Ende in einem gut strukturierten naturnahen Wald. Alles scheint da zu sein, was ein Auerhuhn braucht. Eigentlich müssten sich die aus dem winterlichen Schweden ins frühlingshafte Brandenburg Gekommenen dort wie im Schlaraffenland fühlen. Bleibt zu hoffen, dass die Vögel die mehr als zehnjährigen Anstrengungen der vielen engagierten Akteure mit zahlreichem Nachwuchs honorieren.


Wissenschaftlich begleitet

Ob das so sein wird, welche Waldstrukturen die Auerhühner bevorzugen, wie groß ihre Raumansprüche sind - diese und andere Fragen wird eine wissenschaftliche Untersuchung klären. Mittels moderner telemetrischer Methoden stehen die Vögel unter Dauerbeobachtung. Die an den Tieren angebrachten GPS-Datenlogger werden in den kommenden Monaten alle Bewegungen im Gelände speichern und helfen, das Verhalten der Tiere und die Nutzung ihrer Lebensräume zu ergründen.

Die Bedeutung der wissenschaftlichen Begleitung hebt auch Wolfgang Mädlow, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Berlin-Brandenburgischer Ornithologen (ABBO), hervor. Persönlich steht er dem Projekt wohlwollend gegenüber, auch wenn er ein Scheitern nicht ausschließt. In der Entnahme der Wildfänge sieht er kein Problem, da sie im Herkunftsland keinen relevanten Bestandsverlust mit sich bringe. Auch die Kriterien für eine erfolgversprechende Aussetzung seien erfüllt, so Mädlow.

Träger des aus Mitteln zur Förderung der integrierten ländlichen Entwicklung (ILE) unterstützten Projektes ist der Förderverein des Naturparks Niederlausitzer Heidelandschaft. Im Herbst sollen in einer weiteren Fangaktion die attraktiven Hähne nachkommen. Diese ließen sich im Frühjahr zum Bedauern von Projektkoordinator Uwe Lindner nicht so leicht fangen. Doch auch ohne Hähne wird in der Lausitz Auerhuhnnachwuchs erwartet. Die Hennen sollen nämlich bereits getreten worden sein. Im kommenden Jahr folgt dann noch eine weitere aus Schweden stammende Gruppe für das Auerhuhnentwicklungsgebiet Rochauer Heide im Naturpark Niederlausitzer Landrücken.

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Quelle:
NATURMAGAZIN, Nr. 3, August bis Oktober 2012, Seite 66-37
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Natur & Text in Brandenburg GmbH
Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2013