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GEFAHR/158: Hamburgisches Wattenmeer - Deponie im Weltnaturerbe? (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 2/2021
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Hamburgisches Wattenmeer
Deponie im Weltnaturerbe?


von Severin Zillich

Direkt an ihrem Nationalpark im Watt plant die Stadt Hamburg dauerhaft Schlick aus dem Hafen zu verklappen. Der BUND versucht diesen Naturfrevel mit allen Mitteln zu verhindern.


Im Februar reichte die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof Klage ein. Der Anlass: Deutschland hat seine wertvolle Natur bisher nicht ausreichend gesichert. Auch liegen für die FFH- und Vogelschutzgebiete keine messbaren Ziele vor. Wie sehr der Schutz unserer Natur noch immer wirtschaftlichen Zielen untergeordnet wird, illustriert ein Fall aus dem Weltnaturerbe Wattenmeer.

SISYPHOS LÄSST GRÜSSEN

Nach eineinhalb Jahren Baggerei wurde sie kürzlich abgeschlossen, die neunte Elbvertiefung der vergangenen 200 Jahre. Rund 800 Millionen Euro hat es gekostet, den Fluss bis zur Mündung bei Cuxhaven auf 14,5 Meter zu vertiefen. Seit Anfang Mai können nun noch größere Containerschiffe Deutschlands wichtigsten Hafen anlaufen. Nicht die größten wohlgemerkt, denn die benötigen inzwischen schon wieder zwei Meter mehr.

Damit Hamburg im Wettbewerb um die ständig wachsenden Frachter nicht den Anschluss verliert, ist die nächste Elbvertiefung wohl nur eine Frage der Zeit. Allein die nun erreichte Tiefe zu halten, ist eine Sisyphosarbeit: Mehr als neun Millionen Kubikmeter Schlick müssen dafür jedes Jahr aus dem Hafen geholt werden. Das meiste wird zehn Kilometer unterhalb in die Elbe gekippt. Doch jede Flut bringt einen Teil davon zurück. In seiner Not plant Hamburgs Senat daher eine neue Deponie zu errichten, weit draußen im Watt.

BESTMÖGLICH GESCHÜTZT

Etwa hundert Kilometer flussabwärts vom Hafen hat die Elbe die Nordsee erreicht. Vor der Küste liegen zwei Inseln an der Fahrrinne, Neuwerk und Scharhörn. Während Neuwerk per Fähre und Wattwagen zu erreichen ist, muss man nach Scharhörn zu Fuß übers Watt. Betreten werden darf die Insel nur in Begleitung ihres einzigen Bewohners, des Vogelwarts.

Jetzt im Frühling ist Scharhörn erfüllt vom Kreischen und Zetern Tausender Seevögel. Prägten vor einigen Jahren noch Seeschwalben das Bild, herrschen derzeit Silber-, Herings- und Sturmmöwen auf der Insel. Dazu kommen Rotschenkel und Austernfischer und weitere bedrohte Vogelarten.

All die Vögel, die hier gerade auf ihren Gelegen sitzen oder schon Junge füttern, sollten sich glücklich schätzen. Ein formal besser geschützter Brutplatz ist undenkbar: Scharhörn liegt in der Kernzone des Nationalparks Wattenmeer und ist als Biosphärenreservat zudem Modellregion für eine nachhaltige Entwicklung. Außerdem steht die Insel als Vogelschutz- wie FFH-Gebiet gleich doppelt unter dem Schutz der EU. Und sie ist Weltnaturerbe. Dazu eine Broschüre des Nationalparks: »Dies ist die höchste Auszeichnung, die ein Naturgebiet bekommen kann. Sie beinhaltet die Verantwortung, ein Ökosystem von herausragender, globaler Bedeutung zum Wohle jetziger und zukünftiger Generationen zu erhalten.«

DEUTLICHE KRITIK

Die Stadt Hamburg allerdings ficht das nicht an. Sie prüft, ob sie einen Teil ihres Hafenschlicks künftig vor Scharhörn abladen kann. Diese Deponie will der BUND Hamburg unbedingt verhindern. »Mit dem Schlick gelangen diverse Schadstoffe ins Watt, aus der Landwirtschaft, dem Hafen und der Schifffahrt«, so Geschäftsführer Manfred Braasch. »Darin findet sich alles Mögliche, vom längst verbotenen Insektizid DDT bis hin zu Quecksilber.«

Auch Carolin Rothfuß vom Verein Jordsand übt bei einem Ortstermin deutliche Kritik: »Schadstoffe haben im Wattenmeer nichts zu suchen.« Die Leiterin des Nationalparkhauses auf Neuwerk fürchtet zudem um das natürliche Verhältnis von Schlick und Sand im Weltnaturerbe.

UNVEREINBAR

Für den BUND Hamburg wäre die Verklappung des Hafenschlicks bei Scharhörn eine weitere Bestätigung dafür, wie stark das ständige Baggern in der Tideelbe die Natur belastet. Dazu BUND-Expertin Linda Kahl: »Der Bestand des einstigen Massenfisches Stint ist im dauertrüben Wasser schon auf ein Minimum geschrumpft. Wohl deshalb hat die größte deutsche Brutkolonie der Flussseeschwalbe an der Elbmündung in Dithmarschen 2020 nur jedes zehnte Junge durchgebracht, der Rest ist verhungert.«

Inzwischen kostet es die Hansestadt 100 Millionen Euro pro Jahr, ihre Fahrrinne freizuhalten. Mit jeder weiteren Vertiefung wird mehr Sediment im Fluss verfrachtet, der Dauerstress für die Elbe nimmt zu. Manfred Braasch fordert die Hamburger Politik darum auf, sich von einer Illusion zu verabschieden: »Die Interessen der Hafenwirtschaft sind mit dem Naturschutz unvereinbar. Die Stadt steht gesetzlich in der Pflicht: für eine ökologisch intakte Tideelbe; und für ihren Nationalpark im Wattenmeer.«



www.bund-hamburg.de/wattenmeer

Übrigens:
Der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer ist bestens per Bahn zu erreichen:
www.fahrtziel-natur.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Scharhörn wird nur zur Brutzeit von einem Vogelwart bewohnt.
Zu den Brutvögeln Scharhörns zählt die vom Aussterben bedrohte Sumpfohreule.
Hier will die Stadt Hamburg künftig ihren Schlick abladen.
Schlickbagger bei Blankenese: Musste Hamburg 1997 zwei Millionen Kubikmeter Sedimente aus der Elbe holen, sind es heute jedes Jahr schon mehr als neun.
Ein letztes Gedeck für die Elbe - Protestaktion im Sommer 2019.

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Quelle:
BUND MAGAZIN 2/2021, Seite 34-35
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
Internet: www.bund.net/bundmagazin
 
Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 13. Juli 2021

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