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INITIATIVE/418: Gipskarst in Thüringen - Biosphäre statt Raubbau! (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 2/2020
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

GIPSKARST IN THÜRINGEN

Biosphäre statt Raubbau!

von Severin Zillich


Beispielhaft zeigt ein Höhenzug bei Nordhausen, wie die Gipsindustrie bis heute mitten in Deutschland wertvollste Natur bedroht.


Wer Pläne verfolgt, die nur um den Preis großer Naturzerstörung zu verwirklichen sind, versucht diesen Umstand zumeist klein- und schönzureden. Nicht so der Bundesverband der Gipsindustrie. In einem Strategiepapier forderte er kürzlich ganz unverblümt, den Abbau von Naturgips in Deutschland ohne Rücksicht zu erweitern: Gesetzliche Hürden müssten beseitigt werden, damit die Bagger auch in Schutzgebiete vordringen könnten. Burkhard Vogel, Geschäftsführer des BUND Thüringen, wurde deutlich: »Dies kommt einer Aufforderung zum maßlosen Raubbau im Südharz gleich«, kritisierte er. »Das führt unseren bisherigen Dialog über eine schonende Nutzung von Naturgips ad absurdum.«

Vielfältig

Nun muss man wissen: Der Gipskarst im Südharz ist in vieler Hinsicht einzigartig. Über hundert Kilometer erstreckt er sich als schmaler Gürtel von Osterode in Niedersachsen bis Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. Dieses bedeutendste Gipskarstgebiet in Mitteleuropa zählt zu den 30 deutschen Hotspots der biologischen Vielfalt. Seine Flora und Fauna weisen bemerkenswerte Arten auf. So gedeihen hier Pflanzen wie Frauenschuh, Fransenenzian oder Grauscheidiges Federgras. Als Relikte der Eiszeit überdauerten die Alpen-Gänsekresse und eine nur noch hier vorkommende Unterart des Brillenschötchens. Die Umgebung von Nordhausen - ein zentraler Teil des Gipskarstes - gilt gar als eine der botanisch reichsten Regionen von Ostdeutschland. Die Tierwelt steht der Pflanzenwelt in nichts nach: Allein ein Dutzend verschiedene Fledermäuse besiedelt die Karsthöhlen und alten Laubwälder. Wildkatzen leben hier in einer Dichte wie kaum sonst irgendwo; und mit ihr Haselmaus, Uhu, Feuersalamander, Hirschkäfer und weitere Raritäten.

Vom Gips geformt

Etliche Abschnitte des Gipskarstgürtels stehen daher unter nationalem und europäischem Schutz. So auch nordwestlich von Nordhausen das 962 Hektar große Fauna-Flora-Habitat »Kammerforst-Himmelsberg-Mühlberg«. Es beherbergt alte Buchenwälder, orchideenreiche Trockenrasen, Felsabhänge mit Blaugras, Feuchtbiotope am Fuß der markanten Steilhänge sowie Höhlen und Erdfälle. Quer durchs Gebiet windet sich das Flüsschen Zorge, von einer naturnahen Aue gesäumt. Nur zwei Kilometer westlich verläuft an der Grenze zu Niedersachsen das Grüne Band. Und im Norden markieren dicht bewaldete Hügel den Beginn des Harzes.

Ungewöhnlich abwechslungsreich also präsentiert sich diese Gegend. Geformt hat sie der Gips - ein großer Segen, und zugleich ein Fluch.

Letzte Rettung?

Denn so malerisch die Landschaft ist, so hässlich sind die Wunden, die der Mensch ihr seit hundert Jahren schlägt. Die Aktiven des BUND Nordhausen haben den Raubbau täglich vor Augen. Bei einer gemeinsamen Tour Anfang März verdeutlichte die Vorsitzende Heidi Schell das Ausmaß der Naturzerstörung. Zwei benachbarte Steinbrüche fressen sich in den bewaldeten Nordhang, die Naturschutzgebiete Himmelsberg und Mühlberg verbindet nurmehr ein schmaler Waldstreifen. Auch dieser drohte der Gipsindustrie geopfert zu werden - die Betreiber der Steinbrüche drängten auf eine abermalige Erweiterung. Vorsorglich hatte man den Bereich schon intensiv durchforstet und zahlreiche Altbuchen und Eichen gefällt.

Erst kurz nach dieser Tour (Heidi Schell hatte die Hoffnung fast aufgegeben) gelang es Thüringens Umweltministerium, ein Verfahren zu eröffnen für ein Naturschutzgebiet am Bromberg, dem Mittelteil des Höhenzugs. Wie zuletzt am benachbarten Winkelberg scheint es einer Ausweitung des Raubbaus hier einen Riegel vorschieben zu können.

Inwiefern der Waldstreifen an der Abbaukante damit wirklich als Biotopverbund gerettet ist, werden die nächsten Wochen zeigen. Parallel jedenfalls treibt die Gipsindustrie die Vergrößerung ihrer Steinbrüche weiter voran. Der BUND Nordhausen will alles in Bewegung setzen, damit sich die Wunden im Bromberg nicht doch zu einem Geschwür auswachsen.

Biosphäre

Selbst wenn dieser reizvolle Naturverbund nun doch bewahrt werden sollte: Die Zerstörung des Gipskarstes im Südharz hat System. Das zeigt der großflächige Abbau am Alten Stolberg, am Kohnstein oder an den Elricher Klippen, dokumentiert im »Schwarzbuch Gips« des BUND Thüringen (siehe unten). Auch im niedersächsischen Gipsgürtel reiht sich ein Steinbruch an den nächsten.

Einzig Sachsen-Anhalt hat es geschafft, seinen Gipskarst großflächig zu sichern, mit einem Biosphärenreservat und (noch vor 1990) großräumig ausgewiesenen Naturschutzgebieten. Weil das Klein-Klein der Thüringer Schutzgebiete der aggressiven Gipsindustrie offenkundig zu wenig entgegenstellt, wirbt der BUND seit Jahren für eine länderübergreifende Biosphäre. Heidi Schell ist überzeugt: »Eine Modellregion 'Karstlandschaft Südharz' würde Mensch und Natur nachhaltig bereichern. Sie böte auch der Industrie Anreize, ihren Hunger auf Naturgips mit den vorhandenen Ersatzstoffen zu stillen.«


Mehr Informationen

Das üppig bebilderte Schwarzbuch Gips (32 S.)
gewährt gründliche Einblicke ins Thema.
Bezug: BUND Thüringen e.V., Tel. 0361/5 55 03 10
bund.thueringen@bund.net.
Gratis-Download: www.bund-thueringen.de

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Quelle:
BUND MAGAZIN 2/2020, Seite 34 - 35
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
Internet: www.bund.net/bundmagazin
 
Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2020

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