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SCHUTZGEBIET/644: Hamburgisches Wattenmeer - Idyll am Fahrwasser (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 2/2010
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

NATIONALPARK
Hamburgisches Wattenmeer
Idyll am Fahrwasser

Von Severin Zillich


Das deutsche Wattenmeer ist durch drei Nationalparks fast flächendeckend geschützt. Der bei weitem kleinste liegt direkt an der Elbmündung. Aufgrund historischer Zugehörigkeit zur Hansestadt bilden hier 137,5 Quadratkilometer den Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer.


Auf ungeahnte Schwierigkeiten stößt, wer vor Saisonbeginn das Hamburgische Wattenmeer besuchen will. Die 300 Hektar kleine Insel Neuwerk nordwestlich vor Cuxhaven ist das einzig frei zugängliche Festland im Nationalpark. Und deren 35 Bewohner leisten sich den Luxus, die Insel von Anfang November bis Ende März für Besucher quasi dichtzumachen. Die wenigen Pensionen und Restaurants sind geschlossen, desgleichen der einzige Laden der Insel. Auch einen Fährverkehr zur Insel gibt es dann nicht. Bleibt nur, sich bei Ebbe übers Watt transportieren zu lassen, in einem der Anhänger, die alle paar Tage mit Lebensmitteln oder Insulanern nach Neuwerk gefahren werden. Die zehn Kilometer zu Fuß übers Watt zu laufen, sollte man im Winterhalbjahr tunlichst unterlassen. Denn breite Priele queren den mit Weidenruten markierten Weg, und hierin strömt das Wasser oft deutlich höher als normale Gummistiefel reichen. Es bleibt dann nur mit nackten Beinen durchs eisige Wasser zu waten, und das macht - bei aller Abenteuerlust - spätestens beim dritten Priel keinen rechten Spaß mehr.


Stetiger Wandel

Dabei hat Neuwerk schon im Vorfrühling viel zu bieten. Mitte März rasten Hunderte Ringel- und Nonnengänse im flachen Vorland, an der Küste warten dicht gedrängt Tausende Austernfischer und zahllose Große Brachvögel auf die nächste Ebbe. Dazu vielerlei Möwen, wohin das Auge blickt. Große Vogelscharen haben den langen Winter hier ausgeharrt, genau wie das seit Jahren auf Neuwerk brütende Pärchen des Wanderfalken, dem die Wintergäste genügend Nahrung boten. Im östlichen Vorland, das seit 2004 nicht mehr beweidet und dem Einfluss der Gezeiten geöffnet wurde, regenerieren sich nun die Salzwiesen. Hier lassen sich die ersten Feldlerchen des Jahres im stürmischen Wind zu kurzen Singflügen hinreißen. Neben Pfeif- und Spießenten werden Gruppen kleiner Watvögel zwischen den Binsen sichtbar, die zuweilen in rasantem Flug ihren Standort wechseln.

Neben Neuwerk, das zur Gänze dem Nationalpark zugeschlagen wurde, steht auch das sieben Kilometer entfernte Scharhörn Besuchern offen. Allerdings hat man sich zuvor beim Vogelwart anzumelden, dem einzigen Bewohner der Insel. Nur mit seiner Führung kann Scharhörn besichtigt werden. Weil die 20 Hektar große Düneninsel jedes Jahr etwa zwölf Meter nach Südosten wandert, musste seine Pfahlhütte seit 1939 schon dreimal umgesetzt werden. Vegetation und Vogelwelt des sandigen Scharhörns unterscheiden sich deutlich von der Neuwerks.

Künstlichen Ursprungs ist die dritte Insel des Nationalparks. Nigehörn (34 Hektar) wurde im Herbst 1989 von einem Saugbagger aufgespült und soll Seevögeln dauerhaft als ungestörter Brut- und Rastplatz zu dienen. Hier hat sich inzwischen eine bodenbrütende Kormorankolonie etabliert. Während Nigehörn nicht betreten werden darf, ist auf dem Kleinen Vogelsand nördlich von Neuwerk das Laufen und Reiten erlaubt. Hier können Gäste bei Ebbe auf Exkursionen nach Bernstein suchen oder mit dem Fernglas zu einer nahen Sandbank hinüberspähen, auf der regelmäßig Seehunde lagern.


Geschützt - genutzt

Dass im kleinen Hamburgischen Wattenmeer überdurchschnittlich viele Vögel und auch Seehunde leben, hat mit der nahen Mündung der Elbe zu tun. Denn ihre Nährstoffe sorgen für eine Menge Biomasse im Nationalpark, und damit für reichlich Futter. In zwei Fahrwassern schöpfen Krabbenkutter einen Teil der Biomasse ab - mit sehr viel Beifang, wie Dr. Klaus Janke von der Hamburger Umweltbehörde moniert. Von nachhaltiger Fischerei könne hier keine Rede sein. Auch wegen der Fischerei außerhalb des Nationalparks sei die Lebenswelt in den Prielen heute weit weniger vielgestaltig als noch vor hundert Jahren.

Immerhin sind über 90 Prozent des Parks als Ruhezone ausgewiesen. Der Rest wird naturverträglich genutzt - wie der Inselkern von Neuwerk. Hier weiden vor allem die Zugpferde der Wattwagen. Kurioserweise sind alle drei Wattenmeer-Nationalparks auch Biosphärenreservate. Doch was ist das Ziel? Ein Vorranggebiet für die Natur, Nutzung weitestgehend ausgeschlossen (= Nationalpark)? Oder eine nachhaltig genutzte Kulturlandschaft (= Biosphäre)? Die Idee hinter dieser Doppelausweisung ist, die Nationalparks langfristig als Kernzonen in größere Biosphärenreservate einzubetten und so nach außen abzuschirmen.


Gefahren von außen

Das aber ist vorläufig Zukunftsmusik - und für das Hamburger Watt insoweit ohne Belang, als die Umgebung einesteils bestens geschützt ist: als Nationalpark Niedersächsisches und (jenseits der Elbe) Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer; und ansonsten aus dem stark frequentierten Fahrwasser der Elbe besteht, das auch in hundert Jahren nicht zur Biosphäre taugt. Hier hat der kleine Park eine offene Flanke: In Sichtweite von Neuwerk steuern riesige Frachtschiffe den Hamburger Hafen an. Nach offiziellen Prognosen soll sich der Containerumschlag dort bis 2025 vervierfachen. Die BUND-Meeresschutzexpertin Nadja Ziebarth warnt: »Der starke Verkehr vor der Küste ist eine permanente Gefahr für das Wattenmeer.« Sie fordert, neben dem Wattenmeer auch die Schifffahrtswege darin zur »besonders empfindlichen Meereszone« zu erklären, was alle Schiffe zu größter Umsicht verpflichtete. Doch die Anrainer Dänemark, Deutschland und Niederlande konnten sich Mitte März bei einer trilateralen Konferenz nicht dazu durchringen.

Der Nähe zur Außenelbe wegen hatte Hamburgs Wirtschaft die Anmeldung des Parks zum Weltnaturerbe noch 2008 torpediert. Nun soll er doch nachgemeldet werden - gemeinsam mit dem dänischen Watt.

Ein anderes, noch weniger vom Nationalpark beeinflussbares Problem ist der Klimawandel. Wird das Wattenmeer dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer fallen, ganz oder nur in Teilen? Auf Neuwerk hat ein Gutachten der Nationalparkverwaltung dafür gesorgt, dass die Insulaner mittels Sonnenenergie und Energiesparen das Klima schonen. Auch werden die Besucher für die Klimaerwärmung sensibilisiert. Und schließlich einigten sich die drei Anrainer jüngst, das Wattenmeer bis 2030 zur »CO2-neutralen Region« zu entwickeln - was immer das heißen mag. All das wird wenig helfen, solange sich die internationale Politik als unfähig erweist, die Wurzeln des Klimawandels zu bekämpfen. Tun immerhin auch Sie, was Sie können, wenn Sie Neuwerk besuchen: Reisen Sie per Bahn (Cuxhaven) und Bus (Sahlenburg), dann übers Watt zu Pferd oder Fuß.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation: - Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer
- Nigehörn (vorne) und Scharhörn aus der Vogelperspektive; darunter: Neuwerk mit seinem 700 Jahre alten Leuchtturm.
- Die sechs Inselkinder werden von der NP-Verwaltung und dem Verein Jordsand zu Juniorrangern geschult.
- Primärdüne auf Scharhörn - Brütende Brandseeschwalben (und eine Lachmöwe) auf Neuwerk - Mit Pferdewagen übers Watt.


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Quelle:

BUNDmagazin 2/2010, Seite 26-27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2010