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SCHUTZGEBIET/696: Ramponiertes Kleinod Sächsische Schweiz (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 1/2011
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

NATIONALPARK
Sächsische Schweiz
Ramponiertes Kleinod

Von Severin Zillich


Im Elbsandsteingebirge schützt der Nationalpark Sächsische Schweiz - angrenzend an den Nationalpark Böhmische Schweiz auf tschechischer Seite - eine imposante Wald- und Felsenlandschaft. In den letzten Monaten wurde dem Schutzgebiet großer Schaden zugefügt.

Die Kirnitzsch gehört zu den wertvollsten Lebensräumen im Nationalpark« - so ist ein idyllisches Foto im Nationalparkprogramm unterschrieben. Gehörte, muss man wohl sagen. Hilflos sieht Nationalparkwart Maik Hille Anfang Dezember mit an, wie im Kirnitzschtal schweres Gerät die intakte Aue des Flüsschens zerstört. Im Auftrag der Talsperrenverwaltung sägen Arbeiter Hunderte von Bäumen und Büschen um, schieben Bagger riesige Haufen von Gestrüpp und wertvollem Biotopholz zusammen. Wie ist das möglich, in der Ruhezone des Nationalparks? Im streng geschützten Lebensraum von Bachneunauge, Groppe und Forelle (die hier in einer lokalen Form existiert), von Wasseramsel und Eisvogel?

Möglich ist das, weil selbst ein Nationalpark nur begrenzt Schutz verspricht, wenn Bürokraten glauben, ihrem Argwohn gegen allzu ungestörte Naturentfaltung einmal freien Lauf lassen zu dürfen. Den Vorwand gab ein Hochwasser, wie es die Region an dem Elbezufluss seit zweihundert Jahren nicht gesehen hat. Dabei kam es im August zu beträchtlichen Schäden an Ufermauern und einzelnen Gebäuden, wohl auch durch Treibholz aus dem Nationalpark. Und das führte zum Beschluss, flussaufwärts auf vielen Kilometern jegliches Holz aus der Kirnitzsch zu entfernen (wohlgemerkt das, was selbst die Jahrhundertflut nicht mitgerissen hat), und dazu viele Ufergehölze. Über 20 Jahre natürliche Entwicklung wurden so mit einem Schlag zunichte gemacht. Übrigens soll die »Beräumung« künftig regelmäßig stattfinden. Weil an sächsischen Fließgewässern die Landestalsperrenverwaltung das Sagen hat, sind der Nationalparkverwaltung die Hände gebunden.


Nationalparkleiter abberufen

Ohne Widerspruch wird Jürgen Stein, dienstältester deutscher Nationalparkleiter, die sinnlosen Zerstörungen im Kirnitzschtal kaum hingenommen haben. Vielleicht war ja das der Grund für seine plötzliche Abberufung, wenige Tage zuvor? Stein leitete den Nationalpark von Anfang an, er hat sich kompetent und mit Leib und Seele, wie es heißt, für dessen Ziele eingesetzt. An seine Stelle rückte am 1. Januar der Leiter des benachbarten Forstbezirks, Dietrich Butter, ein in Naturschutzkreisen unbeschriebenes Blatt. Zwar ist der Nationalpark seit 2003 der Forstverwaltung (Sachsenforst) unterstellt. Doch die Demission von Jürgen Stein scheint politisch motiviert, angewiesen vom Umweltministerium.

Nun herrscht verbreitet Betroffenheit, nur der örtliche Tourismusverein applaudierte. Was zu einem der Kernkonflikte im Nationalpark führt. Die Sächsische Schweiz wird als traditionelles Wander- und Klettergebiet von unendlich vielen Wegen durchkreuzt. In dem zweigeteilten, mit 9 350 Hektar eher kleinen Parkgebiet sind über 400 km Wege plus 300 km Kletterzugänge und 755 Kletterfelsen ausgewiesen. In S-Bahn-Distanz zu Dresden wird das Gebiet ganzjährig von Sportlern und Erholungssuchenden bevölkert, drei Millionen Besucher waren es letztes Jahr, Tendenz steigend. Neue Wanderführer überbieten sich darin, noch die einsamsten Pfade einer großen Leserschaft zu erschließen.

Einen Weg zu sperren ist der Nationalparkverwaltung kaum mehr möglich, selbst wenn in kurzem Abstand Parallelwege bestehen. Der mächtige sächsische Bergsteigerbund und die Touristiker nutzen ihr Vetorecht und fordern im Zweifelsfall eher, neue Wege zu erschließen. Die letzten halbwegs ruhigen Bereiche des Nationalparks liegen (noch!) entlang der Staatsgrenze. Doch selbst hier haben Schwarzstörche letztes Jahr nach einer Störung ihre Brut aufgegeben. Dass Jürgen Stein in dieser - eines Nationalparks unwürdigen - Situation für einen behutsamen Rückbau des Wegenetzes plädierte, hat das Ministerium wohl ebenfalls zu seinen Ungunsten ausgelegt.


Probleme ignoriert

Um Konflikte wie diesen im Einklang mit den verbindlichen Schutzzielen eines Nationalparks zu lösen, hat Europarc als Dachverband der deutschen Großschutzgebiete begonnen, alle Nationalparks auf ihre Stärken und Schwächen zu prüfen. Am Anfang steht dabei eine Selbstevaluierung. Was die Nationalparkverwaltung der Sächsischen Schweiz hierzu erarbeitet hat, halten Sachsenforst und Umweltministerium seit über zwei Jahren unter Verschluss. Offenbar haben sie kein Interesse am Fortgang der Evaluierung. Es könnte ja sein, dass die Waldbehandlung im Nationalpark kritisch beleuchtet wird; der Umstand, dass Sachsenforst im Nationalpark eher als Wirtschaftsbetrieb auftritt (der er in erster Linie auch ist) denn als Hüter einer freien Naturentwicklung. Warum etwa wird in zwei Dritteln des Waldes der Borkenkäfer bekämpft? Bleibt zu hoffen, dass sich bestätigt, was der Verwaltung jüngst signalisiert wurde: dass im Laufe dieses Jahres doch eine externe Kommission eingeladen wird - als zweite Stufe der Evaluierung -, die das Management des Nationalparks näher untersuchen kann.


Wertvolle Arten

Verdient hätte es die Sächsische Schweiz. Eine solch bizarre Erosionslandschaft mit wuchtigen Tafelbergen und wilden Schluchten sucht ihresgleichen in Mitteleuropa. Mit dem formenreichen Gelände korrespondiert eine Vielzahl unterschiedlichster Lebensräume. So leben im Kellerklima der tief eingeschnittenen Täler Pflanzen und Pilze, die sonst nur im Gebirge gedeihen: wie Zweiblütiges Veilchen und Tannen-Bärlapp, Grubiger Fichtenmilchling und Mohrenkopf (Lactarius scrobiculatus, L. lignyotus). Neben der Fichte tritt auch die Weißtanne mit über tausend Altbäumen im Nationalpark auf; dies ist das wichtigste Vorkommen der vom Aussterben bedrohten Art in Sachsen. Ihr Nachwuchs aber wird noch zu stark verbissen, wie der stellvertretende Nationalparkleiter Sven Anders einräumt. Nachwuchsprobleme hat auch der Uhu, dessen Brutversuche in der Sächsischen Schweiz oft ohne Erfolg bleiben. Kein Wunder bei dem Besucherandrang ...

Dass das Personal des Nationalparks mittelfristig stark abgebaut werden soll, lässt für die Zukunft nichts Gutes erwarten: Wer steht den immer mehr Gästen dann noch mit Rat und Auskunft zur Seite? Und wer überwacht, dass die Verhaltensregeln im Nationalpark eingehalten werden?

Obwohl die Sächsische Schweiz an vielen Tagen stark überlaufen ist: Menschen, die sich dem Nationalpark sorgsam und mit einem kritischen Auge für all das nähern, was in ihm geschützt werden soll, kann es nicht genug geben. Kommen Sie außerhalb der Ferienzeiten, und denken Sie bei Ihrer Buchung daran, dass im Bad Schandauer Ortsteil Schmilka Sachsens einziges Bio-Hotel zu finden ist. Das gut gelegene »Helvetia« bietet neben »elektrosmog-reduzierten« Zimmern leckere Menüs, auf Wunsch auch vegetarisch und selbstverständlich in Bio-Qualität.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Blick vom Kleinen Zschand auf die Gleitmannstürme.

• Tatort Nationalpark: So - und schlimmer - sah es in diesem Winter überall am Unterlauf der Kirnitzsch aus.

• Als Fahrtziel Natur ist der Nationalpark - auch durch BUND-Initiative -bestens per Bahn erreichbar → fahrtziel-natur.de (viele Tipps + Infos)

• Von links: Führungen der Naturwacht sind zu allen Jahreszeiten sehr gefragt. Knapp 60 Meter hoch und 400 Jahre alt ist diese Fichte in der Kirnitzschklamm. Eine seltene montane Pflanze des Nationalparks ist der Stengelumfassende Knotenfuß.


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Quelle:
BUNDmagazin 1/2011, S. 26-27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2011