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SCHUTZGEBIET/894: "Heilige Hallen" in Mecklenburg-Vorpommern - Kurswechsel nötig (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 2/2022
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Mecklenburg
Kurwechsel nötig

Im Naturschutzgebiet »Heilige Hallen« bei Feldberg wächst auf 65 Hektar der älteste Buchenwald Deutschlands. Auch der umliegende Laubwald ist weiträumig geschützt. Die Forstwirtschaft hat ihn trotzdem massiv geschädigt.

von Severin Zillich


Mehr als 300 Jahre haben viele der Buchen in den Heiligen Hallen überdauert. Mächtige Baumgestalten säumen den Fußpfad durch das uralte Schutzgebiet. Seit ein Großherzog 1850 den Wald seiner Schönheit wegen aus der Nutzung nahm, war hier kaum mehr eine Säge zu hören. Die Februarstürme haben den Veteranen zugesetzt. Überall sind Baumkronen zersplittert, große Äste gebrochen und ganze Bäume umgestürzt. Das Reservat wirkt dadurch noch etwas wilder als sonst. Und doch nicht einmal annähernd so zerpflückt wie der direkt angrenzende Laubwald. Dem nämlich hat die Forstwirtschaft erst in jüngster Zeit weit gründlicher den Garaus gemacht.

Prädikat: wertvoll

Die Heiligen Hallen sind eingebettet in das europäische FFH- und Vogelschutzgebiet »Wälder bei Feldberg mit Breitem Luzin und Dolgener See«. Auf knapp 4000 Hektar beherbergt es eine ganze Reihe echter Seltenheiten: Mopsfledermaus und Schreiadler, Europäische Sumpfschildkröte oder den Eremit, einen Käfer, der hier noch häufig vorkommt. Das FFH-Gebiet soll die Lebensräume einer Vielzahl von Arten bewahren und verbessern, darunter etliche Waldmoore.

Besonderen Schutz genießen die Reste wertvoller Buchenwälder. Je älter ihre Bäume und je größer ihr Vorrat an Totholz, desto artenreicher zeigen sich vor allem die Insekten und Pilze. Um ihnen wieder mehr Raum zu verschaffen und Refugien wie die Heiligen Hallen ökologisch zu stabilisieren, soll auch der angrenzende Wald weitflächig und dauerhaft natürlich gedeihen können.

Fachlich gut?

So weit, so überzeugend. Wie ist der Waldschutz seit der Gründung des FFH-Gebietes im Jahr 2004 vorangekommen? Das muss sich in Mecklenburg-Vorpommern vor allem die Forstwirtschaft fragen lassen. In ihre Hände hat die Landesregierung die Waldentwicklung im Schutzgebiet gelegt. Welche Folgen das für die Umgebung der Heiligen Hallen hat, wird schon bei der Anfahrt nach Lüttenhagen deutlich. Hunderte von Hektar Laubwald haben Forstarbeiter hier einem Schirmschlag unterzogen, sprich: einen erheblichen Teil der großen Buchen gefällt. Die übrigen ragen nun weit aus dem einförmig aufschießenden Jungwuchs heraus, Wind und Sonne schutzlos ausgeliefert. Viele kränkeln sichtbar und dürften kaum mehr die Hälfte ihres natürlichen Lebensalters erreichen.

Das Zerstörungswerk blieb nicht lange unentdeckt. Naturschützer wie Ralf Mittermüller von der BUND-Gruppe Feldberger Seenlandschaft protestierten laut, die Presse wurde aufmerksam. Darauf reiste Ende 2020 der für Forstwirtschaft (wie Naturschutz) zuständige Landesminister Till Backhaus an und befand: Das Forstamt habe nach der landesweit üblichen »guten fachlichen Praxis« gehandelt, die Sorge um den Zustand des Waldes sei unbegründet. Auch der verantwortliche Förster versuchte zu beschwichtigen. Die nächsten hundert Jahre hätte der Wald (oder was davon übrigblieb) doch nun wieder Ruhe ...

Schwere Verstösse

Diese Ignoranz veranlasste den BUND-Landesvorstand zu einer ausführlichen Stellungnahme. Das Fazit der Vorsitzenden Bettina Baier lautet: »Die Abholzungen rund um die Heiligen Hallen sind ein schwerer Verstoß gegen das europäische Naturschutzrecht. FFH-Lebensräume und -Arten dürfen nicht beeinträchtigt werden. Dieses Gebot hat das Forstamt völlig missachtet.« Sie warnt: »Mit den Altbäumen im Laubwald drohen anspruchsvolle Arten wie der Schreiadler zu verschwinden.« Tatsächlich ist die Zahl seiner Brutpaare im Gebiet bereits von fünf auf nur noch ein bis zwei gesunken.

Der BUND dringt auf einen schnellen Kurswechsel bei der Bewirtschaftung FFH-geschützter Wälder - nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern. Schon 1990 urteilte das Bundesverfassungsgericht: »Die Bewirtschaftung des Staatswaldes dient der Umwelt- und Erholungsfunktion des Waldes, nicht der Sicherung von Absatz und Verwertung forstlicher Erzeugnisse.« Dies gelte umso mehr für die Betreuung des Waldes in FFH- und Vogelschutzgebieten, so Bettina Baier. Weder die Forst- noch die Naturschutzverwaltung (die über die »Pflegemaßnahmen« nicht informiert wurde) sei dazu fachlich und personell gut aufgestellt.

Was folgt?

Bei einem Besuch Anfang März bekräftigte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt: »Seit 30 Jahren gibt es das Netz der europäischen FFH- und Vogelschutzgebiete. Deutschland hinkt bei ihrem Schutz bis heute hinterher. Der Europäische Gerichtshof führt deshalb schon zwei Verletzungsverfahren. Dies ist auch unseren Aktiven zu verdanken, die solch grobe Verstöße regelmäßig nach Brüssel melden.«

Minister Backhaus übrigens kündigte Anfang 2021 an, in einer Arbeitsgruppe zu klären, ob und wie die Grundsätze der Waldbehandlung im Lande »aktualisiert« werden könnten. Erste Vorschläge sollten im vergangenen Herbst vorliegen, auch der BUND würde dann mit einbezogen. Landesgeschäftsführerin Corinna Cwielag wartet bis heute darauf. Eine Anfrage ans Ministerium blieb ohne Antwort.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Altbuche in den Heiligen Hallen.
  • Vom einst geschlossenen Buchenwald im FFH-Gebiet blieben nach dem Schirmschlag großflächig nur Reste.
  • Noch vergleichsweise häufig ist der Juchtenkäfer oder Eremit, speziell in den Heiligen Hallen.
  • Der vom Aussterben bedrohte Schreiadler zählt zu den Opfern der Forstwirtschaft im FFH-Gebiet.
  • Das Naturschutzgebiet »Heilige Hallen« liegt in einem FFH- und auch Vogelschutzgebiet.
  • Vor Ort: Die Landesvorsitzende Bettina Baier, Ralf Mittermüller vom BUND Feldberger Seenlandschaft, Landesgeschäftsführerin Corinna Cwielag und der Bundesvorsitzende Olaf Bandt (von links).

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Quelle:
BUND MAGAZIN 2/2022, Seite 34-35
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
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Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
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Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 12. Juli 2022

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