Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → MEINUNGEN

LAIRE/093: Märchenstunde - Das emissionsfreie Wasserstoff-Kraftwerk (SB)


Heiße Luft und nichts dahinter ...

Italienischer Energiekonzern übt sich in Volksverdummung


Nichts gegen Märchen, wirklich nicht, aber sie sollten doch an einem ihnen angemessenen Platz erzählt werden, sonst geraten sie leicht zum Versuch der Volksverdummung. Wie zum Beispiel das Märchen vom angeblich emissionsfreien Wasserstoff-Kraftwerk im italienischen Fusina, das der Energiekonzern Enel in Betrieb genommen hat. [1] Die 47 Millionen Euro teure Anlage ist genauso abgasfrei wie ein Auto mit abgestellten Motor, das den Berghang hinunterrollt. Wenn man ausblendet, daß das Auto irgendwie den Berg hinaufgefahren sein muß, ja gewiß, dann kann man sicherlich behaupten, es gebe keinerlei Schadstoffemissionen ab ...

Genauso verhält es sich mit dem Fusina-Kraftwerk "Andrea Palladio" nahe Venedig, das nach Betreiberangaben das weltweit einzige in dieser Größenordnung ist. Es habe eine Kapazität von zwölf Megawatt und gebe nur heiße Luft und Wasserdampf ab. Der Wasserdampf könne zu einem Kohlekraftwerk weitergeleitet werden, das weitere vier Megawatt Energie produziere. [1]

Ist es schon fragwürdig genug, eine grüne, vermeintlich schadstoffemissionsfreie Technologie mit einem Kohlekraftwerk zu verbinden, so wird die Anlage noch problematischer, betrachtet man die Herkunft des Energieträgers Wasserstoff. Den findet man nämlich nicht in der Natur, sondern er muß eigens hergestellt werden - unter beträchtlichem Energieaufwand! Dabei werden entsprechend große Mengen an Schadstoffen emittiert. So wie das Auto unter Energieverbrauch und der Emission von Abgasen den Berg hinaufgefahren ist, benötigt das Fusina-Wasserstoffkraftwerk zwingend energieaufwendig hergestellten Wasserstoff.

Jetzt hat sich aber der halbstaatliche Energiekonzern Enel etwas vermeintlich Schlaues ausgedacht und das "grüne" Wasserstoffkraftwerk in die Nähe eines Industrieparks gebaut, in dem Wasserstoff als "Nebenprodukt" anfällt, wie die "Neue Zürcher Zeitung" behauptet. [2] Das klingt wunderbar harmlos und soll wohl darüber hinwegtäuschen, daß auch das "Nebenprodukt" einen hohen Energieeinsatz erforderlich macht. Der Wasserstoff wird von dem Unternehmen Polimeri Europa (ENI) in Porto Marghera (Venedig) hergestellt, da es das Gas für seine eigene Fertigung benötigt. Es liefert nun einen Teil des Wasserstoffs über Spezialrohre, die besonders gasdicht sein müssen, an das Fusina-Kraftwerk.

Es handelt sich um eine Milchmädchenrechnung, wenn behauptet wird, daß durch das Wasserstoffkraftwerk verglichen mit einem Ölkraftwerk entsprechender Kapazität (60 Millionen kWh/Jahr) mehr als 17.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr eingespart werden. [2] Und daß in dem Fusina-Industriekomplex auch noch jährlich 70.000 Tonnen feststofflicher Müll verbrannt werden und dadurch Kohle als Energieträger eingespart wird, macht die Anlage auch nicht umweltfreundlicher.

Übrigens handelt es sich bei Polimeri um ein Unternehmen, das petrochemische Produkte herstellt. Zur Angebotspalette gehören keinesfalls für ihre Umweltverträglichkeit bekannte Grundsubstanzen für Kunststoffe wie Polyethylen, Polypropylen, PVC und Polyester, wie der Firmen-Website zu entnehmen ist. [3]

Fassen wir noch einmal zusammen, was von der Presse wie beispielsweise der NZZ unkritisch kolportiert wird: Innerhalb der Prozeßkette eines petrochemischen Großkonzerns wird Wasserstoff benötigt. Der Betrieb liefert nun einem Teil des Wasserstoffs an das teure, sehr aufwendig hergestellte Spezialkraftwerk, wo das Gas in elektrische Energie umgewandelt wird. Um den Wirkungsgrad der Anlage zu erhöhen, soll zudem ein Kohlekraftwerk mit heißem Dampf beliefert werden und ebenfalls Energie erzeugen. Solch ein Konzept als "umweltfreundlich" zu preisen, entzieht sich jeder Rationalität.

Nun gibt es aber gar nicht so viele Industriestandorte in Italien und anderen europäischen Staaten, als daß sich das Konzept der Wasserstoffnutzung verallgemeinern ließe. Das dürfte auch der Betreiber Enel wissen, so daß man sich nach dem Motiv des Konzerns fragen muß, warum es ein solches Projekt initiiert hat. Ein Grund besteht womöglich in der Ausnutzung von Fördergeldern. Das Wasserstoff-Kraftwerk ist ein Projekt, das unter der Schirmherrschaft des 2003 gegründeten Konsortiums "Hydrogen Park", einer Initiative der Venice Industrial Union, betrieben wird und rund vier Millionen Euro Fördergelder von der Region Veneto und dem Umweltministerium erhalten hat. [1] Auch die Europäische Kommission unterstützt mit mehreren Milliarden Euro die Wasserstofftechnologie durch die Projekte Hypogen und Hycom.

Übrigens: Enel hat sich mit dem französischen Unternehmen EdF zusammengetan. Das Joint Venture "Sviluppo Nucleare Italia" will in Italien vier neue Kernkraftwerke bauen und erstellt derzeit entsprechende Machbarkeitsstudien. [4] Das Vorhaben ist in der Bevölkerung höchst umstritten, war doch Italien vor über zwei Jahrzehnten aus gutem Grund aus der Kernenergie ausgestiegen. Könnte es sein, daß künftig Kernkraftwerke die Energie zur Herstellung von Wasserstoff liefern sollen? Die Region Venetien gilt jedenfalls als ein möglicher neuer Kernkraftwerksstandort. Und der Energieexperte Stefan Hirschberg vom Paul-Scherrer-Instituts (PSI) in Villigen hat bereits vor Jahren das Konzept, Wasserstoff in Hochtemperatur-Kernreaktoren der nächsten Generation zu produzieren, gepriesen. [5]

Es ist unstrittig, daß die die globalen Ressourcen an Erdöl und Erdgas endlich sind; namhaften Experten zufolge wurde das weltweite Fördermaximum bei Erdöl bereits überschritten. Ein möglicher Ersatz wird von einigen Fachleuten in der Wasserstofftechnologie gesehen, sofern es gelingt, Wasserstoff mit Hilfe von CO2-armen Primärenergien zu produzieren. 2004 schrieb die NZZ zutreffend, daß eine Umstellung vermutlich erst "in mehreren Jahrzehnten" erfolgen kann [5]. Beim Wasserstoffkraftwerk Fusina handelt es sich jedenfalls von Beginn an um Blendwerk - sollte dies symptomatisch für das angekündigte Wasserstoffzeitalter sein?


*


Anmerkungen:

[1] "ENEL: FIRST HYDROGEN-FUELLED POWER NOW ON LINE IN VENICE", 14. August 2009
http://www.enel.it/azienda_en/sala_stampa/comunicati/ss_comunicatiarticolo.asp?IdDoc=1619847

[2] "Erstes Wasserstoff-Kraftwerk in Betrieb. Umweltfreundliche Technologie - Weltpremiere in Italien", NZZ Online, 14. August 2009
http://www.nzz.ch/nachrichten/wissenschaft/wasserstoff- kraftwerk_fusina_1.3344348.html

[3] http://www.polimerieuropa.com/200Page.lasso?uk7110

[4] "Italien macht Ernst mit Wiedereinstieg in Atomenergie", Der Standard Online, 3. August 2009
http://derstandard.at/fs/1246543616334/Italien-macht-Ernst-mit-Wiedereinstieg- in-Atomenergie

[5] "Der lange Weg zur Wasserstoffwirtschaft. Nach wie vor grosser Forschungsbedarf bei Produktion und Speicherung", NZZ Online, 15. Dezember 2004
http://www.nzz.ch/nachrichten/wissenschaft/articlea1e8s_1.348540.html

16. August 2009