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LAIRE/111: Tier tötet Mensch - Orca-Spektakel in Orlando (SB)


Rätselraten über Motiv eines Orcas in Gefangenschaft, warum er seine Trainerin getötet hat

Assoziative Anmerkungen zum Dressieren von Tieren und Menschen


Ein Mensch wurde in einem Freizeitpark in Orlando, Florida, von einem Wal getötet. Die Reaktionen der Öffentlichkeit spannen sich zwischen fasziniertem Entsetzen und der Erklärung, daß dem Tier vermutlich langweilig war und es nur spielen wollte. Die Möglichkeit, daß der "Tilikum" genannte Wal einen gezielten Angriff gegen seine Trainerin Dawn Brancheau ausführte, als er sie am Pferdeschwanz faßte, in die Tiefe des Beckens zog und so lange unter Wasser festhielt, bis sie ertrunken war, wird dagegen in der Regel nicht mal in Erwägung gezogen. Indem dem Tier eine der menschlichen Absicht auch nur ähnliche Eigenschaft a priori abgesprochen wird, geschweige denn, daß dem Tier die Fähigkeit zur Rebellion zuerkannt würde, soll seine fortgesetzte Zurschaustellung als Verfügungssubjekt gesichert werden.

Warum es rebellieren sollte? Bekommt es nicht genügend zu essen, und wird ihm nicht große Aufmerksamkeit zuteil? Das wäre eine menschliche Sichtweise. Tiere mit Menschen zu vergleichen stellt sicherlich ein höchst problematisches Unterfangen dar, weil das allzu leicht in eine Vermenschlichung abgleitet. Aber auf der anderen Seite des Verhältnisses, da ist es in beiden Fällen der Mensch, der seinen Artgenossen wie auch den Tieren die Freiheit raubt. Die Formen der Freiheitsberaubung sind vielfältig - Anlässe für Rebellion werden somit laufend produziert.

Das Unternehmen SeaWorld, das mit Vorführungen von Walen und anderen Tieren Geld einnimmt, blickt auf eine lange Geschichte von Orca-Angriffen auf Menschen zurück. Auch Tilikum ist in dieser Hinsicht kein unbeschriebenes Blatt. Bezeichnungen wie "bösartig" oder "Killerwal" spiegeln allerdings die menschliche Verkennung des eigenen Raubapparats (Hände, Zähne, Verdauungssystem) wider und sollen wohl vergessen machen, daß der mutmaßlichen Bösartigkeit des Tieres seine Dauergefangenschaft durch die Menschen vorausging. Hier soll schon gar nicht die Überlegung aufkommen, daß ein Wesen gegen seine Unterwerfung aufbegehrt haben könnte.

Tilikum hat viele der Dinge gemacht, zu denen er aufgefordert wurde. Er hat seiner Trainerin aus der Hand gefressen, hat halb aus dem Wasser ragend sich im Kreis gedreht und auf Befehl mit der Schwanzflosse kräftig auf die Wasseroberfläche geknallt. Diese Konditionierung wurde ihm nicht mit Hilfe von Nahrung, sondern mit Hilfe des Entzugs von Nahrung aufgedrückt. Ein Wal, der permanent ausreichend zu fressen hat, läßt sich nicht konditionieren. Vielleicht macht er irgendwann einmal Dinge, die Menschen witzig oder spannend finden, aber nicht berechenbar und auf Befehl, um das zahlende Publikum zu unterhalten. Erst indem man einem Wal die Nahrung vorenthält und sie ihm anschließend portionsweise zuteilt, wird bei ihm die Bereitschaft angesprochen, sich seinen Herren zu unterwerfen.

Noch sprechen wir hier über nichtmenschliche Tiere, aber wie verhält es sich mit den menschlichen Tieren? In einer Welt ohne Mangel wäre kein Mensch bereit, sich gegen seinen Willen dem anderen zu unterwerfen. Ausgeschlossen. Eine Kooperation gründete sich dann ausschließlich auf Freiwilligkeit. Es gäbe kein Vorenthalten von Nahrung und somit auch keine Zuteilung und keine Konditionierung - also all die Dinge nicht, über die die Herrschaft des Menschen über den Menschen abgesichert wird.

Im logischen Umkehrschluß bedeutet das, daß in einem Herrschaftssystem aus Gründen des Selbsterhalts Mangel und Not erzeugt sowie das Versprechen der Beteiligung an Herrschaft aufrechterhalten werden muß. Ein König kann seine Herrschaft nur sichern, weil Menschen bereit sind, ihn zu beschützen, da sie von ihm "gefüttert", also an den Privilegien der Herrschaft beteiligt werden. Der Umgang des Menschen mit Tieren als zu seiner Verwertung freigegebene Subjekte unterscheidet sich prinzipiell nicht von der Verwertung der Mitmenschen als Arbeits"tiere", Lustobjekte oder in direkter Form als lebende Ersatzteillager für die Transplantationsmedizin der Bessergestellten.

Der SeaWorld Park hat nach der Tötung der Trainerin seinen Betrieb wieder aufgenommen. Die tonnenschweren Orcas, die sich den menschlichen Zuchtmeistern vermeintlich beugen, werden ebenfalls wieder vorgeführt. The Show must go on. Auch die Serie an Hungeraufständen und Armutsrebellionen vor rund zwei Jahren hat die bestehende, globale Ordnung nicht in ihren Grundfesten erschüttert, sondern hat Abwehrreaktionen der Wohlstandsregionen hervorgerufen.

Der Weltklimagipfel in Kopenhagen und auch der Welternährungsgipfel in Rom sind aus Sicht der Unterprivilegierten gescheitert, nicht aber aus Sicht der Herrschenden, die Mangel und Not produzieren und administrieren, damit die menschlichen wie die nichtmenschlichen Tiere ihnen aus der Hand fressen und artig Sitz machen. Oder, wie die Wale, Bälle schubsen, aus dem Wasser nach einem Fisch springen und auf sich reiten lassen. Letzteres wird fortan nicht mehr vorgeführt - gewiß nur eine vorübergehende Abwehrreaktion der Herrschenden.

1. März 2010