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LAIRE/117: Fragen aus Anlaß des öko-harmonistischen Films "Avatar" (SB)


"Avatar - Aufbruch nach Pandora" - spektakulär, klischeebehaftet, zu Fragen anregend


Mit dem Film "Avatar - Aufbruch nach Pandora" wurde eine neue Ära des Kinoerlebnisses eingeläutet, prophezeiten Kritiker schon bald, nachdem das Werk in die Kinos kam. Mit einer neuartigen Aufnahmetechnik, die der Regisseur und Drehbuchautor James Cameron mitentwickelt hat, sowie unter Erarbeitung von rund 60 Prozent des Films am Computer gelang es, einen spektakulären dreidimensionalen Effekt zu erzeugen, durch den die Zuschauerinnen und Zuschauer in den Bann gezogen wurden. Für die Story hat Cameron eigenem Bekunden nach sämtliche Science-Fiction-Bücher, die er als Junge gelesen hat, verarbeitet. Aufs wesentliche heruntergebrochen geht es in dem Plot, der im Jahre 2154 auf dem fernen Mond Pandora beim Planeten Polyphemus spielt, um Rohstoffabbau, der gegen den Willen der dortigen Eingeborenen durchgesetzt werden soll.

Der von den Hüften an abwärts gelähmte Soldat Jake Sully lenkt per Gedankenkraft einen Avatar, der nach dem Vorbild der Eingeborenen aus menschlichem und indigenen Erbmaterial geschaffen wurde, und soll das Vertrauen des Volks der Omaticaya gewinnen. Er lernt die Tochter des Häuptlings kennen und lieben und schlägt sich schließlich auf ihre Seite. Er bekämpft die Menschen, die mit ihrem schweren Räumgerät den Wald roden, um an das wertvolle Erz Unobtanium heranzukommen. Die Heimstatt der Na'vi genannten Indigenen, ein 200 Meter großer Baum, wird vom Militär bombardiert, in Brand gesetzt und gefällt.

Dennoch, unter hohen Verlusten gewinnen die Na'vi den Kampf schlußendlich. Die Militärs und Bauarbeiter des Raumfahrtkonzerns Resources Development Administration (RDA) müssen abziehen. Ausschlaggebend für den Sieg war das aktive Eingreifen "des Planeten" bzw. der Seele oder auch Essenz des Planeten, Eywa genannt, die alle Lebewesen durchzieht und mit der die Na'vi mit Hilfe ihres langen Zopfs am Hinterkopf eine neuronale Verbindung eingehen können. Als sich der Sieg der menschlichen Eindringlinge abzeichnete, hatte Eywa die überlebenskampferprobten Tiere des Planeten in die blutige Schlacht geschickt.

Für die Zuschauer wenig überraschend stellt sich der Avatar Jake Sully bei seinen ersten Kontakten mit den Na'vi ziemlich döspaddelig an. Er bewegt sich wie ein Trampeltier durch den gefährlichen Dschungel, kann nicht reiten, kennt die Sitten und Gebräuche der Ureinwohner nicht, versteht nicht deren Sprache. Solche Szenarien sind hinlänglich bekannt, da kann man Cameron nur bestätigen, wenn er sagt, daß er die Story aus anderen Science-fiction-Romanen zusammengeschustert hat. Dennoch vergäbe man eine Gelegenheit, wenn man es bei dieser Filmkritik beließe.

Auch wenn der technisch sehenswerte Streifen "Avatar" inhaltlich eine Ansammlung von sattsam bekannten Ideen darstellt, liegen diesen Klischees ökologische Vorstellungen und Hoffnungen zugrunde, wie sie gewiß nicht wenige Menschen in der einen oder anderen Form hegen, insbesondere wenn sie sich für Umweltfragen interessieren oder für die Interessen indigener Völker einsetzen: Die Lebewesen eines ganzen Planeten miteinander verbunden - neuronal vernetzt -, gelenkt von der höheren Instanz Eywa, einer nicht personifizierten "Kraft", von der gesagt wird, daß sie nach dem Prinzip des Ausgleichs handelt und keine Seite bevorzugt.

Das erinnert an die Gaia-These, die der Geochemiker und heute im weitesten Sinne Umweltschützer zu nennende James Lovelock und, weniger bekannt, die Mikrobiologin Lynn Margulis bereits in den 1960er Jahren entwickelt hatten. War ihre Vorstellung, daß Wissenschaftler die Erde als etwas Ganzes, Miteinander-Verbundenes betrachten sollten, anfangs noch strikt biologistisch ausgerichtet, indem die Urheber der Gaia-These von einem sich selbst erhaltenden System aus Rückkopplungsmechanismen und der Fähigkeit der Organismen zur Selbstorganisation sprachen, traten mit den Jahren und Jahrzehnten, von außen angetragene Aspekte in den Vordergrund, die von der geradezu kybernetischen Modellhaftigkeit wegführten. Die Gaia-These wurde religiös und spirituell befrachtet, was sich die Urheber allerdings allein schon aufgrund der Namensgebung - Gaia = Erdgöttin oder auch Mutter Erde - ein wenig selbst zuzuschreiben hatten.

Der Film "Avatar" endet mit dem Abzug der Menschen. Sie stören Eywas Welt nicht mehr; das Leben in Pandora wird wieder seinen normalen Gang nehmen. Doch was hier als harmonisches Miteinander von Na'vi und Mitwelt in Aussicht gestellt wird, erweist sich bei genauerer Betrachtung als ein einziger Hort des Überlebenskampfs. Ob alles mit allem verbunden ist oder nicht - kein Wesen möchte sterben, auch nicht "für das große Ganze". Doch auf Pandora herrscht wie auf der Erde das Prinzip, daß sich der Starke bzw. Erfolgreiche gegen den Schwachen und Unterlegenen durchsetzt und ihn gegebenenfalls verschlingt, um selbst zu überleben. Aus der Perspektive des um sein Überleben kämpfenden Opfers macht es keinen Unterschied, ob es aufgrund einer höheren Autorität - Eywa - vernichtet und alles irgendwie ausgeglichen wird.

Allein der Umstand, daß die Na'vi in ihrer Zivilisationsgeschichte Pfeil und Bogen entwickelt, das heißt, sich technologisch aufgerüstet haben, und darüber hinaus einen Begriff davon entwickelten, was ein Krieger ist, zeigt, daß sie keinen grundlegend anderen zivilisatorischen Weg gegangen sind als die Menschheit. Man muß annehmen, daß die in Stämmen gegliederte Gesellschaft der Na'vi gewaltsame Auseinandersetzungen kennt. Der Krieger ist ein gesellschaftliches Produkt. Im Unterschied dazu etwa der Jäger. Ein Stamm kann die Funktion des Jägers kennen, was nicht bedeutet, daß der Stamm jemals gegen andere Stämme Krieg geführt haben muß.

Als der Krieger Jake Sully bei seinem ersten Einsatz als Avatar von der Forschergruppe getrennt wird, wird die Handlung aus seiner Sicht, der des Opfers, der sein Leben gegen allerlei gefährliche Bestien verteidigen muß, beschrieben. Wo bleibt da die Harmonie, wenn Ungeheuer, die fast nur aus Maul bestehen, den Avatar fressen wollen, wäre eine naheliegende, wenngleich in die Irre führende Frage. Denn in "Avatar" wird das harmonistische Denken auf die Spitze getrieben: Auch das Monster will fressen. Gemäß der Filmaussage muß man annehmen, daß Eywa den permanenten Kampf auf Leben und Tod gutheißt und über ihn wacht.

Wer sich im wirklichen Leben für die Seite der Schwächeren einsetzt, den Raubbau in der Natur ablehnt und die Vertreibung oder gar Eliminierung indigener Völker beispielsweise in Südamerika verhindern will, könnte in der Konsequenz auf die Frage stoßen, für welche Welt er sich denn stark machen will. Soll es eine sein, in der zwar die schweren Rodungsmaschinen still stehen, aber in der noch immer das Prinzip Fressen oder Gefressen Werden vorherrscht?

Eywa wird hier als höchste Instanz, als sinngebende Autorität gezeichnet. Da aber Eywa bedeutet, daß das Schwächere unterliegt, müßte da nicht folgerichtig eine Rebellion gegen Eywa begonnen werden? Und was könnte diese Frage für die nicht-filmische Wirklichkeit bedeuten?

Eine Welt, in der nicht Konzerninteressen über Leben und Tod entscheiden, ist sicherlich erstrebenswerter als die gegenwärtige, eine Welt, in der nicht eine Milliarde Menschen Hunger leiden muß, ist sicherlich vorzuziehen. Nur, genügt das? Wie könnte es weitergehen? Müßte nicht die menschliche Gesellschaft, wollte sie die Chance auf Überwindung der bestehenden Verhältnisse wahren, bis an die Stelle zurückgehen, an der die Feuer-Rad-Entwicklung ihren Anfang nahm, und von da aus einen anderen Weg einschlagen? Denn eben dort haben Bulldozer, Räumgerät und Motorsägen ihren Anfang genommen.

Ähnliche Fragen werden gern mit der Behauptung zu kontern versucht, daß die Menschen dann wieder auf die Bäume klettern müßten. Damit machte man es sich zu einfach, denn die Bäume und der Affenfelsen sind, um im Bild zu bleiben, sind Bestandteil des Vernichtung gutheißenden Prinzips Eywa. Somit müßte die Vorstellung, von einem anderen Ausgangspunkt aus eine andere menschliche Entwicklung einzuleiten, weit über das in "Avatar" gezeigte, öko-harmonistische Konzept hinausgehen. Da reicht die menschliche Vorstellung kaum hin, was es bedeuten könnte, sich keinem übergeordneten Prinzip (Eywa, Gott, Natur) zu unterwerfen. Damit würde der einzelne Mensch zumindest gegen die Verinnerlichung der Naturgewalten, die er mit seinen Händen, Zähnen und seinem Verdauungsapparat repräsentiert, antreten, ohne daß das, wie so oft in der überlieferten Geschichte der Menschheit, in Religion oder Esoterik mündete, also irgendeiner Form der Jenseitsgläubigkeit oder Heilserwartung.

"Avatar" ist trotz seiner Fülle an Klischees ein sehenswerter, anregender Film, ohne daß Langeweile aufkommt.

25. April 2010