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LAIRE/131: Wut über BP verständlich, aber die größere Katastrophe verharmlosend (SB)


Ölkatastrophe im Golf von Mexiko - Politik und Wirtschaft können beruhigt sein

Mit der Verteufelung von BP wurde ein Ventil geschaffen, durch das die Wut der Öffentlichkeit kanalisiert wird


Seit dem 20. April quillt, blubbert und strömt Rohöl aus dem explodierten Bohrloch der Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko. Über die exakte Menge liegen naturgemäß keine genauen Zahlen vor, jüngsten Abschätzungen zufolge wird von 60.000 Barrel Öl pro Tag ausgegangen. Das wären täglich 9,5 Millionen Liter, die dazu beitragen, daß das Meerwasser im Golf von Mexiko nach und nach durch Erdöl ersetzt wird.

BP, das die zwei Tage nach der Explosion untergegangene Plattform betreibt und verschiedene Versuche unternommen hat, das in 1500 Meter Meerestiefe gelegene Bohrloch zu schließen oder auch das austretende Öl mit trichterartigen Konstruktionen abzufangen, ist schwer in die Kritik geraten. Einerseits weil die Umweltzerstörung wächst und wächst und kein Ende in Sicht ist, andererseits weil beim Ausbringen der Bohrung und des Versuchs, das Öl abzufangen, anscheinend nicht alle denkbaren Vorsichtsmaßnahmen ergriffen wurden. Der Konzern stand unter Zeitdruck und hat gespart.

In der Medienberichterstattung wird BP immer mehr verteufelt. Die US-Regierung von Präsident Barack Obama, der selber unter Druck geraten ist, weil er die Aufsicht über die Bekämpfung der Ölkatastrophe nicht an sich gezogen hatte, keilt kräftig gegen den Konzern aus, weil er dieses oder jenes nicht gemacht habe, etc. Obama, der sich normalerweise in eloquenten Reden gefällt, hat versucht, den Macker zu spielen und lautstark nach einem "Arsch" verlangt, in den er hineintreten kann. Ein trauriges Bild, wenn damit Volksnähe ausgedrückt werden soll ...

Keine Frage, BP hat nicht die aufwendigere Version der Bohrlochsicherung gewählt, wie es zwischenzeitlich von eigenen Experten vorgeschlagen worden war. Das allein bedeutet aber nicht, daß die Firmenführung gewußt hat, daß die Bohrung explodiert oder die Explosionsfolgen nicht in den Griff zu bekommen sind. Es mögen sich jetzt noch so viele Experten, die teils von konkurrierenden Unternehmen stammen, melden und im Brustton der Überzeugung erklären, daß BP aber wirklich fahrlässig gehandelt habe und man überhaupt nicht verstehe, wie das Unternehmen so etwas zulassen konnte. Hinterher ist man immer schlauer, und man müßte einmal eine Umfrage bei den Betreibern anderer Bohrlöcher, die nicht havariert sind, durchführen und sich erkundigen, ob sich die Verantwortlichen dort nicht auch für kostensparende Maßnahmen entschieden haben, obgleich firmeninterne Experten aufwendigere Verfahren vorschlugen. Der Unterschied zu BP wäre dann, daß es in den Fällen gut gegangen ist.

Das Bezichtigen eines einzelnen Konzerns hat etwas Beruhigendes. Dadurch wird die verständliche Wut der Menschen über den Ölaustritt kanalisiert, so daß eine viel unbequemere "Wahrheit", wenn man so will, verdeckt wird, nämlich daß sich die Explosion auch dann ereignet haben könnte, wenn BP dem "natürlichen", nach Profit strebenden Geschäftsgebaren zuwidergehandelt und sich für höhere Sicherheitsstandards entschieden hätte.

Vielleicht hätte sich dann gezeigt, daß mit dem Versuch, ein Bohrloch in 1500 Meter Meerestiefe anzulegen, der Mensch an eine technologische Grenze gestoßen ist. Wenn dagegen BP als Bösewicht dargestellt wird, dann steht ja der nächsten Offshore-Bohrung durch die Konkurrenz in womöglich noch größerer Meerestiefe nichts mehr im Wege ...

Es läuft sicherlich sämtlichen Emotionen entgegen, BP jetzt nicht den Schwarzen Peter zuzuschieben. Aber das wäre unbedingt erforderlich, um die Chance zu wahren, eine Abkehr nicht allein vom Erdölverbrauch, sondern grundsätzlich von der akkumulationsgetriebenen Wirtschaftsweise, die seit jeher solche Katastrophen ausgelöst hat und in Zukunft auslösen wird, in die Wege zu leiten. Das bedeutet nicht, daß BP nicht für die direkten und indirekten Kosten der Ölkatastrophe vollständig aufkommen sollte. Aber was die Regierungen und die Unternehmen viel mehr zu fürchten haben als die Wut und Empörung der Öffentlichkeit, die irgendwann in ruhigere Fahrwasser gelenkt werden können, wäre Nüchternheit und eine unkorrumpierbare Entschlossenheit, das vermeintliche Unabänderliche der vorherrschenden Produktionsverhältnisse fundamental in Frage zu stellen.

21. Juni 2010