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LAIRE/190: Der intelligente Stromzähler - mehr Freiheitsentzug als durch elektronische Fußfessel (SB)


Smart Grid und Smart Meter - Innovationen der administrativen Verfügungsgewalt


Es gab einmal eine Zeit, da zogen Menschen aufs Land und erprobten und erforschten alternative Lebensformen. Sie kehrten der traditionellen Reproduktionform der von höheren Instanzen abgesegneten Ehe den Rücken, suchten sich von der Fessel des Warenfetischs zu befreien und strebten einen kleinen Hort der Autarkie gegenüber der alles und jeden vereinnehmenden Verfügungsgewalt des Staates an. Dazu zählte dann auch die Vorstellung, elektrischen Strom, auf den trotz Einsparbemühungen nicht verzichtet werden konnte und sollte, selbst herzustellen. Windräder, Solarzellen, Biogasanlagen besaßen einmal den Nimbus des Alternativen. Sie waren "anti-", sie richteten sich gegen die herkömmlichen Versorgungsformen und dienten als Projektionsfläche für umfassendere gesellschaftliche Gegenentwürfe.

Heute werden diese Energiegewinnungsformen nicht mehr "alternativ", sondern "regenerativ" genannt. Sie gelten nicht mehr als Alternative, denn sie sind auf sämtlichen Verwaltungsebenen, von der Gemeinde über die Nationalregierung bis hin zur Hyperadministration der Europäischen Union, anerkannt und werden als Energie der Zukunft gehandelt.

Werden damit die ursprünglichen Erwartungen, Ideen und Lebensentwürfe, zu denen jene Hoffnung auf weitgehende Energieautarkie gehörte, verwirklicht? Nein, im Gegenteil. So wie die Partei der Grünen auf ihrem langen Marsch durch die Institutionen zur Regierungsbeteiligung das ursprünglich emanzipatorische Potential der Basis, aus der sie hervorgegangen ist, wie eine lästige Jugendsünde abgelegt und sich immer mehr dem verpflichtet hat, was als unabänderliche Realität behauptet und notfalls mit Gewalt durchgesetzt wird, wurden jene alternativen Energieformen von der profitgetriebenen Verwertungsordnung restlos absorbiert. Heute wird die komplette Umrüstung der Gesellschaft auf regenerative Energieformen als Green New Deal und damit als Rettung des auf Wachstum geeichten Kapitalismus verkauft.

Aus technischen Gründen erfordert die wachsende Zahl an dezentralen Energieproduzenten, die immer dann Energie einspeisen wollen, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint, und sonst gar nicht, eine Umrüstung der Stromnetz-Infrastruktur. Doch selbst wenn eines Tages die Energieproduktion in Deutschland vollständig über dezentrale Systeme bestritten würde, erfüllte sich damit nicht der ursprüngliche und längst in Vergessenheit geratene Wunsch nach Befreiung von der Fessel der administrativen Verfügungsgewalt, sondern umgekehrt ihre Verdichtung und Vertiefung.

Ein Hebel dazu bilden das Smart Grid, das sogenannte intelligente Stromnetz, und sein Kompagnon, der Smart Meter, der intelligente Stromzähler. Die EU-Kommission will, daß 80 Prozent der Haushalte der Europäischen Union bis 2020 einen Smart Meter installiert haben. Der hat die Funktion, die Stromkonzerne davon zu entlasten, für jede Tages- und Nachtzeit spezifische Spitzenlast bereitstellen zu müssen, indem über diverse Speichertechnologien und Steuerungsmethoden elektrischer Strom ins Netz eingespeist wird. Dabei können selbst die einzelnen Kühltruhen in den Haushalten, sofern diese am Smart Grid (SG) angeschlossen und mit einem Smart Meter ausgestattet sind, eine Funktion erfüllen.

Dieses in Expertenkreisen diskutierte Konzept sieht vor, daß Energieversorger ihr Überangebot an Strom - entstanden beispielsweise durch eine hohe Sonneneinstrahlung oder starke Windleistung -, für das sie keinen Abnehmer finden, dazu verwenden, um die Kühltruhen der Kunden um ein paar Grad abzukühlen. Auf diese Weise wird die Stromleistung "geparkt". Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Nachfrage steigt und der Stromanbieter eigentlich elektrischen Strom dazukaufen müßte, um den Bedarf zu decken, kann er statt dessen die Kühltruhen so lange abschalten, bis sie sich auf den Ursprungswert erwärmt haben. Bei entsprechend guter Isolierung der Geräte kann das einige Stunden dauern, eine Zeitspanne, die den Anbieter womöglich über die Spitzenlastphase hinweghilft. Die Verfügungsgewalt über den Betrieb der Kühltruhe wandert somit von den Verbrauchern über zu den Unternehmen.

Es geht aber nicht nur darum, elektrische Energie "parken" zu können. Auch Lichtanlagen, Waschmaschinen, Geschirrspüler, Fernseher und andere elektrisch betriebenen Haushaltsgeräte sollen, mit entsprechenden Prozessoren ausgestattet, SG-fähig werden. Der Smart Meter sendet in kurzen Abständen Daten über den Stromverbrauch der jeweiligen Geräte (ein Pendant zum Bundestrojaner ...) an die Stromanbieter, so daß dieser besser wirtschaften kann, und die Verbraucher können am eigenen Computer oder auf dem Smartphone ablesen, wo sie gerade welchen Strom verbrauchen oder zuvor verbraucht haben. Vergleichbar mit der Wahl günstiger Telefontarife können sie ihren Strombedarf nach preislich günstigen Zeiten richten, beispielsweise indem sie ihre Waschmaschine so programmieren, daß sie automatisch um zwei Uhr nachts anspringt. Lästige Betriebsgeräusche werden selbstverständlich in Kauf genommen, um ein paar Cent zu sparen. Der Homo oeconomicus wird in seiner knappen Freizeit so sehr damit befaßt sein, sich um irgendwelche günstigen Telefon-, Internet- und Stromtarife oder sonstigen Schnäppchenangebote zu kümmern, daß das Leben damit ausgefüllt und darin Lebenssinn gefunden wird.

Ein zwölfmonatiger Versuch, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Projektnamen Intelliekon gefördert wird, mit über 2000 Haushalten in Deutschland und Österreich hat gezeigt, daß der energetische Einspareffekt durch Smart Meter bescheiden bleibt. Je nach Konstellation wurden gegenüber einer Vergleichsgruppe, die herkömmliche Stromzähler besaß, nur durchschnittlich 3,7 Prozent bzw. 9,5 Prozent bei Kombination von Smart Metern mit zeitabhängigen Tarifen an elektrischen Strom eingespart. Möglicherweise ließen sich ähnliche Ergebnisse erzielen, wenn den Versuchsteilnehmern mit den konventionellen Stromzählern gesagt worden wäre, sie sollten streng auf ihren Stromverbrauch achten.

Wie auch immer, das Smart Grid und der Smart Meter werden bei den Endverbrauchern vielleicht zu gewissen Energieeinsparungen führen, aber ganz sicher wird das nicht ihre Stromrechnung kleiner machen. Die Stromversorger werden die zig Milliarden Euro, die in die Umrüstung der Infrastruktur zu stecken sind und von denen sich die EU-Kommission einen wirtschaftlichen Vorteil europäischer Unternehmen gegenüber der globalen Konkurrenz verspricht, unter anderem über einen höheren Strompreis eintreiben.

Sollten sich einmal die politischen Verhältnisse in Deutschland ändern, besäße der Staat eine bis dahin nicht geahnte Zugriffsgewalt auf jeden einzelnen. Man stelle sich nur vor, die Nationalsozialisten hätte solche Kontrollmöglichkeiten besessen, wie sie heute dem Staat theoretisch zur Verfügung stehen! In einem repressiven Regime könnte den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur nach Belieben der Strom abgeschaltet werden - das wird ja heute schon bei säumigen Zahlern praktiziert -, es würde auch einem "verdächtig" abweichenden Verbrauch nachgegangen. Mit dem Smart Grid und Smart Meter werden die Kontrollmöglichkeiten des Staates in ihm bislang verschlossene Bereiche erweitertet. Die sogenannte Nachfragesteuerung (energy demand management) wird sich als Steuerung der Nachfragenden herausstellen. Eine Kontrolle, die in gewisser Weise sogar die durch die elektronische Fußfessel übertrifft. Zwar bindet diese ihren Träger an den Ort und begrenzt seine Bewegungsmöglichkeiten erheblich, aber sie wird von den Betroffenen immer als Einschränkung ihrer Freiheit wahrgenommen. In der Fußfessel manifestiert sich die höhere Gewalt, die dadurch identifizierbar bleibt.

Die intelligenten Stromsysteme hingegen schränken den Bewegungsraum und vor allem die Entwicklungsoptionen des einzelnen auf andere Weise und letztlich viel umfänglicher ein, als es die elektronische Fußfessel je könnte. Sie greifen an Stellen an, die gar nicht als Kontrollverlust und Freiheitsentzug erkannt werden und somit auch keine Gegenwehr oder zumindest Ablehnung hervorrufen. Die Fesseln werden regelrecht verinnerlicht und bestimmen das Verhalten von innen heraus.

Es klingt ja so vernünftig: Wer möchte nicht wissen, was die eigentlichen Stromfresser in seinem Haushalt sind? Wer will nicht Geld sparen, indem er größere Strommengen nur zu günstigeren Tarifen verbraucht? Und wer will nicht Energie sparen, wo es doch gut für die Umwelt ist? Der Preis dafür besteht im Vorrücken des Überwachungsstaats in die letzten hell ausgeleuchteten Winkel dessen, was den Menschen bisher als ihre Privatsphäre zugestanden wurde. Doch wehe dem, der sich dem Smart Meter verweigert. Dann wird sich das Private als Versprechen von befristeter Haltbarkeit erweisen.

Die Installation der intelligenten Stromsysteme wird auch mit der Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen begründet. Klimaschutz ist zwar keine Ideologie, aber die Maßnahmen, die im Namen des Klimaschutzes verbreitet werden, haben auf viele Menschen die Wirkung, die der einer Ideologie gleichkommt. Der Homo oeconomicus wird von dem Homo oecologicus abgelöst. Der ist nicht weniger wirtschaftlichen Verwertungsinteressen und administrativen Zugriffsoptionen unterworfen, aber findet darüber hinaus Erfüllung in einer nachhaltigen, das heißt verbrauchsarmen und ökologisch anspruchslosen Lebensweise. Das macht ihn kontrollier- und berechenbarer.

Wie eingangs erwähnt, die Windräder und Solardächer von heute sind nicht alternativ, sie sind regenerativ, was man frei übersetzen könnte mit, daß sich mit ihnen das vorherrschende System mal wieder neu generiert. Die Kontinuität der Herrschaft wird vom Green New Deal nicht gebrochen, sondern auf noch entwickeltere Weise fortgesetzt.

16. Januar 2012