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LAIRE/205: Sommer des Aufstands gegen Kohleförderung in den USA - Gegen das Wegsprengen ganzer Bergkuppen (SB)


Ein lästiges Sandkorn im Getriebe des Mountaintop Removal Mining

Erfolgreiche Protestaktion an der größten Mine in West-Virginia



So wie hier in Deutschland Aktivistinnen und Aktivisten gegen den Braunkohletagebau protestieren und in diesem Jahr drei Klima-Camps auf die Beine gestellt haben [1], setzen sich in den USA Menschen gegen das Mountaintop Removal Mining (MTR) zur Wehr. Bei dieser in den Appalachen verbreiteten Form der Kohlegewinnung werden ganze Bergkuppen weggesprengt, um den darunter liegenden klimaschädlichen Energieträger freizulegen. Mit der Deckschicht, die teilweise 120 Meter Mächtigkeit aufweist, und dem übrigen Abraum werden ganze Täler aufgefüllt, was verheerende Auswirkungen auf Flora, Fauna und die Gesundheit der Anwohner hat. Die ökologische Verheerung geht mit der sozialen Hand in Hand.

Beim MTR werden Luft, Boden und Wasser durch Staub und Schadstoffe wie Quecksilber, Selen, Arsen, aber auch Uran kontaminiert. Die Umweltverschmutzung hinterläßt in den medizinischen Statistiken signifikante Spuren wie beispielsweise ein höheres Risiko von Geburtsfehlern, eine allgemein höhere Krebsrate sowie vermehrt Atemwegserkrankungen, um nur eine Auswahl an typischen Schädigungen der Bewohner dieser Bergbauregion zu nennen.

Vor einigen Wochen reisten Aktivistinnen des Beehive Design Collective mit einem beeindruckendem Vortrag durch Deutschland [2] - eine Aktion von vielen, die in diesem Sommer des Nationalen Aufstands gegen die Förderung (National Uprising Against Extraction) von diversen Organisationen und Initiativen in mehreren US-Bundesstaaten durchgeführt wird. So sorgten am vergangenen Samstag mehr als 50 Protestler der 2011 gegründeten R.A.M.P.S. Campaign [3] dafür, daß der Betrieb in der Hobet-Mine nicht weitergeführt werden konnte. Zehn Personen "eroberten" einem Lkw, der Gestein transportierte, ketten sich an und breiteten Plakate aus, die Aufschriften trugen wie "Coal Leaves, Cancer Stays" - Kohle verschwindet, Krebs bleibt. Mindestens drei Personen wurden verhaftet; andere, die auf einen Baum geklettert waren, wurden von Minenarbeitern mit einer Kettensäge bedroht.

"Die Regierung hat der Kohleindustrie geholfen und den Weg bereitet, indem sie die Umwelt- und Minensicherheit verwässert hat. Wir sind heute hier, um zu fordern, daß Regierung und Kohleindustrie den Tagebau einstellen, ihre Schulden bei den Appalachen begleichen und einen gerechten Übergang der Region gewährleisten", erklärte Dustin Steele aus Matewan im US-Bundesstaat West-Virginia, der zu denen gehörte, die sich an den Lkw gekettet hatten [3].

Die Protestierer befürchten allerdings auch, daß die Pensionsansprüche der Bergbauarbeiter gestrichen werden. Denn der Eigner der Hobet-Mine, Patriot Coal, durchläuft zur Zeit ein Konkursverfahren. Dabei besteht die Gefahr, daß die mit den Gewerkschaften ausgehandelten Verträge und Pensionen hinfällig werden [4]. Diese Sorge der Protestler zeigt, daß die Ablehnung des Kohletagebaus aus der Mitte der Gesellschaft kommt und nicht gegen die Bergarbeiter gerichtet ist.

Schon seit Jahrzehnten wird gegen den Kohleabbau in den Appalachen Widerstand geleistet. Der Zorn der Bevölkerung wird von Generation zu Generation neu genährt, was schlicht darauf zurückgeht, daß auch der Anlaß nicht verschwindet. Selbst wenn beispielsweise Patriot Coal, das nur ein Unternehmen von vielen ist, die MTR betreiben, Konkurs gehen sollte, bedeutete das nicht im entferntesten das Ende der Sprengungen, sondern schlimmstenfalls eine Stärkung der Konkurrenz. So wäre der oben erwähnte Spruch der Blockierer der Hobet-Mine zu ergänzen: "Kohle verschwindet, Krebs bleibt, Kapital kehrt zurück". In einer Zeit, in der Erdöl knapp und teuer wird, behält Kohle seine Attraktivität. Bis heute wurden in den Appalachen rund 500 Bergkuppen weggesprengt. Obgleich seit einigen Jahren die Kohleproduktion im zentralen Teil dieses Gebirges abnimmt, ist noch kein Ende dieser besonders destruktiven Form der Gewinnung von Primärenergieträgern in Sicht.

Ruinöse Arbeitsbedingungen, zerstörte Umwelt, verheerende Gesundheitsschäden und ein relativ hoher Anteil an klimaschädlichen Treibhausgasemissionen - die Bedingungen der Energieproduktion in den USA weisen Ähnlichkeiten mit denen in anderen Kohleabbauregionen der Welt auf. Der gemeinsame Nenner besteht in der Ausbeutung von Mensch und Natur zum Vorteil weniger. Der Nationale Sommer des Widerstands gegen MTR, der zur befristeten Schließung der Hobet-Mine führte, zeigt eine Tendenz des Zusammenschlusses der sehr unterschiedlich strukturierten Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen, die sich alle gegen das MTR in den Appalachen zur Wehr setzen. Das hat den Vorteil, daß Menschen, die ansonsten wenig miteinander zu tun haben, unter einem gemeinsamen Motto gegen diese Form der Kohleförderung protestieren. Zugleich besteht hierbei die Gefahr, daß die Produktionsverhältnisse, die nicht nur die Art und Weise der Kohlegewinnung bestimmen, sondern in anderen Branchen ähnliche ökologische Zerstörungen und gesundheitliche Verluste erzeugen, nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Das wäre aber erforderlich, wollte man verhindern, daß vielleicht eines Tages das Mountaintop Removal Mining abgeschafft und durch andere destruktive Formen der Energiegewinnung innerhalb der USA oder in Übersee ersetzt wird.


Fußnoten:

[1] Siehe dazu:
NACHLESE/006: Bagger fressen Erde auf - Interview mit Mona und Nelly vom Lausitzer Klima- und Energiecamp (SB), 8. Juli 2012
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrn0006.html

[2] Siehe dazu:
BERICHT/020: Bagger fressen Erde auf - Wenn ganze Berge weichen müssen ... (SB), 9. Juli 2012
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0020.html

[3] "Largest MTR mine shut down!", 28. Juli 2012
http://rampscampaign.org/release-largest-mtr-mine-shut-down/

[4] "Key messages of Mountain Mobilization", 28. Juli 2012
http://rampscampaign.org/key-messages-of-mountain-mobilization/

29. Juli 2012