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LAIRE/226: Konzern klagt gegen Fracking-Verbot in Hessen (SB)


Vorbote einer Klagewelle gegen Umwelt- und Sozialstandards in der EU

Nach Absage einer Genehmigungsanfrage zur Erkundung mittels Fracking klagt kanadisches Erdgasunternehmens BNK gegen Landesregierung



Eine Sturmfront kündigt sich gewöhnlich durch das Heraufziehen dunkler Wolken und unsteter Winde an. Eben solch ein Vorzeichen für sich aufbauende Gewalten stellt die Klage eines kanadischen Unternehmens dar, das nordhessisches Schiefergestein aufbrechen will, um das darin enthaltene Erdgas zu fördern und gewinnbringend zu veräußern. Noch sehr viel mehr Klagen könnten im Rahmen des Abschlusses von Freihandelsabkommen auf die Europäische Union zukommen.

Fracking nennt sich die Methode, bei der das gasführende Gestein in teils mehreren tausend Metern Tiefe mittels einer Perforationskanone zunächst gelöchert und anschließend durch eine unter extrem hohem Druck ins Bohrloch gepreßte Flüssigkeit aus Wasser, Sand und Chemikalien geweitet wird. Dadurch kann das dort auf viele Poren und Ritzen verteilte Gas zusammenströmen und gefördert werden. Nun hat aber das zuständige Regierungspräsidium Darmstadt einen Antrag des kanadischen Erdgasunternehmens BNK Petroleum auf Erkundung (Exploration) potentieller Gaslagerstätten (zum Zwecke einer späteren Förderung, der Exploitation) mittels der Methode des Frackings abgelehnt. [1]

Daraufhin hat das Unternehmen vor dem Verwaltungsgericht Gießen Klage gegen die Fracking-Absage eingereicht. Eine Begründung läge noch nicht vor, sagte eine Gerichtssprecherin am Dienstag.

Womöglich arbeiten die Rechtsberater des Unternehmens noch an der Formulierung des Textes. Einer der Anwälte wird allerdings von der FAZ mit der Mutmaßung zitiert, daß das hessische Umweltministerium Druck auf das Regierungspräsidium ausgeübt habe, um ein unangenehmes - gemeint war wohl eher ein unpopuläres - Thema aus der Welt zu schaffen und sich über den Landtagswahltermin im September zu retten. Die Entscheidung sei nur "politisch".

Politiker, die Politik machen - das darf natürlich nicht sein. Zumindest nicht, solange das Ergebnis nicht zum eigenen Vorteil gereicht.

Vor knapp vier Wochen hatten die hessischen Beamten den Antrag von BNK auf die Erkundung sogenannter unkonventioneller Gaslagerstätten abgelehnt. Laut zwei Gutachten sei Fracking "weder wirtschaftlich noch umweltverträglich darstellbar", hatte Hessens Umwelt- und Energieministerin Lucia Puttrich (CDU) bereits im April dieses Jahres im Umweltausschuß des Landtages gesagt. [2]

Demnach kommen für die Erkundung der Erdgaslagerstätten sowieso nur 16 Prozent des 5.000 Quadratkilometer großen Claims "Adler South" in Frage, da in den übrigen Gebieten Nordhessens die gasführenden Schieferschichten zu nah an der Oberfläche liegen oder schlicht zu dünn sind.

Sollte es sich tatsächlich so verhalten, daß eine Landesregierung rechtswidrig handelt, nur weil sie den Antrag eines Unternehmens auf Erdgaserkundung ablehnt, dann sollte man vielleicht die Rechtsgrundlage, das Bergrecht, ändern. Das scheint um so dringlicher geboten angesichts der besagten Sturmfront. Denn die Europäische Union verhandelt zur Zeit hinter verschlossenen Türen mit Kanada über ein umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen. Das CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) könnte noch in diesem Jahr unterschriftsreif vorliegen.

Außerdem hat die EU am Montag ebenfalls geheime Verhandlungen mit den USA über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, die sogenannte TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), aufgenommen. In den beiden Abkommen mit nordamerikanischen Staaten dürfte die rechtliche Handhabe der Bergbaukonzerne und selbstverständlich der Unternehmen anderer Branchen, einen Staat oder eine Landesregierung mit Erfolg verklagen zu können, gestärkt werden. Ermöglicht wird dies über einen Mechanismus, der bereits nach "Chapter 11" beim Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko immer wieder zu Klagen der sich in ihren Geschäftstätigkeiten diskriminiert fühlenden Unternehmen vor einem internationalen Schiedsgericht geführt hat.

Nach Einschätzung von Corporate Europe Observatory (CEO), einer Organisation, die den wirtschaftlichen Einfluß auf die Politik in der EU kritisch analysiert, gibt es starke Bestrebungen, Umwelt- und Sozialstandards der EU auszuhebeln. Entsprechende Verhandlungen fänden beim CETA unter dem Titel der "Technical Barriers to Trade and Regulatory Cooperation", also der technischen Hürden für Handel und ordnungspolitische Zusammenarbeit, statt. Beispielsweise hat Kanada Klage vor der Welthandelsorganisation WTO gegen die EU eingereicht, weil die Europäer ein Moratorium gegen die Einfuhr von Robbenprodukten verhängt haben. Vom gewinnorientierten Standpunkt der Kanadier aus handelt es sich bei diesem Verbot um eine "unzulässige technische Hürde" ... und bei Robbenbabys offensichtlich um nichts anderes als eine Ware.

In ihrer mehrseitigen Analyse zum Thema CETA und Fracking [3] fordert CEO, daß der geplante "Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus" (Investor-state-dispute-settlement; ISDS) aus dem Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada gestrichen wird, andernfalls in Kanada ansässige Unternehmen gegen Frackingverbote in der EU klagen könnten (selbstverständlich auch gegen andere Umwelt- und Sozialstandards, ebenso wie umgekehrt europäische Unternehmen gegen die kanadische Regierung klagen könnten). Laut der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (United Nations Conference on Trade and Development; UNCTAD) waren Ende 2012 bereits 512 Verfahren nach diesem Recht bekannt, die tatsächliche Zahl läge aber höher, hieß es. [4]

Man muß davon ausgehen, daß auch zwischen den USA und der EU über einen ähnlichen Streitbeilegungsmechanismus, wie er mit dem ICSID (International Centre for Settlement of Investment Disputes) bei der Weltbank ansässig ist, verhandelt wird, weil beide Seiten ein Interesse daran haben. Es verhält sich keinesfalls so, daß die EU-Kommission als Verhandlungsführerin der EU solche rechtlichen Mittel ablehnt.

Das obige Beispiel einer Klage gegen die Ablehnung eines Antrags, in Nordhessen Fracking zu Erkundungszwecken durchführen zu dürfen, zeigt, daß es nicht einmal eines wirtschaftsliberalen Freihandelsabkommens bedarf, damit ein Unternehmen eine Regierung unter Druck setzen kann, nur weil diese ihm die Profite aus der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen einer Region vorenthalten will.

Ein Beispiel, das prototypisch für den gegenwärtigen Trend im Wirtschafts- und Rechtswesen ist: Das US-Unternehmen Lone Pine Resources Inc. hat die kanadische Provinz Quebec auf 250 Mio. US-Dollar Entschädigung verklagt, weil die Provinzregierung aufgrund neuer Erkenntnisse zu den umweltschädlichen Folgen des Frackings ein Moratorium gegen diese Methode der Gasförderung verhängt hat. Lone Pine Resources verlangt nicht nur für seine bereits getätigten Investitionen, sondern auch für angeblich vorenthaltene Profite Entschädigung. Früher rechnete man solche Verluste zum Unternehmensrisiko, heute wird das Risiko - hier: mittels der NAFTA-Bestimmungen - auf die Gesellschaft umgelegt. Ähnliche Klagen sind auch nach der Verabschiedung von CETA und TTIP zu erwarten, und die Erfolgsaussichten für Unternehmensklagen steigen, je mehr der sogenannte Investitionsschutz gestärkt und Entschädigungsklagen wegen "indirect expropriation" - indirekter Enteignung - zugelassen werden.

Im Oktober vergangenen Jahres erklärte BNK-Generalmanager Klaus Angerer, daß das Unternehmen die Gaslagerstätten in Nordhessen zunächst nur erkunden wolle. Man wolle das Potential einer Förderung ausloten dürfen, womit noch keine konkreten Schritte verknüpft seien. "Wir wollen zunächst das Feld zur Exploration zugesprochen bekommen", sagte er. [5]

Mit der Klage vor dem Verwaltungsgericht Gießen will BNK seine Optionen wahren. Dabei ist der Interessengegensatz zwischen dem Kläger und der Beklagten womöglich gar nicht so groß, wie es den Anschein hat. Mitte Mai hatte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) gegenüber der "Welt" [6] erklärt, daß man in Deutschland Fracking nicht grundsätzlich verbieten sollte, sofern es sich "ohne giftige Chemikalien und sonstige Probleme" machen lasse.

Ein sauberes Fracking gibt es jedoch nicht, sondern es gibt nur umweltschädliche und noch umweltschädlichere Verfahren. Bouffier sagt im übertragenen Sinn: Wasch mich, aber mach mich nicht naß. Der amtierende Ministerpräsident Hessens scheint sich die Frage offenhalten zu wollen, welchen Standpunkt er nach der Landtagswahl im September einnehmen wird; vielleicht wird er dann BNK grünes Licht erteilen. Mit seiner Klage bleibt das kanadische Unternehmen auf jeden Fall am Ball, falls der Zeitpunkt kommt, daß die hessische Landesregierung unter welchem Ministerpräsidenten auch immer Fracking für unbedenklich hält und die Exploration freigibt.

Die Behauptung Angerers, daß mit der Erkundung "noch keine konkreten Schritte" verbunden sind, vermag nicht von der Geschäftsabsicht des Unternehmens, Fracking betreiben zu dürfen, abzulenken. Jeder Ausbeutung geht eine Erkundung voraus. Und vor der Erkundung liegen Kartierungsmaßnahmen, wie sie beispielsweise das Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) betrieben hat, um das Potential unkonventioneller Erdgasressourcen in Deutschland zu erfassen. Ein wirksamer Protest gegen Fracking könnte also mit einiger Berechtigung bereits an einer sehr frühen Stelle, an der die Voraussetzungen für späteres Fracking geschaffen werden, ansetzen. Denn wenn erst einmal festgestellt wurde, wo in Deutschland in welchen Mengen mit Erdgasvorkommen zu rechnen ist, werden automatisch Begehrlichkeiten geweckt, so daß sich ein Schritt aus dem anderen ergibt und die Bevölkerung irgendwann vor vollendeten Tatsachen steht.

Auch den geplanten Freihandelsabkommen ist in aller Entschiedenheit entgegenzutreten, wollen nicht die Bürgerinnen und Bürger zur bloßen Verfügungsmasse von Kapitalinteressen verkommen, denen die Europäische Union im Vertrag von Lissabon eine sehr hohe Priorität einräumt.


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/gasfoerdertechnik-klage-gegen-aus-fuer-fracking-in-nordhessen-12276448.html

[2] http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?rubrik=34954&key=standard_document_48930267

[3] "The right to say no: EU-Canada trade agreement threatens fracking bans" (Das Recht, nein zu sagen: EU-Kanada-Handelsabkommen bedroht Frackingverbote), Mai 2013
http://www.tni.org/sites/www.tni.org/files/download/ceta-fracking-briefingen.pdf

[4] http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/webdiaepcb2013d3_en.pdf

[5] http://www.nh24.de/index.php/politik-und-wirtschaft/21-politik-und-wirtschaft-nordhessen/60309-land-kann-fracking-antrag-laut-spd-nicht-einfach-stoppen

[6] http://www.welt.de/politik/ausland/article116339325/Oettinger-kuendigt-EU-Vorstoss-zu-Fracking-an.html


Eine Auswahl an jüngeren Berichten der Schattenblick-Redaktion zum Thema Fracking:

NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE → UMWELTLABOR:

UMWELTLABOR/275: Unbarmherzig, unbedacht - Fragen an das Fracking (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula275.html

UMWELTLABOR/276: Unbarmherzig, unbedacht - Folgen unausbleiblich (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula276.html

UMWELTLABOR/277: Unbarmherzig, unbedacht - Werbe- und PR-Chemie (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula277.html

UMWELTLABOR/278: Unbarmherzig, unbedacht - Frack as frack can (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/chemie/chula278.html

POLITIK → MEINUNGEN → LAIRE:
LAIRE/1294: Konzernmacht - Werden Fracking-Gesetze in Deutschland gefrackt? (SB)
http://schattenblick.com/infopool/politik/meinung/pola1294.html

UMWELT → REDAKTION → RESSOURCEN:

RESSOURCEN/141: Strahlengefahr durch Fracking? (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-141.html

RESSOURCEN/142: Folgen des Frackings unerforscht - Beispiel durchlässige Bohrwände (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-142.html

RESSOURCEN/143: Hoher Wasserverbrauch bei Förderung von Schiefergas (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-143.html

RESSOURCEN/145: USA - Neue Bestimmungen zum Fracking vorgeschlagen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-145.html

RESSOURCEN/146: EU-Administration setzt umstrittenes Fracking auf ihre Agenda (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-146.html

RESSOURCEN/149: Fracking beschwört Strahlengefahr aus der Tiefe herauf (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-149.html

11. Juli 2013