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LAIRE/232: IPCC-Bericht erschienen - alles beim alten, nur schlimmer (SB)


Große Erdregionen könnten unbewohnbar werden

Eine Debatte über das vorherrschende Wirtschaftssystem bleibt aus



Die Erde wird immer wärmer, wodurch sich das Klima maßgeblich verändert und der Meeresspiegel steigt. Er steigt sogar deutlich schneller, als in früheren Prognosen berechnet, und könnte am Ende des Jahrhunderts um bis zu 81 Zentimeter höher liegen als heute. So lautet das Ergebnis des ersten Teils des vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) vorgestellten 5. Sachstandsberichts, dessen Zusammenfassung am Freitag in Stockholm vorgestellt wurde.

Damit knüpft der Bericht in wesentlichen Punkten an seinen Vorläufer aus dem Jahr 2007 an, was zu der Vermutung Anlaß gibt, daß die Regierungen den aktuellen Bericht ähnlich aufnehmen werden wie damals, nämlich zurückhaltend. Zwei Jahre nach Veröffentlichung des 4. Sachstandsberichts waren die Klimaverhandlungen unter der Ägide der Vereinten Nationen in Kopenhagen grandios gescheitert. Die dänische Konferenzorganisation hatte anscheinend mehr Interesse daran, Klimaaktivistinnen und -aktivisten einzukesseln und zu drangsalieren, die Presse zu unterdrücken und die reichen Staaten zu hofieren, als alles dafür zu tun, damit ein Abkommen beschlossen wird, in dem auch die Interessen der Entwicklungsländer berücksichtigt werden.

Die hatten umfangreiche Kompensationszahlungen der Industriestaaten gefordert, weil deren wirtschaftliche Vormachtstellung im wesentlichen durch die Belastung der Erdatmosphäre mit dem Treibhausgas CO2 (aus der Verbrennung fossiler Energieträger) errungen wurde. Die privilegierten Staaten haben jedoch ihre Verantwortung nicht angenommen - jedenfalls nicht in der gebotenen Weise -, und so wurde erst gar nicht über den dringlichen Appell der Entwicklungsländer verhandelt, daß Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden, die einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter erwarten lassen. Statt dessen wurde über das 2,0-Grad-Ziel verhandelt, wodurch der sprichwörtliche Untergang einiger flacher Inselstaaten besiegelt wurde.

Seit der Kopenhagen-Konferenz 2009 zeichnet sich ab, daß selbst das höhere und inakzeptable Ziel möglicherweise noch weit übertroffen wird. Im 5. Sachstandsbericht wird ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts um 3,7 Grad Celsius nicht mehr ausgeschlossen. Wenn schon die 0,5 Grad Celsius zwischen der Vorstellung der ärmeren Länder und dem Ziel, das die internationale Gemeinschaft beschlossen hat, einen so gravierenden Unterschied ausmacht, läßt sich ahnen, daß bei einem weiteren Temperaturanstieg um 1,7 Grad Celsius die Konsequenzen für die ganze Welt verheerend ausfallen dürften. Ganze Weltregionen werden vom Meer verschlungen, fallen trocken oder werden vermehrt von Naturkatastrophen heimgesucht.

Was also tun? Weniger Auto fahren, kein Fleisch mehr essen, im Winter mit dickem Pullover in der Wohnung leben, um der Aufforderung nachzukommen, daß der Energieverbrauch gesenkt werden muß?

So hätten es die Ordnungspolitiker aller Couleur wohl gern. Ob grün, blaßrot, rot oder schwarz, welche Farben auch immer in der kommenden deutschen Regierung vertreten sind, mit Sicherheit wird in den nächsten Jahren von den Bürgerinnen und Bürgern eine höhere Bereitschaft abverlangt, für den Klimaschutz Einschränkungen hinzunehmen, beispielsweise indem sie höhere Abgaben für Anpassungs- oder Vermeidungsmaßnahmen gegen den Klimawandel entrichten. Selbst Umweltorganisationen fällt als Antwort auf das Problem der CO2-Emissionen oft keine andere Forderung ein, als die Energie zu verteuern und andere, auf eine individuelle Verhaltensänderung zielende Maßnahmen.

Solche politischen Lenkungsmechanismen mittels der Ökonomie sind aber in der Regel mit Benachteiligungen derjenigen verbunden, die über keine hohen Einkommen verfügen. In einem Deutschland, das tatsächlich den Ruf verdient, klimapolitisches Vorbild für die ganze Welt zu sein, wird sich die soziale Schere weiter öffnen, als sie sowieso schon ist. Wer arm ist, wird sich die höheren Spritpreise - die hier beispielhaft für allgemeine Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel stehen - nicht mehr leisten können, so daß die gesellschaftliche Teilhabe der ärmeren Menschen generell verringert wird. Eingeschränkt wird beispielsweise die Mobilität, denn es ist nicht damit zu rechnen, daß der öffentliche Nahverkehr ausgebaut und kostenlos angeboten wird; eingeschränkt werden die Konsummöglichkeiten insgesamt, weil sich höhere Energiekosten auf die gesamte Wirtschaft, also alle Produkte und Dienstleistungen, auswirken.

Im Extremfall würde unter dem Eindruck der drohenden oder bereits eingetretenen schwerwiegenden Klimawandelfolgen eine Art Notstandsgesetzgebung beschlossen, wobei die nicht schlagartig von einem Tag auf den anderen verhängt werden müßte, sondern schrittweise etabliert werden könnte - am ehesten zu veranschaulichen mit der Reaktion des Staates auf eine andere Bedrohung, nämlich auf die durch die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA.

Um zu verhindern, daß so eine düstere Entwicklung eintritt, müßte ein anderes Gesellschaftsmodell verwirklicht werden, das es in der Form bisher nicht gegeben hat, noch bevor von allen Seiten Druck auf den einzelnen ausgeübt wird. Ein Modell, bei dem sich aber nicht gescheut würde, das Entwicklungspotential anderer, der Geschichte überantworteter Gesellschaftsentwürfe aufzugreifen, um weder der heute verbreiteten Wachstumsapologetik des Kapitalismus noch ihrer vermeintlichen Überwindung durch eine öko-administrative Mangelideologie aufzusitzen. Wie bereits nach Erscheinen der früheren Sachstandsberichte wird eine Debatte über die Voraussetzungen der Vergesellschaftung des Menschen und damit auch der energieverbrauchenden, Treibhausgase erzeugenden Produktionsweisen gar nicht erst begonnen.

30. September 2013