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LAIRE/263: Klimaschutz neokolonial (SB)


Elektroautos sind nicht klimafreundlich

Sicherung des Nord-Süd-Gefälles im Zeichen des Klimawandels


Ein beträchtlicher Teil der Bundesbürgerinnen und -bürger könnte sich problemlos elektromobil fortbewegen, ohne daß sich dazu bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos in den Verkehr stürzen müßten. Wird doch der Fernzugverkehr bereits zu 100 Prozent elektrisch betrieben, ebenso der schienengebundene öffentliche Nahverkehr. Auch Stadtbusse werden schon auf Elektroantrieb umgestellt, so daß es im wesentlichen nur entschiedener politischer Lenkungsinstrumente bedarf, um die Ära des Verbrennungsmotors beschleunigt auslaufen zu lassen. Nicht jedoch in Richtung Elektroauto!

Was den bislang vernachlässigten Verkehrssektor betrifft, könnte Deutschland seine selbstgesteckten Klimaschutzziele locker einhalten. Doch die Regierung hat einen anderen Kurs eingeschlagen. Sie fördert den Umstieg ausgerechnet auf Elektroautos. Da die Kaufprämie für diese Fahrzeuge kaum angenommen wird, werden weitere Optionen erwogen. Zum Beispiel die Einführung einer Quote für die Autohersteller, so daß sie dazu bewegt werden, "endlich Modelle anzubieten, die für Normalverdiener erschwinglich sind", wie Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten sagte. Die Ministerin fordert die deutschen Automobilmanager auf, sich an die Spitze der Bewegung zur Elektromobilität zu stellen. Das diene nicht nur dem Umweltschutz, "sondern vor allem dem künftigen Automobilstandort Deutschland und den vielen damit verbundenen Jobs". [1]

Man könnte sagen, es geht der Regierung bei der schrittweisen Abschaffung von Diesel- und Benzinautos sogar wesentlich darum, Deutschland als führenden Standort in der Automobilbranche zu bewahren. "Umweltschutz" dient dabei eher als Verkaufskonzept zum Erreichen dieses Ziels. Elektroautos sind nicht per se umweltfreundlicher als Autos mit Verbrennungsmotoren, da ihre Herstellung einen sehr viel höheren Ressourcen- und Energieeinsatz erfordert, der erst im Laufe der Jahre wieder "reingeholt" wird, sofern der Ladestrom mit erneuerbaren Energien generiert wurde. [2]

Die Bundesregierung externalisiert die Klimaschäden des hiesigen Konsums. Der Rohstoffabbau für die Herstellung von E-Autos findet nicht in Deutschland, sondern beispielsweise in Bolivien oder Chile statt, wo das Lithium für die Akkus gewonnen wird. Die dort produzierten Treibhausgasemissionen werden aber dem dortigen Rohstoffexporteur zugerechnet. Das Lithium wird nach China gebracht, wo es in Verbindung mit anderen Materialien wie Graphit zu den Akkus weiterverarbeitet wird. Graphit wird unter anderem in China und Indien abgebaut. Auch hier taucht Deutschland als zukünftiger Nutzer der E-Autos in der CO2-Bilanz noch gar nicht auf.

Das bedeutet, daß ein wesentlicher Teil des hiesigen Konsums aus der nationalen Klimabilanz weitgehend herausfällt. Im Unterschied zu den traditionellen Autos mit Verbrennungsmotoren geben Elektroautos keine Treibhausgase ab. In diesem Fall hätten Bolivien, Chile, Indien und China das Nachsehen, während Deutschland am oberen Ende der Wertschöpfungskette sich die Finger nicht schmutzig macht.

Man könnte natürlich argumentieren, daß diese Länder zumindest wirtschaftliche Vorteile davon haben, wenn in Deutschland die individuelle Fortbewegung auf E-Mobilität umgestellt wird, da dies den Export steigert und zu wichtigen Deviseneinnahmen dieser Länder beiträgt. Es ist aber ebenfalls bekannt, daß die Ressourcenlieferanten in der Regel das allerkleinste Stück vom Kuchen erhalten, da sie von den Weltmarktpreisen abhängig und diese oft im Keller sind, und daß auch die Zulieferindustrie mit ihren Preisvorstellungen häufig am kürzeren Hebel sitzt.

Eine Abkehr von der fossilen Energiewirtschaft ist zwar aus globalklimatischen Gründen dringend geboten, aber nicht in Richtung Elektroautos. Statt dessen könnte man überlegen, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen und kostenlos anzubieten. Das würde den Straßenverkehr enorm entlasten und wäre eine echte Klimaschutzmaßnahme und nicht eine, die nur auf der nationalen Agenda stattfindet. Ein weiterer Vorteil: Kein Überschreiten der Feinstaubwerte in Stuttgart und anderen Städten und wesentlich geringere Gesundheitskosten, weil dann unter anderem die Zahl der Herz-Kreislauf-Geschädigten rapide zurückginge.

Hendricks' Vorstellung einer Quote für Elektroautos weist in eine andere Richtung. Zwar würden bei einer vollständigen Transformation auf E-Mobilität die Feinstaubbelastungen ebenfalls zurückgehen, aber eben genau nicht in den Ländern, die am Beginn der Wertschöpfungskette stehen, Rohstoffe fördern und die Basiselemente für Elektroautos produzieren. Sie bekommen die Schadstoffbelastung durch die Ressourcengewinnung aufgedrückt und werden darüber hinaus zur Verantwortung gezogen, sobald schärfere globale Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden. Und das werden sie unvermeidlich, denn die globale Erwärmung schreitet voran; in verschiedenen Weltregionen setzen sich die teils dramatischen Entwicklungen fort.

Die Transformation der fossilen zur erneuerbaren Energiewirtschaft ist nicht das Gegenmodell zur ressourcenverbrauchenden, wachstumsorientierten Wirtschaftsweise, wie sie maßgeblich zur globalen Erwärmung beigetragen hat, sondern ihre Fortsetzung unter dem Zeichen des Klimawandels. Globalklimatisch hingegen ergibt sich überhaupt kein Plus, wenn in Deutschland immer mehr Elektroautos fahren. Die Transformation der Mobilität auf Elektroautos in Deutschland erweist sich somit als neokoloniale Spielart zur Aufrechterhaltung des sattsam bekannten Nord-Süd-Gefälles.


Fußnoten:

[1] http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.bundesumweltministerin-hendricks-wir-brauchen-eine-quote-fuer-elektroautos.5475ca77-4edd-4bdf-bc41-d6c8e56a8459.html

[2] http://www.stromschnell.de/nachhaltigkeit/umweltbilanz-im-vergleich-zu-benzin-und-dieselkfz_5117624_5093816.html

9. Januar 2017


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