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LAIRE/280: Artenschutz - Industrie wird durchgesetzt ... (SB)



Die Republikanische Partei der USA hat begonnen, das seit 45 Jahren geltende Artenschutzgesetz massiv zu torpedieren. Regierung, Industrie und Lobbyisten der Erdöl-, Forst- und Viehwirtschaft haben in den letzten beiden Wochen mehr als zwei Dutzend entsprechende Gesetzesentwürfe und -novellen in den Kongreß eingebracht oder politische Initiativen zur Verwässerung der Gesetzgebung gestartet, meldete die New York Times (22. Juli 2018).

Diese Interessensgruppen hätten sich zum Ziel gesetzt, den Schutz bedrohter Arten und einzigartiger Habitate zu schleifen, so daß in den vormals geschützten Gebieten Erdölbohrungen durchgeführt, Bäume gefällt und andere zerstörerische Maßnahmen ergriffen werden dürfen. Einer der Gründe für die Kampagne könnte ein möglicher Verlust der Mehrheit nach den Kongreßwahlen im November sein, mutmaßt die der Demokratischen Partei nahestehende Zeitung.

Seit seinem Amtsantritt am 20. Januar 2017 hat US-Präsident Donald Trump eine Vielzahl von Maßnahmen zur Lockerung oder vollständigen Beseitigung von Umwelt- und Naturschutzgesetzen sowie Arbeitsschutzbestimmungen ergriffen. Es begann drei Tage nach Amtsantritt mit zwei Dekreten zum Weiterbau zweier äußerst umstrittener Pipelines, über die kanadisches Erdöl einerseits aus dem Abbau von Teersanden (Keystone XL Pipeline) und aus dem per hydraulischer Frakturierung zerrütteten Untergrund (Dakota Access Pipeline) in die USA transportiert werden sollte. Am 1. Juni 2017 verabschiedeten sich die USA vom Klimaschutzabkommen von Paris. Darüber hinaus wurden riesige Naturschutzgebiete im Bundesstaat Utah um 80 Prozent geschrumpft, andere Schutzgebiete der Überprüfung unterzogen. Vor der Küste der USA darf inzwischen wieder nach Öl und Gas gebohrt werden.

Zu den aktuellen Anti-Naturschutzinitiativen im Kongreß gehört ein Gesetzentwurf mit dem Ziel, den Schutz des grauen Wolfs in Wyoming und entlang der Regionen westlich der Großen Seen zu streichen sowie der Versuch, zu verhindern, daß in der nächsten Dekade das Beifußhuhn auf die Liste der gefährdeten Arten gelangt. Eine weitere Bemühung geht dahin, den amerikanischen Totengräber von der Liste der bedrohten Arten zu nehmen.

Was sich zunächst nach keiner großen Sache anhört, hätte schwerwiegende Folgen. Beispielsweise heißt dieser orangegefleckte Käfer nicht nur Totengräber, er ist auch einer, nämlich eines Teils der Erdölindustrie, die ihre Bohrungen nicht in Gebieten ausbringen darf, wo dieses kleine, geschützte Tier lebt.

Von fundamentaler Bedeutung wäre sicherlich eine Reform des Artenschutzgesetzes, wie sie vom Innenministerium und dem Handelsministerium angestrebt wird. Die Neuerung sieht eine Bestimmung vor, nach der erstmals die ökonomischen Konsequenzen eines Pflanzen- oder Tierschutzes bei der Abwägung, ob eine Art als gefährdet einzustufen ist oder nicht, herangezogen werden. "Die letzten paar Wochen fand die am stärksten koordinierte Reihe von Angriffen auf das Artenschutzgesetz statt, die ich je erlebt habe, seit ich nach Washington gegangen bin", zitiert die New York Times den Abgeordneten Raúl Grijalva aus dem Bundesstaat Arizona, der für die Demokraten im Abgeordnetenausschuß für Natürliche Ressourcen sitzt.

Gegner des Artenschutzgesetzes argumentieren, daß die 1973 festgelegten Bestimmungen niemals überarbeitet wurden, aber Schwächen aufweisen. Beispielsweise würden Landbesitzer nicht von der Regierung entschädigt, wenn sie einen Teil ihres Landes nicht mehr nutzen könnten, weil er als empfindliches Habitat eingestuft wurde.

Sieht man einmal davon ab, daß der Grundwiderspruch von der US-Zeitung gar nicht erst aufgegriffen wird, daß manche Menschen den Besitz großer Flächen Land ansammeln dürfen, während andere wegen Mietschulden in die Obdachlosigkeit geworfen werden, ist den Gegnern des Artenschutzgesetzes zuzustimmen, daß es dringend einer Überarbeitung bedarf. Allerdings wohl kaum in die Richtung, die sie sich wünschen: Trotz der geltenden rechtlichen Bestimmungen wurden zahlreiche Arten an den Rand der Auslöschung gebracht oder über den Rand hinausgestoßen.

Was die New York Times berichtet, stellt den vorläufigen Höhepunkt einer umweltschädigenden, in der Konsequenz menschenverachtenden Politik dar. Denn es sind immer auch Menschen, die darunter zu leiden haben, wenn Erdölpipelines leckschlagen und Trinkwasserreservoire kontaminiert werden, die Erderwärmung nicht eingedämmt wird oder Küstenstreifen von einer Erdölhavarie heimgesucht werden. Und es sind nicht irgendwelche Menschen, sondern hauptsächlich die finanziell weniger gut gestellten, die von der Entschärfung einer sowieso schon ungenügenden Umweltgesetzgebung am stärksten betroffen wären. Menschen wie Trump und seine Multimillionärsriege können sich die schönsten Habitate als Wohnort aussuchen. Denn die gibt es in Nordamerika trotz des Fracking-Booms, der zahlreichen Erdölpipelines, des Kohleabbaus in den Appalachen und anderer Folgeschäden der industriellen Verwertung von Land und Leuten.

Die Trump-Administration ist in die Umweltgesetzgebung eingebrochen und hat angefangen, sie systematisch zu zerstören. Man könnte all diese Vorhaben als Sägen am eigenen Ast bezeichnen, doch der in beiden Kammern republikanisch dominierte Kongreß besteht aus einer Ansammlung zahlreicher Millionäre und Milliardäre, die kein Problem haben, sich Grundstücke in noch nicht zerstörten Habitaten zu kaufen. Diese Menschen sägen nicht am eigenen Ast, sondern am Ast, auf dem andere sitzen und nicht das Privileg haben, sich ihren Wohnort nach Belieben aussuchen zu können.

24. Juli 2018


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