Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNGEN


LAIRE/309: Funkinnovation - 5G provoziert Widerstand ... (SB)



Geradezu überfallartig haben Telekommunikationsunternehmen versucht, die Schweiz zum Testgebiet für die Einführung des neuen Funkstandards der fünften Generation, 5G, aufzubauen, ohne zuvor eine ausreichende Gesundheitsfolgenprüfung durchführen zu lassen. Vom Standpunkt der Mobilfunkbranche galt das Land deshalb als vorbildlich. Doch inzwischen wächst der Widerstand in der Bevölkerung. Am vergangenen Wochenende demonstrierten Tausende vor dem Parlament in Bern gegen 5G. Dazu aufgerufen hatte die Umwelt- und Konsumentenorganisation Frequencia. [1]

Außerdem haben inzwischen die Kantone Genf, Jura und Waadt die Aussetzung des weiteren Ausbaus des 5G-Netzes beschlossen. Als Voraussetzung für den Weiterbau wird unter anderem eine Gesundheitsverträglichkeitsprüfung verlangt. In der aktuellen Ausbaustufe wird 5G annähernd im gleichen Frequenzbereich (2 Gigahertz) wie Mikrowellenöfen (2,455 Gigahertz), wenngleich mit geringerer Energie betrieben. Auch der heutige Mobilfunk und das Fernsehen nutzen diese Frequenz. Aus dem Grund werden Studien, die zu den Vorläufergenerationen 3G und 4G durchgeführt wurden, als Begründung dafür herangezogen, warum weitere Forschungen für 5G gar nicht erforderlich sind. Später sollen bei 5G auch sehr viel höhere Frequenzen genutzt werden, für die bislang so gut wie keine Untersuchungen hinsichtlich ihrer Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen durchgeführt wurden. Hier laufen die Forschungen aber erst an.

Bis Ende dieses Jahres will der Schweizer Mobilfunkanbieter Swisscom, der sich seit der Vergabe der Funklizenzen im Februar 2019 den Markt mit den beiden Unternehmen Sunrise und Salt teil, 90 Prozent des Landes mit 5G-Antennen ausgestattet haben. Es war jedoch nicht der Marktführer, sondern Sunrise, das den schnellsten Start hingelegt hat. Schon Ende März hatte es über 150 Städte und Orte an 5G angeschlossen. Das harmlos klingende Motto des Unternehmens: "Glasfaser durch die Luft".

Politik und Wirtschaft arbeiten Hand in Hand, doch nun regt sich Widerstand in der Bevölkerung. Denn es wird eine landesweite, hochkomplexe Infrastruktur aufgebaut. Zum 5G-System gehören Sendemasten im Abstand von mindestens einen Kilometer - in urbanen Gebieten mit vielen baulichen Hindernissen verkürzt sich die Entfernung deutlich. An Bushaltestellen und anderen Einrichtungen werden Kleinzellen als Sendeanlagen aufgebaut. In den Haushalten, Industrieunternehmen, öffentlichen Gebäuden, etc. werden Rooter installiert, die die Signale weitergeben. Und die Zahl der Endgeräte, die über 5G kommunizieren, wird gewaltig zunehmen. Nicht allein Mobiltelefone, sondern auch der einzelne Roboter in der Fabrik, der Kühlschrank eines Privathaushalts, das autonome Auto, vielleicht sogar Flugtaxen und vieles mehr sollen mit dem "Internet der Dinge" und der "Smart City" funktechnisch verbunden werden. Weltweit wird die Zahl der Endgeräte in die Milliarden gehen. Dem noch nicht genug, haben 5G-Anbieter geplant, mehrere zehntausend Satelliten in den Weltraum zu schicken, von denen aus ein ständiger Funkverkehr von und zur Erde laufen soll.

Schon heute werden in einem halben Tag so viele Daten übermittelt wie vor vor fünf Jahren in einer Woche, versucht Swisscom einen Sachzwang aufzubauen, der den weiteren Ausbau des Funknetzes mit dem neuen Standard begründet. [2] In der Schweiz wollen die Gegnerinnen und Gegner der fünften Generation des Mobilfunkstandards jedoch 100.000 Unterschriften sammeln, um ein Referendum über den 5G-Ausbau zu erzwingen.

Selbst wenn man vereinfachend annähme, daß sich der 5G-Standard im Prinzip nicht vom 3G- oder 4G-Standard unterscheidet, bleibt die Frage bis heute ungeklärt, ab wann bloße Quantität in Qualität umschlägt. Eben weil mit dem neuen Funkstandard vieles machbar wird, was bisher nicht möglich war, beispielsweise die gleichzeitige, lückenlose Steuerung zahlreicher autonomer Fahrzeuge durch den öffentlichen Raum, nimmt das Datenvolumen gewaltig zu.

Welche biologische Wirkung wird davon ausgehen? Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz erwartet "keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch hochfrequente Felder - etwa aus dem Mobilfunk", sofern die Grenzwerte eingehalten werden. [3] Andere dagegen verweisen auf zahlreiche Tierversuchsstudien, die deutliche Einflüsse der Mobilfunkstrahlung auf Verhalten und Physiologie der Tiere zeigen, und begründen damit ihre Forderung, den 5G-Ausbau zu stoppen. [4]

Das Thema ist hoch umstritten. Es gibt zumindest einen hinreichend begründeten Anfangsverdacht, daß 5G-Mobilfunkstrahlung unter Umständen nicht harmlos ist. Eben deshalb haben sich die Parlamente in den drei Kantonen der Schweiz dafür entschieden, den 5G-Ausbau vorläufig zu stoppen. Sie wenden sich nicht prinzipiell gegen diese Technologie, sondern verlangen Aufklärung. So hat der Kanton Genf von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine unabhängige Untersuchung angefordert, in der herausgefunden werden soll, ob 5G-Strahlung für Mensch und Tier unbedenklich ist.

Am Ende der Untersuchung könnte also auch stehen, daß unter den gewählten Versuchsbedingungen keine ausreichenden Belege für die Gefährlichkeit dieser Technologie zu erbringen sind. Inwiefern bei der Untersuchung experimentell bedingt Parameter ausgegrenzt werden, die möglicherweise doch relevant gewesen wären, wird sich zeigen. Zu bedenken wäre beispielsweise, daß ein Experiment immer so aufgebaut wird, daß die Verhältnisse möglichst genau definiert sind. Unerwünschte Fremdeinflüsse werden möglichst ausgeschlossen. Unter realen Bedingungen würden sich aber die verschiedenen Einflüsse kreuzen, möglicherweise miteinander korrespondieren, so daß Verstärkungseffekte auftreten, an die vorher niemand gedacht hat.

Befürworter der 5G-Technologie würden vermutlich auf diese Bedenken antworten, daß sie sich nicht mit Spekulationen befassen, sondern mit wissenschaftlichen Fakten. Die Schwäche dieses Gegenarguments: Jene reklamierten Fakten beruhen ebenfalls auf Spekulationen, nämlich hinsichtlich der gewählten Referenzkriterien für den Experimentaufbau. Hiermit soll nicht behauptet werden, daß die Versuchsbedingungen in jenen Studien, in denen keine Schadenswirkung von Mobilfunkstrahlung festgestellt wurde, vollkommen willkürlich gewählt wurden. Aber sie beruhen auf bestimmten Vorannahmen. Wird nicht wissenschaftliche Objektivität stets von wissenschaftlichen Subjekten geschaffen? Und haben diese Subjekte nicht bestimmte Ansichten, nach denen sie ihre experimentellen Versuchsaufbauten gestalten?

Beispielsweise wird in vielen Untersuchungen nur die thermische Wirkung von Handystrahlung ermittelt, und es wird gesagt, daß 5G sogar noch harmloser ist als 4G, da zu einem späteren Zeitpunkt höhere Frequenzen in Anspruch genommen werden. Die elektromagnetischen Wellen würden dann aufgrund der kürzeren Wellenlänge gar nicht erst in den menschlichen Organismus eindringen und die Organe erreichen, sondern schon an der Haut abgehalten.

Das Argument klingt so, als handele es sich bei der Haut um kein Organ. Nur weil sie aufgrund ihres dauerhaften Kontakts zur Außenwelt diversen Umwelteinflüssen (z. B. Sonneneinstrahlung) ausgesetzt ist, bedeutet das nicht zwangsläufig, daß sie einen energieärmeren, anders gearteten Strahlungseinfluß unbeschadet wegsteckt. Zumal die 5G-Strahlung nicht ersatzweise, sondern zusätzlich zu der Sonneneinstrahlung und weiteren Faktoren auftrifft. Zu bedenken wäre weiterhin, daß die Haut von Blutgefäßen und Nervenzellen durchsetzt ist, die Signale ins Körperinnere weiterleiten. Nichtthermische Signale sind nicht auszuschließen.

Die Internationale Krebsforschungsagentur IARC, die elektromagnetische Strahlung als "möglicherweise krebserregend" eingestuft hat (in die gleiche Kategorie fallen rund 300 Substanzen, unter anderem auch z. B. saures Gemüse), hat im April 2019 empfohlen, in den Jahren 2020 bis 2024 die Krebsanfälligkeit von elektromagnetischer Strahlung neu zu bewerten. [5]

Auch das ist ein Hinweis darauf, daß die Bedenken der Bevölkerung hinsichtlich der Verträglichkeit des neuen Funkstandards nicht zu verwerfen sind. Die Schweiz und andere Länder, die den 5G-Standard entweder bereits eingeführt oder dessen Einführung beschlossen haben, geraten zu einem riesigen Testfeld. Dort wird eine Technologie flächendeckend etabliert, noch bevor die Gesundheitsrisiken ermittelt worden sind. Somit werden Tatsachen geschaffen, von denen es kaum mehr ein Zurück gibt.

Am Ende wird es vermutlich darauf hinauslaufen, daß die Grenzwerte für elektromagnetische Expositionen so ausgesteuert werden, daß der Wirtschaft keine allzu großen Hindernisse im Weg liegen. Ansonsten verschwinden mögliche Schadensfolgen in der Statistik. Schon heute kann man nur abschätzen, wie viele Menschen statistisch an der Exposition von Radioaktivität oder Feinstaub an Krebs erkranken und vorzeitig sterben. Bei der 5G-Strahlung dürfte es auf ähnliche Grenzwerte hinauslaufen. Das heißt, es wird keine Nullösung geben, sondern es wird abgewogen zwischen einer statistischen Zahl an erkrankten Personen und dem (angeblichen) Nutzen der 5G-Technologie für die Gesellschaft.

Am Industrieprojekt 5G läßt sich bestens verdienen, und die Regierungen schaffen damit ein dermaßen dichtes Überwachungs- und Kontrollsystem, das zu beschreiben nicht einmal die Phantasie von Science-fiction-Autoren wie George Orwell ("1984") und Aldous Huxley ("Schöne neue Welt") ausgereicht hat.


Fußnoten:

[1] https://p.dw.com/p/3Q1qm

[2] https://www.swisscom.ch/de/about/unternehmen/portraet/netz/5g.html

[3] http://www.bfs.de/DE/themen/emf/hff/wirkung/iarc/iarc_node.html

[4] tinyurl.com/y6po9pok

[5] https://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/PIIS1470-2045(19)30246-3/fulltext

24. September 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang