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LAIRE/318: EU-USA-Deal - zu Lasten der Gesundheit ... (SB)



Bei aller Kritikwürdigkeit ihrer Zulassungsverfahren [1] hat die Europäische Union vergleichsweise strenge Auflagen für Pestizide in Futter- und Lebensmitteln erlassen. Wohingegen in den Agrarexportnationen USA und Brasilien Dutzende von hochgefährlichen Pflanzenschutzmitteln zugelassen sind, von denen eigentlich keine auf den hiesigen Tellern landen dürften. Angesichts der fortgesetzten Serie an abgeschlossenen und geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und anderen Staaten sollten sich die Verbraucherinnen und Verbraucher allerdings nicht darauf verlassen, das alles so bleibt oder sich gar verbessert. Am Ende wären womöglich sie es, die in ihrer Sorge um ihre gesundheitliche Unversehrtheit von der Administration verlassen werden.

Seit einigen Jahren überarbeitet die EU ihre Zulassungsbestimmungen für Pestizide und seitdem wird sie seitens der agrochemischen Industrie und der Regierungen unter anderem in Washington und Brasilia gedrängt, die Bestimmungen zu lockern. Möglicherweise mit Erfolg. So stellte die neue EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen in Aussicht, daß ein EU-USA-Handelsabkommen "innerhalb von Wochen" zustandekommen könnte, und EU-Handelskommissar Phil Hogan erklärte, daß für jenes Abkommen mit den USA "regulatorische Hindernisse in der Landwirtschaft" beseitigt würden. Darauf machte die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) am 16. Februar 2020 in ihrem Bericht "Toxic residues through the back door - Pesticide corporations and trade partners pressured EU to allow banned substances in imported crops" (z. Dt.: Giftige Rückstände durch die Hintertür - Pestizidhersteller und Handelspartner drängten EU, verbotene Substanzen in importierten Pflanzen zuzulassen) aufmerksam. [2]

Für Ende März dieses Jahres wird das Ergebnis der Überarbeitung zweier Bestimmungen der Pestizidzulassung unter dem Titel REFIT erwartet. In der Zeit soll auch die Strategie "Farm to Fork" der EU-Kommission veröffentlicht werden. Spätestens dann muß die Europäische Union Farbe bekennen, was ihr wichtiger ist, die industrielle Landwirtschaft oder die Gesundheit. So verengt dieser Widerspruch auch erscheinen mag, eines ist sicher: Mit dem von der Agrarlobby favorisierten "risikobasierten" Ansatz bei der Pestizidbewertung werden statistisch mehr Menschen erkranken und vorzeitig sterben als bei dem von Nichtregierungsorganisationen und teilweise auch der EU bevorzugten "gefahrenbasierten" Ansatz.

Den Unterschied zwischen diesen Ansätzen hat die EU-Kommission am Beispiel der sogenannten endokrinen Disruptoren, hormonell schädigenden Substanzen, erläutert. [3] Der gefahrenbasierte Ansatz richtet sich nach den Eigenschaften eines Stoffes. Wenn ein Pestizid giftig ist, hat es auf Getreide nichts zu suchen. Ein Grenzwert, der an diesem Ansatz bemessen wird, läge bei Null. Beim risikobasierten Ansatz dagegen wird gefragt, welches Risiko besteht, daß eine Person zuviel dieses Pestizids einnimmt. Wie der Name "risikobasiert" schon sagt, werden hier Abschätzungen vorgenommen. Die können aber auch falsch liegen. Oder es wird gesagt, daß das Risiko einer Aufnahme des gefährlichen Stoffs über einen bestimmten Grenzwert hinaus gering ist und daß deshalb die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung bei 0,002 Prozent liegt.

Das würde aber bedeuten, daß zwei auf 100.000 Personen an Krebs erkranken. Man wünschte sich vielleicht, daß es genau diejenigen trifft, die solche "risikobasierten" Zulassungsbestimmungen erlassen, doch das bleibt Wunschdenken. Denn niemand weiß, wen es treffen wird, nur, daß es jemanden trifft.

Zur Erklärung des Unterschieds zwischen gefahren- und risikobasiert hat die EU-Kommission eine Analogie aus dem Tierreich verwendet: "Ein Löwe ist seiner Art nach eine Gefahr, aber ein in einem Zoo sicher in seiner Bewegungsfreiheit kontrollierter Löwe stellt kein Risiko dar, da es keine Exposition gibt."

Dieses Bild ist unzureichend. Andersherum wird ein Schuh daraus: Wenn die EU-Kommission Löwen mit Pestiziden vergleicht, dann entspricht der Löwe im Zoo dem Pestizid, das im Behältnis bleibt und auf keinen Fall freigelassen, also in Umlauf gebracht wird! Denn so wie der Löwe stellte es eine Gefahr für die Gesundheit nicht aller, jedoch einzelner Menschen dar.

Das festzustellen ist insofern nicht banal, als daß die EU-Kommission mit dieser Analogie eine in der Agrarlobby verbreitete Denk- und Herangehensweise aufgreift, mit der zu begründen versucht wird, warum die EU-Administration die gesetzlichen Bestimmungen lockern soll. Die Organisation CEO, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Lobbyismus der Industrie in Brüssel aufzudecken, beschreibt die gegenwärtige Entwicklung so:

"Angesichts einer endlosen Anzahl von Besuchen, Briefen und Berichten, Beschwerden und Drohungen der USA, Kanadas und anderer bei der WTO hat die Europäische Kommission ihren ursprünglichen Plan, Rückstände dieser gefährlichen chemischen Substanzen bei der Einfuhr zu verbieten, fallengelassen. Es liegt nun an der neuen Kommission - mit ihrem ehrgeizigen europäischen Green Deal - diesen Ansatz zu ändern und sich für die öffentliche Gesundheit einzusetzen."

Bei REFIT (Regulatory Fitness and Performance programme) werden die Verordnung (1107/2009) zum "Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln" und die Verordnung (396/2005) zu "Höchstgehalten an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs" überarbeitet, um sie zu vereinfachen. Doch was wird vereinfacht und zu wessen Nutzen?

Konkret gefragt: Wird die Vereinfachung auf eine gesundheitsbewahrende Verordnung hinauslaufen, so daß nur noch der gefahrenbasierte Ansatz zulässig ist? Das würde eine harsche Reaktion seitens der US-Regierung und nicht nur dieser auslösen. Mit Klagen vor dem WTO-Schiedsgericht wäre zu rechnen (falls die USA bis dahin ihre Blockadehaltung gegenüber der WTO aufgegeben haben ...) oder aber, ohne diesen Umweg, mit Strafzöllen seitens der Vereinigten Staaten. Die in Brüssel ansässige Unternehmensbeobachtungsorganisation CEO jedenfalls hegt den begründeten Verdacht, daß REFIT die beiden pestizidrelevanten Verordnungen wirtschaftsfreundlicher machen wird. Begründet deshalb, weil die EU-Kommission wiederholt bei Beschwerden der Industrie und auch der kanadischen Regierung auf den REFIT-Prozeß verwiesen hat.

Die Mitglieder der Europäischen Union sind sich keineswegs einig darin, die Pestizidverordnungen zu lockern. Da spielen unterschiedliche Wirtschaftsinteressen hinein. Falls aber beispielsweise in einem Handelsabkommen der EU mit den USA der risikobasierte Ansatz durchgesetzt wird, nähme die EU-Kommission in Kauf, daß unter anderem die Zahl der Krebsfälle steigen wird.


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umge-319.html

[2] https://corporateeurope.org/en/2020/02/toxic-residues-through-back-door

[3] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/MEMO_16_2151

18. Februar 2020


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