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LAIRE/323: USA - doppelte Lasten ... (SB)



Die USA haben die Umweltschutzgesetzgebung faktisch außer Kraft gesetzt. Industriebetriebe, die Luft, Boden und Wasser mit Chemikalien verschmutzen, werden dafür von den Behörden nicht mehr zur Verantwortung gezogen. Als Vorwand für die behördliche Entscheidung dient die Belastung durch die Häufigkeit von Covid-19-Fällen. Das bedeutet, daß die ärmeren Menschen nicht nur aufgrund der Coronavirus-Epidemie verhältnismäßig stärker betroffen sind, sondern auch durch die aktuelle politische Entscheidung der Regierung. Denn wiederum sind es die ärmeren Menschen und unter ihnen diejenigen afroamerikanischer Herkunft, die häufiger in der Nähe von Industrieanlagen, Bergbaugebieten und Standorten mit toxischen Chemikalien verseuchten Altlasten leben.

Die Aufweichung der Umweltschutzgesetzgebung seit Amtsantritt Donald Trumps hat seinen vorläufigen Höhepunkt am 26. März 2020 mit einer Pressemitteilung der Umweltschutzbehörde EPA zur Lockerung der routinemäßigen Aufsichtsmaßnahmen über die Freisetzung von Schadstoffen erreicht. EPA-Administrator Andrew Wheeler sagte:

"Die EPA setzt sich für den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt ein, ist sich jedoch bewußt, daß die Herausforderungen, die sich aus den Bemühungen zum Schutz der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit vor Covid-19 ergeben, direkte Auswirkungen auf die Fähigkeit der regulierten Einrichtungen haben können, alle bundesrechtlichen Anforderungen zu erfüllen. Diese vorläufige Richtlinie soll unter den gegenwärtigen, außergewöhnlichen Bedingungen einen Ermessensspielraum bei der Durchsetzung bieten und gleichzeitig sicherstellen, daß der Betrieb der Einrichtungen weiterhin die menschliche Gesundheit und die Umwelt schützt." [1]

Demnach hebt die EPA nicht sämtliche Bestimmungen zum Monitoring beispielsweise von Luftschadstoffen aus Kraftwerksabgasen oder Einleitungen von Abwässern der chemischen Industrie auf, aber sie überläßt es dem Ermessen der wirtschaftlichen Akteure, ob sie in Zeiten der Coronaviruskrise in der Lage sind, die Überwachung ihrer Anlagen wie bisher zu gewährleisten und regelmäßig darüber Bericht zu erstatten. Die EPA wird Versäumnisse nicht ahnden. In einem weiteren Bericht hat EPA-Mitarbeiterin Susan P. Bodine die Einzelheiten der neuen Bestimmungen näher ausgeführt. [2]

Sicherlich ist es der Natur der Pandemie geschuldet, daß die US-Regierung kein Ausstiegsdatum für die neuen Bestimmungen nennen kann. In Anbetracht der zahlreichen Lockerungen oder Streichungen von Umweltschutzgesetzen in den zurückliegenden drei Jahren liegt allerdings der Verdacht nahe, daß von der US-Administration nun die günstige Gelegenheit der Seuchenbekämpfung genutzt wird, um der Industrie mit leichter Hand weitere Vorteile zu verschaffen. Ganz so, wie diese es in einer Reihe von Briefen an die Trump-Regierung erbeten hatte.

Auch wenn ein absichtliches Freilassen großer Mengen an Schadstoffen in die Umwelt verboten bleibt, ist klar, daß dies in der Praxis allzu leicht zu einer Formalie geraten kann. Denn wer wollte beispielsweise nach ein oder zwei Jahren noch den Nachweis erbringen, daß ein Industriebetrieb toxische Substanzen in die Luft gepustet hat, weil er sich die hohen Kosten für die Filter sparen wollte? Kämen deswegen Menschen zu Schaden, wäre es nahezu ausgeschlossen, einen rechtskräftigen Nachweis zu führen, daß ein bestimmtes Unternehmen für eine bestimmte Erkrankung verantwortlich zeichnet. Die EPA hat die Umweltschutzüberwachung weitreichend unterhöhlt.

Seit Beginn des Industriezeitalters vor rund 200 Jahren besaßen Leben und Unversehrtheit des Menschen bei denen, die die Arbeit verteilt haben, keinen hohen Wert. Der einzelne war ersetzbar und er ist es auch heute noch. Erst ab den 1970er Jahren, als andere Lebens- und Gesellschaftsentwürfe diskutiert wurden, haben die Industriestaaten angefangen, Gesetze zu erlassen, um zumindest die allergröbsten Umweltkontaminationen zu verhindern. Damit sollten der soziale Frieden und die vorherrschende, konkurrenzbasierte Produktionsweise bewahrt werden.

Die derzeitige US-Regierung knüpft mit ihrer Politik wieder an die Ursprünge der rücksichtslosen industriellen Verwertung menschlicher Arbeitskraft an. Nicht nur Umweltschutzgesetze, die immer auch Gesetze zum Schutz von Lebensqualität sind, sondern auch Arbeitsschutzgesetze wurden geschleift. Die mit Nachdruck betriebene Deregulierung sah Lockerungen der Arbeitsbedingungen im Bereich des Bergbaus - inklusive der Öl- und Gasförderung mittels der umstrittenen Methode des Frackings -, der Tierverwertung, des Transportwesens und vieler weiterer Branchen vor. Davon profitierten Industrie und Finanzwirtschaft, nicht jedoch die zumeist gering bezahlten Arbeiterinnen und Arbeiter an den Fließbändern der Schlachtfabriken, in der Autoindustrie, hinter dem Lenkrad der riesigen Trucks, etc.

Wer in den USA an Covid-19 erkrankt, muß schon viel Geld haben, um sich eine Behandlung im Krankenhaus leisten zu können. Und noch mehr Geld brauchen jene, die intensivmedizinisch behandelt und an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Mangels ausreichender Gesundheitsversorgung sterben die ärmsten der Armen zur Zeit in Massen, besonders unter den Afroamerikanern, Latinos und Native Americans. Gut möglich, daß Donald Trump genau deswegen von seiner rassistisch eingestellten weißen Klientel wiedergewählt wird.

"Peoples of Colour" ist die Farbe der Armut. Viele Vorerkrankungen, die tendenziell häufiger zu einem schweren Verlauf von Covid-19 führen können, sind unmittelbar Folge einer unzureichenden Ernährung, die insbesondere deswegen von den Ärmeren bevorzugt wird, weil sie erschwinglich ist. Auch das erhöht das Sterberisiko.

Dazu kommt, daß die Wohnorte in der Nähe von Industrieanlagen oder in deren Abwindzonen um einiges preiswerter sind und vorzugsweise von den Ärmeren bewohnt werden. Die neuen EPA-Bestimmungen werden dafür sorgen, daß die umweltbedingten Vorerkrankungen wie beispielsweise Asthma unter den Ärmeren zunehmen. In diesem Sinne wäre es überaus verkürzt, zu behaupten, die Sars-CoV-2-Pandemie sei ein Naturereignis. Nicht allein in den USA, aber dort in besonders entwickelter Form, entscheiden die sozioökonomischen Bedingungen über Leben oder Tod.

Mit der jüngsten Befreiung der Wirtschaft von bestimmten Umweltauflagen verschärft die Trump-Administration die bereits aufgrund von Covid-19 lebensgefährliche Lage der Unterprivilegierten. Während sich die Reichen auf ihre weitläufigen Landsitze zurückziehen und so lange abwarten können, bis daß ein Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus entwickelt ist, werden die Menschen in den Armenvierteln beispielsweise von New York in ihren vier Wänden kaserniert, so daß sich nicht nur einzelne Personen, sondern ganze Familien mit dem Virus anstecken. Der Klassenkampf wird von oben nach unten geführt, konsequent, rücksichtslos und im Zweifelsfall vernichtend.


Fußnoten:

[1] https://www.epa.gov/newsreleases/epa-announces-enforcement-discretion-policy-covid-19-pandemic

[2] https://www.epa.gov/sites/production/files/2020-03/documents/oecamemooncovid19implications.pdf

14. April 2020


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