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OFFENER BRIEF/041: Offener Brief der KlägerInnen des People's Climate Case (GW)


Germanwatch e.V. - 10. Oktober 2018

Offener Brief der KlägerInnen des People's Climate Case


Liebe Leserin, lieber Leser,
vielleicht haben Sie zwei Nachrichten schon aus den Medien erfahren:

Zum einen hat gestern der Weltklimarat IPCC einen Sonderbericht zum 1,5 Grad-Ziel veröffentlicht. Der Bericht zeigt, dass ab einer Erwärmung über 1,5 Grad die Risiken und volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels massiv steigen. Die gute Nachricht ist: Die Begrenzung der Erwärmung auf dieses Limit ist bei zügigem und entschiedenem Handeln machbar.

Zum anderen haben bereits Ende Mai zehn Familien aus Deutschland, Portugal, Frankreich, Italien, Rumänien, Kenia, Fidschi sowie ein Jugendverband Klage vor dem Gericht der Europäischen Union eingereicht, um gegenüber dem europäischen Gesetzgeber konsequenten Klimaschutz durchzusetzen. Sie sind bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt von den Folgen des Klimawandels betroffen.

Anlässlich der Veröffentlichung des IPCC-Sonderberichts melden sich die KlägerInnen dieses People's Climate Case heute in einem offenen Brief an die EU-UmweltministerInnen zu Wort. Die Ergebnisse des Sonderberichts unterstreichen die Dringlichkeit ihrer Forderung nach einer Verschärfung der EU-Klimaziele bis 2030.

Bis Mitte Oktober haben die Beklagten jetzt Zeit, zur Klage Stellung zu nehmen. In der EU-Ratssitzung am heutigen Dienstag wurden die Standpunkte der EU für die Verhandlungen auf dem kommenden UN-Klimagipfel abgestimmt - eine weitere Gelegenheit für die KlägerInnen, sich mit ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen.

Germanwatch unterstützt die deutsche Klägerfamilie und das internationale Netzwerk der KlägerInnen. Wir betreuen, beraten, knüpfen Verbindungen und informieren die Öffentlichkeit.



Online-Solidaritätserklärung von wemove sowie
weitere Hintergrundinformationen und Videos
unter www.peoplesclimatecase.de

Raute


Offener Brief der KlägerInnen: 1,5 - auf diese Zahl kommt es an.

Unsere Nachricht ist dringend. Seht her und hört unsere
Worte. Dies hier ist zu wichtig.

Wir schreiben euch als LandwirtInnen, SchäferInnen, FörsterInnen, Hoteliers und GastronomInnen und SchülerInnen. Wir leben in unterschiedlichen Ländern, quer über Europa verteilt: Schweden, Portugal, Frankreich, Italien, Deutschland und Rumänien. Wir haben eine Sache gemeinsam: Der Klimawandel beeinträchtigt unser tägliches Leben.

Ein paar Monate ist es erst her, da haben wir die EU wegen ihrer zu wenig ambitionierten Klimaziele für 2030 verklagt. Für die meisten von uns war es das erste Mal überhaupt, dass wir eine Klage eingereicht haben. Wir hätten es nicht getan, stünden nicht unsere Familien und Freunde, unser Zuhause, unsere Kultur und die Zukunft unserer Kinder auf dem Spiel. Für uns hat Klimawandel nichts mit Diplomatie oder Verhandlungen auf höchster politischer Ebene zu tun. Wir sind persönlich betroffen und brauchen dringend ein Europa, das uns schützt.

Letztes Jahr verlor Armando in den portugiesischen Waldbränden seinen Forst. Die Behörden haben die Brände öffentlich auf den Klimawandel zurück geführt. Die Rentierzucht, das Herzstück der samischen Kultur, ist aufgrund veränderter Lebensbedingungen der Rentiere gefährdet. Sanna sorgt sich nicht nur um die Rentiere, sondern auch um den Fortbestand der samischen Tradition und die Zukunft ihrer Generation. Anhaltende Dürreperioden im Süden Frankreichs haben dazu geführt, dass Maurice im Verlauf der letzten sechs Jahre 44% seiner Einnahmen aus dem Lavendelanbau eingebüßt hat. Sein Sohn Renaud ist Teil der ersten Generation, die sich nach neuen Einnahmequellen umschauen muss, weil der Lavendelanbau kein ausreichendes Einkommen für die Familie bietet.

Sanddünen, die die Frischwasserressourcen auf der ostfriesischen Insel Langeoog schützen, sind dem Meeresspiegelanstieg und stärker werdenden Sturmfluten ausgesetzt. Maike und Michael, die seit Generationen auf der Insel leben, sorgen sich um die Zukunft ihres gastronomischen Familienbetriebs. Vlad lebt in den Karpaten. Er treibt sein Vieh von 700 Meter Höhe auf 1400 Meter, um noch an ausreichend Wasser und Weidegrund zu gelangen. "Ich kann mit meiner Herde nicht noch weiter nach oben ziehen", so Vlad "denn oberhalb von 2000 Metern ist nur noch der Himmel."

In Portugal beeinträchtigen starke und immer häufiger auftretende Dürren den Betrieb von Alfredos Biohof. Er ist sich darüber im Klaren, dass ein Temperaturanstieg um mehr als 1,5 Grad bedeuten würde, dass dort, wo jetzt sein Hof steht, eine Wüste wäre. Und genau auf ein solches Szenario steuern wir in diesem Fall mit den bestehenden Klimazielen der EU zu. Alfredo bliebe - genau wie den 35 Familien, die auf seinem Hof beschäftigt sind - nur noch der Wegzug. Ildebrandos Familie arbeitet schon seit Generationen als Bienenzüchter. Die Veränderungen in der Blütezeit und das ungewöhnlich warme Wetter haben zu einer Zerstörung der Bienenstöcke geführt. Die Familie verlor allein im Jahr 2017 60% ihrer Produktion. Giorgios Familie betreibt ein kleines Bed & Breakfast Hotel in den italienischen Alpen, dessen Fortbestand von den Möglichkeiten zum Eisklettern in der Region abhängt. Die Temperaturveränderungen gefährden das Eisklettern und damit auch die Einkünfte der Familien in der Region.

All diese Auswirkungen vollziehen sich bereits jetzt, es passiert mitten in Europa. Sie sind das Ergebnis einer Temperaturerhöhung von gerade einmal 1 Grad. Und es ist bereits jetzt mehr als wir verkraften können. Gestern hat uns die Wissenschaft daran erinnert, dass unsere Zukunft von einer einzigen Zahl abhängt: 1,5. Das wichtigste wissenschaftliche Gremium in Bezug auf den Klimawandel, der IPCC, warnt die Welt vor den Auswirkungen des Klimawandels, die noch viel schlimmer werden, wenn wir den Temperaturanstieg nicht auf 1,5 Grad begrenzen. Die WissenschaftlerInnen haben außerdem nachgewiesen, dass 1,5 Grad MÖGLICH und MACHBAR sind. Dies ist das ehrgeizigste Ziel, das noch immer erreichbar ist, wenn wir schnell genug handeln. Die EU muss jetzt tätig werden, um unsere Grundrechte vor den schlimmer werdenden Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. Mit unserer Klage wollen wir die EU dazu zu bewegen, bessere Klimapolitik zu machen. Wir wollen weder Wiedergutmachung noch Geld. Wir sind überzeugt, dass verstärkte Bemühungen für den Schutz vor den Folgen des Klimawandels der einzig mögliche Weg sind, um unsere Familien dort zu schützen und unseren Lebensunterhalt dort zu sichern, wo wir bereits seit Generationen zu Hause sind. Die Wissenschaft hat einmal mehr nachgewiesen, dass wir konkrete Mittel zur Hand haben, um dieser Herausforderung zu begegnen. Und in Europa haben wir zudem die Möglichkeit, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen und darüber nachzudenken, was Klimapolitik uns StaatsbürgerInnen wirklich kostet.

Heute treffen sich die UmweltministerInnen der EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel, um über den Klimawandel zu diskutieren. In wenigen Monaten wird Europa Gastgeber der UN-Klimakonferenz in Katovice, Polen sein. Wird diese Chance vertan, die europäischen Klimaziele und die Klimapolitik auf einen Weg zu bringen, der das Erreichen des 1,5°-Ziels ermöglicht, hat das verheerende Folgen für unsere Sicherheit, unsere Zukunft und die Ausübung unserer Grundrechte.

Wir appellieren an die EU-EntscheidungsträgerInnen, auf die Stimme der Wissenschaft zu hören und die EU-Klimaziele für das Jahr 2030 auf einen Pfad zu bringen, der mit dem 1,5°-Ziel vereinbar ist. Dies ist der einzig mögliche Weg, um die BürgerInnen der EU vor den schlimmer werdenden Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. Und der einzig mögliche Weg, um als eine Generation von EU-PolitikerInnen in Erinnerung zu bleiben, die Geschichte zum Wohle aller geschrieben hat.

9. Oktober 2018



UnterzeichnerInnen des Offenen Briefes:

  • Sanna Vannar, Präsidentin von Sáminuorra, Schweden
  • Maurice und Renaud Feschet, Landwirte, Frankreich
  • Maike und Michael Recktenwald, Hoteliers und Gastronomen, Deutschland
  • Vlad Petru, Landwirt und Schäfer, Rumänien
  • Armando Carvalho, Waldbesitzer, Portugal
  • Alfredo Sendim, Landwirt, Portugal
  • Ildebrando Conceiç’o, Bienenzüchter, Portugal
  • Joaquim Caixeiro, Landwirt, Portugal
  • Giorgio Elter, Landwirt und Hotelier, Italien

Germanwatch unterstützt die deutsche Familie und das internationale Netzwerk der KlägerInnen. Wir betreuen, beraten, knüpfen Verbindungen und informieren die Öffentlichkeit.

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Quelle:
GW-Rundmail/Pressemitteilung, 10.10.2018
Herausgeber: Germanwatch e.V.
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Internet: http://www.germanwatch.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2018

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