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STANDPUNKT/159: Virtuelles Wasser - ein Konzept in der Sackgasse (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter April 2011

STANDPUNKT: Virtuelles Wasser - ein Konzept in der Sackgasse


Der Wasserverbrauch eines Produkts, eines Landes oder eines Menschen wird neuerdings mit "Fußabdruck"-Rechnungen genau erfasst. So genanntes virtuelles Wasser beinhaltet dabei auch jenes Wasser, das in einem anderen Teil der Welt genutzt wurde, um Güter zu produzieren, die hier konsumiert werden. Der Welthandel entpuppt sich als Handel mit virtuellem Wasser. Ist diese Form des Wasserhandels problematisch und müssen virtuelle Wasserströme reguliert werden?

Das Konzept des virtuellen Wassers, Mitte der 1990er Jahre entwickelt vom englischen Geografen John Anthony Allan, hat in den vergangenen Jahren große Aufmerksamkeit erregt. Unzählige Studien versuchen, virtuelle Wasservolumina und Ströme zu berechnen. Ähnlich dem Carbon Footprint für CO2Emissionen macht der "Wasserfußabdruck" die Anspannung globaler Wasserressourcen sichtbar - für ein Produkt, einen Menschen oder ein ganzes Land. Während in einem Kilogramm Weizen etwa 1.300 Liter Wasser verarbeitet wurden, "enthält" ein Kilogramm Rindfleisch bereits 15.500 Liter. Und während ein US-Amerikaner stolze 2.483 Kubikmeter Wasser pro Kopf und Jahr verbraucht, sind es in China gerade einmal 702 Kubikmeter.

Sind nun diese Kennzahlen und Handelsströme problematisch, wie häufig beklagt wird? Brauchen wir eine Regulierung im Interesse von Umweltschutz und fairem Konsum? Tatsächlich werden globale Bewegungen von Wasserressourcen vielfach kritisch gesehen: Eine lebenswichtige Ressource werde den "unfairen" Regeln des weltweiten Agrarhandels unterworfen, und "verschwenderische" Konsumgewohnheiten in den Industrieländern übten in wasserarmen Teilen der Welt Ressourcendruck aus. Was ist aus ökonomischer Sicht von diesen Ideen zu halten?

Der internationale Handel beruht letztlich auf relativen Kostenvorteilen eines Landes in der Güter-Produktion, welche u. a. auf den Reichtum an Ressourcen zurückgeführt werden können. Ist ein Land besonders reichlich mit einem Faktor (z. B. Wasser) ausgestattet, ist dieser relativ billig im Vergleich zu anderen Produktionsfaktoren, was dem betreffenden Land einen Kostenvorteil für wasserintensive Güter verschafft. Freier Handel wirkt grundsätzlich für alle Seiten vorteilhaft, indem er durch Spezialisierung und Austausch eine effiziente internationale Arbeitsteilung herbeiführt. Wasser kann genau dort eingesetzt werden, wo es am reichlichsten vorhanden ist. Und Länder mit nur geringer Ressourcenausstattung kommen durch Handel in den Genuss lebenswichtiger Güter: Für Israel ist die Einfuhr virtuellen Wassers ebenso überlebenswichtig wie für Deutschland die Versorgung mit Import-Rohstoffen. Die Handelsströme spiegeln dabei keineswegs genau die Wasserknappheit der Handelspartner wider, denn neben Wasser sind in der landwirtschaftlichen Produktion auch die Verfügbarkeit von Boden, Arbeitskräften und Anbautechniken relevant; die Niederlande sind reichlich mit Wasser, aber knapp mit landwirtschaftlich nutzbarer Fläche ausgestattet und daher "Wasserimporteur". Tatsächlich kann man eine verblüffende Vielfalt an Handelsströmen bei beliebigen Wasserausstattungen beobachten. Auch verursacht der Verbrauch eines Kubikmeters Wasser aus ökonomischer Sicht nicht überall die gleichen Umweltkosten. Es kommt vielmehr auf lokale Bedingungen wie Wasserverfügbarkeit und Anbaubedingungen an: Ein Kubikmeter Wasser aus Ägypten ist nicht mit einem Kubikmeter Wasser aus Deutschland vergleichbar. Es ist gar nicht möglich, generelle Aussagen über die vorzugswürdige Richtung von virtuellen Wasserströmen zu treffen.

Allein diese Überlegungen zeigen, dass ein reiner MengenIndikator kaum geeignet sein kann, relevante Wasserprobleme aufzudecken. Zudem sollte es jedem Land überlassen bleiben, ob es seine nationalen Wasservorräte gerade auch zum Anbau landwirtschaftlicher Exportprodukte nutzt und damit auf dem Weltmarkt Zugang etwa zu High-Tech-Produkten findet. Es sind die Nachhaltigkeit agrarischer Wassernutzung und die Legitimation der regionalen Entscheidungsprozesse über knappes Wasser, die uns Sorge bereiten müssen, nicht der grenzüberschreitende Handel mit Gütern.

Handelsbeschränkende Maßnahmen wie virtuelle Wassersteuern sind aus ökonomischer Sicht abzulehnen, da sie den beiderseitig vorteilhaften Handel einschränken und die Fähigkeit von Preisen verzerren, Knappheiten richtig anzuzeigen. Zur Verbesserung der Nachhaltigkeit regionaler Wasserhaushalte leisten sie keinerlei Beitrag. Es wäre eine geradezu groteske Vorstellung, jedes Land wieder auf die jeweils vorzufindende Ressourcenausstattung zurückzuwerfen - ein globales Verarmungsprogramm! Während der Carbon Footprint die weltweit zu gleichen Klimaeffekten führende Treibhausgasbelastung anzeigt, fasst der Water Footprint völlig ungleichartige Wassernutzungen und ihre ökologischen Auswirkungen zusammen. Er geht damit an den wahren Problemen vorbei. Wasser- und Handelsprobleme müssen vielmehr dort gelöst werden, wo sie anfallen: in der Welthandelspolitik und der regionalen Nachhaltigkeit im Umgang mit knappem Wasser.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Prof. Dr. Erik Gawel ist stellvertretender Leiter des Departments Ökonomie am UFZ und Direktor des Instituts für Infrastruktur und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Finanzwissenschaft sowie die Umweltund Institutionenökonomik, insbesondere im Bereich der Ökonomie des Gewässerschutzes. In Kürze erscheint der Abschlussbericht zu dem von ihm geleiteten UBA-Forschungsprojekt zur Zukunft der Wassernutzungsabgaben. e-mail: erik.gawel[at]ufz.de


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Quelle:
UFZ-Newsletter April 2011, S. 5
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2011