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STANDPUNKT/194: Die lausigen Tricks der Atomkonzerne (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 40 vom 7. Oktober 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Die lausigen Tricks der Atomkonzerne
Die alte Litanei von den "zu hohen Kosten" des Atom-Ausstiegs

von Hans-Peter Brenner


Es musste ja so kommen. Die Gegner des Ausstiegs aus der Kernenergie geben nicht so klein bei. Egal was Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung ist. Egal, ob sich die Regierung diesem unübersehbaren Druck beugen musste, um nicht politisch völlig abserviert zu werden.

"Experten" der Großkonzerne warnen jetzt nach einer Phase der Neuformierung des eigenen Lagers vermehrt davor, den Atomausstieg "zu schnell" in Angriff zu nehmen: Sie beschwören - was wohl? - die Sorge vor einer "Wirtschaftsdelle". Vorreiter ist der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, der jetzt vor den ökonomischen Folgen eines "zu schnellen Umbaus der Energieversorgung" in Deutschland warnt. Mit einem beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie könne" man nicht so leicht auf einen "Kostendegressionseffekt" bei den erneuerbaren Energien setzen" erklärte Hüther am 3. Oktober auf Handelsblattonline. Eine Kostensteigerung werde "unausweichlich sein, mit all den Folgen für Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland". Es sei denn, "der Staat greift tief in die Subventionstasche".

Die Stromerzeugung aus Atomenergie weise nach wie vor die niedrigsten laufenden Kosten - 50 US-Dollar je Megawattstunde - auf. Offshore-Windenergie liege demnach bei 138 US-Dollar je Megawattstunde, Solarenergie bei über 300 US-Dollar. Deshalb komme es nun sehr darauf an, "in welcher Geschwindigkeit der Atomausstieg organisiert werden soll und welche Bereitschaft bestehe, Strom zu importieren." Derzeit würde ein Umstieg auf erneuerbare Energien die Kosten erhöhen, fügte Hüther unter Hinweis auf Daten der Internationalen Energieagentur IEA hinzu.

Hüthers Argumente sind so alt wie falsch. Von der IEA weiß derzeit schon beinahe jedes Kind, dass sie eine Einrichtung der Atomindustrie ist und nicht eine "neutrale" Institution. Die von ihm genannten Vergleichsdaten unterschlagen einerseits die wirklichen Kosten für den Strom aus Kernenergie, ihre aus Steuergeldern subventionierten Niedrigpreise, die Kosten, welche aus Atomunfällen entstehen, und auch die Kosten der nicht geklärten atomaren Entsorgung.

Die Versicherungsbranche weiß um diese Risiken und hat deshalb die Versicherungskosten für die AKW-Betreiber so irreal niedrig angesetzt, dass nur Bruchteile von Schadensfolgen versichert sind. Andererseits werden trotz des Ausstiegsbeschlusses noch immer den Produzenten alternativer Energien nicht einmal ansatzweise ähnliche staatliche Subventionen zuteil.

Nicht alle Atom-Lobbyisten sind so dreist und setzen so sehr auf die Verdummungsmasche. Ebenfalls auf dem "Preis-Klavier" spielt - jedoch nach anderen Noten - z. B. das ebenfalls der Großindustrie verbundene Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Der beschleunigte Umbau des Energiesystems für die deutsche Energiewirtschaft werde "eine teure Angelegenheit". "Der Investitionsbedarf liegt bei maximal 200 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren", verkündete DIW-Energie-Expertin Claudia Kemfert gegenüber der Presse. Das klingt bekannt und ähnelt der Litanei von Hüther. Danach geht es aber doch etwas anders weiter. Der Strompreis für Verbraucher und Industrie werde sich "nur leicht" erhöhen, da es "genauso viele preissteigernde wie preissenkende" Wirkungen gebe, erklärte Kemfert. Die Investitionen würden Strom zwar tendenziell verteuern, aber die Importe wirkten sogar preissenkend, da der Strom aus dem Ausland billiger sei. Auch die Zunahme des Wettbewerbs könnte sich senkend auf den Preis auswirken, sagte Kemfert. Zwei Stimmen von Vertretern der AKW-Frontkämpfer, die sich offenbar nicht gut genug abgestimmt hatten.

Und selbst Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) stößt nicht in dasselbe Horn wie "IW" - Chef Hüther. Lediglich mit einer "moderaten" Verteuerung der Strompreise sei zu rechnen. Der Preis für eine Kilowattstunde Strom werde sich in den nächsten Jahrzehnten bei Umsetzung der Pläne nur um 0,1 bis 0,9 Cent erhöhen, erklärte Röttgen nach Informationen der "Passauer Neuen Presse" letzte Woche vor den Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Zeitung beruft sich auf Teilnehmer der Fraktionssitzung - wahrscheinlich stammen sie aus den Reihen der CSU.

Nur wenige Tage vorher hatte das Handelsblatt das Ergebnis einer Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL) veröffentlicht. Der Abriss der deutschen Atomkraftwerke werde die vier deutschen Reaktorbetreiber mindestens 18 Milliarden Euro kosten hieß es darin.

Die deutschen Kernkraftwerksbetreiber - E.on, RWE, ENBW und Vattenfall - hätten bereits "hohe Rückstellungen" für den Rückbau der Reaktoren und die Entsorgung des Atommülls gebildet. Ein Sprecher des größten deutschen Energieversorgers E.on bezifferte die Kernenergierückstellungen des Konzerns auf zwölf Milliarden Euro. Auch bei RWE wurden über zehn Milliarden Euro für die Abbau- und Stilllegungsarbeiten zurückgestellt. Eine Sprecherin der Konzerntochter RWE-Power sagte: "Wir gehen davon aus, dass das auskömmlich ist."

Insgesamt belaufen sich die Rückstellungen der vier Energiekonzerne nach Angaben des Handelsblatts jedoch auf mehr als 30 Milliarden Euro. Ob diese Zahlen stimmen, weiß niemand genau. Die prognostizierten Abbaukosten von 18 Milliarden liegen aber weit darunter. Was geschieht mit den aus Steuergeldern und von den Stromkunden finanzierten restlichen 12 Milliarden? Danach wird nicht gefragt.

Die aktuelle Panikmache wegen angeblich "nicht zu schulternder Kosten" ist also nicht mehr als ein durchsichtiges und schlecht aufgeführtes Stück auf einem Provinztheater. Alle AKW-Betreiber sind seit Jahrzehnten durch das Atomgesetz dazu verpflichtet gewesen, einen Teil ihrer vom Staat hochsubventionierten Gewinne für den einmal zu erwartenden Ab- und Rückbau der Kraftwerke zurückzulegen. Diese bereits seit Jahrzehnten mit Steuermitteln zurückgelegten Teile der Extraprofite sind zwischenzeitlich mehrfach verzinst worden und haben für weitere Extraprofite der Atomenergiekonzerne gesorgt.

Die Kosten für den Abbau unterscheiden sich nicht nur von Land zu Land, sondern auch von Kraftwerkstyp zu Kraftwerkstyp und sind gegenüber der Öffentlichkeit kaum transparent. In der 2010 von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegeben Publikation "Mythen der Atomkraft" heißt es zu dieser Thematik: "Erschwert wird ihre Schätzung (gemeint sind die Abbaukosten, d. A.) insbesondere dadurch, dass die normale Abdiskontierung (Abzinsung, d. A.) über die hier erwarteten Zeiträume nicht funktioniert. Bei einer Diskontrate von 15 Prozent sind Kosten, die 15 Jahre oder später anfallen, zu vernachlässigen."

Deshalb ist es auch kein Zeichen von besonderer Progressivität, dass Kanzlerin Merkel vor der CDU/CSU-Fraktion einen schnelleren Ausstieg aus der Atomenergie als unumgänglich bezeichnet. Der frühere Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) habe dabei Minister Röttgen aufgefordert, den Bürgern "reinen Wein" einzuschenken über den Anstieg der Energiepreise im Zuge einer Energiewende, berichtete die Zeitung.

Auch der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke, habe "mehr Transparenz" gefordert, vermeldete das Handelsblatt. Die Bürger seien bereit, für die Energiewende zu zahlen, wenn sie nicht das Gefühl hätten, dass das Geld in undurchsichtigen Kanälen verschwinde, sagte Fricke der "Passauer Neuen Presse". "Der Bürger muss genau wissen, wofür er zahlt. Wie viel Cent gehen an den Stromkonzern, wie viel Cent an den Nachbarn mit der Solaranlage und wie viel an den Investor, der die Windanlage baut." Und weiter: "Wir benötigen Transparenz auf der Stromrechnung, was die Energiewende kostet."

Dagegen ist nicht viel einzuwenden. Die "Öffentlichkeit" müsste und möchte aber sicherlich mindestens genau so dringend wissen, was die Energiekonzerne mit den 12 Milliarden Euro machen, die sie an Überschuss auf ihren Konten allein aus diesem Bereich ihrer staatlich subventionierten Extraprofite eingesackt haben.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, 40 vom 7. Oktober
2011, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2011