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STANDPUNKT/339: Alternative Testmethoden in der Umweltrisikoprüfung (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt

Standpunkt: Alternative Testmethoden in der Umweltrisikoprüfung

von Stefan Scholz



Sollen Chemikalien für den Markt zugelassen werden, müssen sie einer Umweltrisikobewertung unterzogen werden. Integraler Bestandteil der Umweltrisikobewertung sind Tierversuche. Etwa 100.000 Wirbeltiere, die meisten davon Fische, werden jährlich in der EU in Tierexperimenten eingesetzt, um Industriechemikalien, Pflanzenschutzmittel, Pharmaka oder Futterzusätze bezüglich ihrer Umweltverträglichkeit zu bewerten. Aus ethischer und ökonomischer Sicht ist das ein erheblicher experimenteller Aufwand, auch wenn das im Vergleich zur Gesamtzahl an Tierversuchen - rund 12 Millionen jährlich in der EU - relativ gering erscheinen mag. Mit dem europäischen Chemikalienrecht REACH wird die Zahl an Tierversuchen jedoch vermutlich weiter ansteigen, denn bis 2018 sollen auch alle bisher unzureichend charakterisierten, aber bereits vermarkteten Altsubstanzen geprüft werden.

Tierversuche sollen helfen, mögliche negative Auswirkungen von Chemikalien auf die Umwelt abzuschätzen und somit potenzielle Gefährdungen abzuwenden. Kritisiert man also den Einsatz von Tierversuchen, so muss man sich über mögliche Alternativen Gedanken machen. Im einfachsten Falle kann eine Reduktion bereits durch ein geändertes Test-Design erreicht werden. Weiterhin können strukturelle, physikochemische Stoffeigenschaften von Chemikalien vergleichend analysiert werden, um daraus für eine unbekannte Substanz die biologische Wirkung abzuleiten. Neue experimentelle Ansätze basieren auf der Analyse molekularer Wirkungsmechanismen sowie der Nutzung von Embryonen bzw. Eiern oder Zellen von Fischen. Sie gelten nach der "EU-Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere" als Ersatzmethode zu Tierversuchen. Bisher stellt das deutsche Wasserabgabengesetz die einzige gesetzliche Regelung dar, bei der ein Tierversuch, der akute Fischtest, bereits durch eine Alternative, den Fischeitest, ersetzt wurde.

Wie kann die Einführung von Alternativmethoden beschleunigt werden?

Für die Etablierung von Alternativmethoden benötigt man einen langen Atem, denn es bedarf einer internationalen Harmonisierung und Validierung. Harmonisierung bedeutet, dass nationale Interessen in OECD-Gremien (Organisation for Economic Co-operation and Development) abgestimmt werden müssen, um den Aufwand von global agierenden Unternehmen bei der Entwicklung und Zulassung von Alternativmethoden zu reduzieren. Validierung heißt, dass die Ergebnisse der Alternativmethoden zwischen verschiedenen Labors übertragbar und reproduzierbar sein müssen und der Anwendungsbereich festgelegt werden muss. Eine Validierung ist in der Regel auf die freiwillige Teilnahme von Industrie- und Forschungslaboratorien angewiesen. Zusätzliche finanzielle Mittel könnten die Motivation erhöhen, sich an Validierungsstudien zu beteiligen und damit die Zulassungen von Ersatzversuchen zu beschleunigen.

Zu hohe Hürden für Ersatzmethoden?

Häufig wird kritisiert, dass etablierte Tierversuche an vielen Qualitätskriterien, die für Ersatzversuche eingefordert werden, scheitern würden - die Hürden für die Alternativen also unnötig hoch seien. Doch deshalb im Umkehrschluss die Anforderungen an Ersatzverfahren zu reduzieren, ist sicher nicht sinnvoll. Vielmehr sollten die existierenden Tierversuche dringend überprüft und optimiert werden. Denn sie stellen die Referenzverfahren für die Entwicklung von Ersatzmethoden dar - und nur die Verfügbarkeit gesicherter Daten mit hoher Qualität erlaubt langfristig die Etablierung einer Ersatzmethode und damit die Reduktion der Anzahl von Tierversuchen. Darüber hinaus sind Tierversuchsdaten bzw. -datensätze aufgrund von Urheberrechtsbestimmungen zum Teil nicht frei oder nur begrenzt verfügbar. Auch kodierte Daten konnten dieses Problem nicht beheben. Hier sind dringend neue Regelungen erforderlich, die einen - insbesondere für wissenschaftliche Einrichtungen - leichten und unbürokratischen Zugriff auf gesicherte Daten von hoher Qualität ermöglichen.

Umdenken bei Behörden und Anwendern notwendig

Die Einführung alternativer Teststrategien erfordert zudem eine praktische Umsetzung neuer Konzepte, wie z.die häufig diskutierte Verwendung von Informationen über (molekulare) Wirkmechanismen. Hierzu ist auch ein Umdenken insbesondere bei Behörden und Anwendern (Industrie, Vertragslabore) erforderlich, das durch entsprechende Personalschulung gefördert werden könnte. In der Regel ist nicht zu erwarten, dass eine einzelne Methode einen Tierversuch vollständig ersetzen kann. Vielmehr wird eine komplexe Kombination verschiedener Verfahren von Test-freien Ansätzen bis zur Identifizierung von Wirkmechanismen und molekularen Wechselwirkungen zu einer Abschätzung des Risikopotenzials von Chemikalien führen.

Dr. Stefan Scholz ist Biologe und forscht seit mehr als 20 Jahren zum Thema Ersatz von Tierversuchen durch alternative Testmethoden. Er ist Mitarbeiter des UFZ seit 2002 und leitet seit 2008 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department Bioanalytische Ökotoxikologie die Arbeitsgruppe "Molekularbiologie". Er ist Mitglied im DIN Arbeitskreis Biotests und dem HESI[1] animal alternatives in environmental risk assessment project committee steering team.

([1] Health and Environmental Sciences Institute Washington, USA)

e-mail: stefan.scholz[at]ufz.de

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Quelle:
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt, S. 14
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2012