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STANDPUNKT/1009: Das Konzept der Ökosystemleistungen (Umwelt Perspektiven)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ

Umwelt Perspektiven
Der UFZ-Newsletter - Dezember 2017

Essay
Das Konzept der Ökosystemleistungen

von Prof. Dr. Aletta Bonn


Die Ökosysteme und die biologische Vielfalt unseres Planeten sind die Grundlagen unseres Wohlergehens. Schließlich nutzen Menschen nicht nur Wasser, Nahrungsmittel, Energie und andere Produkte der Natur. Sie setzen auch auf ihre Unterstützung bei der Wasserreinigung, der Speicherung von Treibhausgasen oder beim Schutz eines Bannwaldes vor Lawinen und der Bestäubung von Pflanzen. Und nicht zuletzt profitieren wir von den kulturellen Leistungen der Ökosysteme, die Raum für Spiritualität, Bildung und Erholung bieten. Hinter dem Konzept der Ökosystemleistungen steckt die Idee, all diese positiven Effekte zu erfassen, zu bewerten und in Entscheidungen zu integrieren. Es ist der Versuch, den Wert von Naturkapital herauszustellen und das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie rasch dieses Kapital verspielt werden kann.

Trotz ihrer zentralen Bedeutung werden die Leistungen der Natur bisher oft ignoriert. Wir erleben ein rasantes Artensterben mit einer 100mal höheren Aussterberate als noch vor 150 Jahren. Die Populationen der meisten Tiere und Pflanzen schrumpfen dramatisch. Damit sinkt auch die genetische Vielfalt. Viele wertvolle Lebensräume sind trotz internationaler Naturschutzabkommen bereits verloren gegangen oder können ihre natürlichen Funktionen kaum noch erfüllen. Sie wurden übernutzt, degradiert und verschmutzt - und haben die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht.

Die Alarmglocken beginnen aber meist erst dann zu läuten, wenn die Konsequenzen die Gesellschaft bereits empfindlich treffen. Vorher bleibt der schleichende Verlust oft unbemerkt. Das liegt unter anderem daran, dass den Leistungen der Ökosysteme bisher kein Wert zugeschrieben wird. In dieser Situation kann ein ökonomischer Ansatz helfen. Denn er verdeutlicht, wie solche Leistungen zur Wertschöpfung einer Gesellschaft beitragen. So liefert er Argumente für einen besseren Schutz der Natur und ermöglicht es, die Konsequenzen verschiedener Handlungsmöglichkeiten besser abzuwägen. Das ist zum Beispiel bei Entscheidungen über die Nutzung von Landschaft und Ressourcen wichtig. Wenn man dabei negative Umweltwirkungen anhand konkreter Zahlen einbeziehen kann, dürfte das zu einem schonenderen Umgang mit der Natur beitragen.

Das Konzept der Ökosystemleistungen wurde in den späten 1970er Jahren geprägt und hat bereits 1992 Eingang in eine UN-Konvention gefunden. In der Rio-Vereinbarung über die Biologische Vielfalt (CBD) ist es als zentrales Bindeglied zwischen Natur und Mensch verankert. Damit wurden die Ökosysteme in diesem Vertragswerk bereits aus einer anthropozentrischen Sichtweise betrachtet. Mit dem Millennium Ecosystem Assessment 2005, das erstmals die Leistungen der Weltökosysteme erfasste, und den TEEB-Studien zur ökonomischen Bewertung dieser Leistungen bekam das Konzept eine breite internationale Anerkennung.

Kritiker befürchten, dass bei einer ökonomischen Bewertung die Natur wie eine Ware gehandelt werden könnte.

Das heißt jedoch nicht, dass das Konzept perfekt oder unumstritten wäre. Kritiker befürchten, dass bei einer ökonomischen Bewertung die Natur wie eine Ware gehandelt und damit "ausverkauft" werden könnte. Sie bemängeln, dass die Natur auf diese Weise rein zweckorientiert und nicht um ihrer selbst willen geschützt werde.

Aus meiner Sicht können sich beide Sichtweisen hervorragend ergänzen. Es kommt auf die jeweiligen Rahmenbedingungen an, welche Argumente in der Gesellschaft mehr Gehör finden. Außerdem muss die Bewertung der Natur nicht unbedingt über Geldbeträge erfolgen. Unser Instrumentenkasten schließt neben Märkten und finanziellen Anreizsystemen auch Schutzgebietsausweisungen oder Gesetze und Regularien ein. So lässt sich zum Beispiel gut in Euro und Cent ermitteln, was eine Flussaue durch ihre natürliche Filterwirkung an Kosten für die Wasseraufbereitung einsparen kann. Den Mehrwert von Biodiversität für die körperliche und seelische Gesundheit von Menschen würde man jedoch daran messen, wie stark ein Spaziergang in der Natur die Stressbelastung verringert. Dies ist wesentlich schwerer in Geldwerten auszudrücken.

Internationale Verflechtungen müssten in die Bewertung der Ökosystemleistungen einfließen.

Ein Defizit bei der derzeitigen Umsetzung des Konzepts sehe ich darin, dass der Blickwinkel oft zu eng ist. Zwar hat die EU ihre Mitgliedsstaaten 2011 dazu verpflichtet, den Zustand und die Leistungen ihrer Ökosysteme zu bewerten. Doch diese Studien berücksichtigen oft nur Vorgänge innerhalb der Grenzen des jeweiligen Staates. Dabei werden viele Naturprodukte heutzutage aus weit entfernten Regionen importiert - denken wir etwa an Holz, Soja oder Palmöl. Auch Leistungen für vorsorgenden Hochwasserschutz oder Lebensräume für Zugvögel wie Kraniche werden in anderen Ländern bereitgestellt. Diese internationalen Verflechtungen müssten in die Bewertung der Ökosystemleistungen mit einfließen. Dafür fehlen uns aber bislang an vielen Stellen die Indikatoren und die Werkzeuge. Hier setzen wir mit unserer Forschung am UFZ an.

Wir - Forscherinnen und Forscher aus den Natur- und Sozialwissenschaften - untersuchen in ausgewählten Landschaften in Deutschland, Europa und rund um die Welt, wie Ökosystemleistungen dauerhaft gesichert und in Wert gesetzt werden können. Was sind die Treiber von Nutzungsänderungen in der Land- und Forstwirtschaft oder in Siedlungen? Und wie kann ein besseres Landnutzungsmanagement gleichzeitig die vielfältigen Leistungen einer Landschaft, ihre biologische Vielfalt und ihre Unempfindlichkeit gegenüber Störungen sichern? Solchen Fragen gehen wir in konkreten Fallstudien nach. Wir entwickeln Indikatoren, mit denen man den Zustand und die Leistungen von Ökosystemen messen und vergleichen kann. Wir untersuchen Bedingungen und Maßnahmen, wie diese Leistungen erhalten werden können. Im Rahmen von Citizen Science-Projekten beziehen wir auch das Engagement und das Wissen von Bürgerinnen und Bürgern in unsere Arbeit mit ein. Und wir pflegen den engen Dialog mit Akteuren aus Verbänden, Behörden, Industrie und Politik, damit unsere Forschungsergebnisse zusammen erarbeitet und gut angewendet werden können - zum Beispiel im Weltbiodiversitätsrat IPBES, in dem sich derzeit neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des UFZ in verschiedenen Funktionen engagieren.

Ich bin davon überzeugt, dass das Konzept der Ökosystemleistungen trotz gewisser Schwächen große Chancen bietet. Damit lassen sich ein besseres Verständnis und Instrumente entwickeln, um den Artenverlust und die Zerstörung unserer Ökosysteme zu stoppen.

Prof. Dr. Aletta Bonn
Leiterin des Departments Ökosystemleistungen (UFZ und iDiv)

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Quelle:
Umwelt Perspektiven / Der UFZ-Newsletter - Dezember 2017, Seite 2 - 3
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2018

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