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STANDPUNKT/1091: Wird die UN-Umweltversammlung ihrer Rolle als Weltparlament für die Umwelt gerecht? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2019

Vom Resolutionsmarathon zum Minimalkonsens
UN-Umweltversammlung bringt UmweltpolitikerInnen zusammen

von Marie-Luise Abshagen


Zum 4. Mal tagte vom 11. bis 15. März die Umweltversammlung (UNEA) der Vereinten Nationen (UN) in Nairobi, Kenia. Mit über 30 Resolutionsanträgen lag ein hohes Arbeitspensum vor den gut 5000 TeilnehmerInnen aus 179 Staaten. Eingebettet war die Konferenz in den Bericht der UN über die desaströse Lage der weltweiten Umwelt. Doch erreicht wurde auf der wichtigsten internationalen Umweltkonferenz wenig. Zentrale Umweltprobleme, wie die Verschmutzung der Meere, wurden anerkannt, ohne ausreichende Lösungsansätze zu beschließen. Einige wenige Staaten verhinderten maßgebliche Schritte.


Der UNEA-Konferenzbericht liest sich wie ein "What is what" der Umweltthemen unserer Zeit.[1] Schutz der Meeresumwelt, Umgang mit Abfall, sinkende Biodiversität sowie die Korrelation zwischen Umweltzerstörung und Armut fanden sich unter den eingebrachten Anträgen wieder. BeobachterInnen drückten ihre Bewunderung aus für das Engagement der Mitgliedstaaten, die in langen Verhandlungsrunden gut 30 Resolutionsanträge bearbeiteten. Beeindruckend auch die Anzahl hoher Regierungsbeamter, die zur Konferenz anreisten: 157 MinisterInnen und StaatssekretärInnen, wie im Falle Deutschlands, und 5 Staatschefs, darunter der französische Präsident Emmanuel Macron. Ein Desinteresse an Umweltpolitik sieht anders aus.

Stärkung von Umweltpolitik im UN-System

Vom ehemaligen Direktor des UN-Umweltprogramms (UNEP) Achim Steiner einmal als "Weltparlament für die Umwelt" bezeichnet, ist UNEA eine der wichtigsten modernen Einrichtungen für internationale Umweltpolitik. Schon ihre schiere Existenz ist bemerkenswert. Jahrzehntelang bemühten sich verschiedene AkteurInnen innerhalb und außerhalb der UN, eine eigenständige UN-Umweltorganisation mit umfangreichen Entscheidungsbefugnissen zu schaffen. Doch über das 1972 gegründete UNEP ging es nicht hinaus.

Mit dem Rio+20-Gipfel 2012 wurde neuer Schwung in die Umweltarbeit der UN gegeben. Die Gipfelerklärung formulierte einen Auftrag an die UN-Generalversammlung, für alle Staaten die Mitgliedschaft an UNEPs Entscheidungsgremien zu ermöglichen, finanzielle Unterstützung aus dem UN-Etat zuzusichern, UNEPs Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern und die Beteiligung nichtstaatlicher AkteurInnen zu ermöglichen. Vor allem in der Retrospektive ein großer Schritt, denn ihm voraus ging die Erkenntnis, dass das 21. Jahrhundert im Hinblick auf Umweltverschmutzung und steigende Ungleichheiten neue, nur gemeinsam zu meisternde Herausforderungen mit sich bringen würde.

Wird UNEA ihrer Rolle als Weltparlament für die Umwelt gerecht?

Und doch, trotz aller guter Voraussetzungen und Engagements, bleibt die UNEA hinter den Notwendigkeiten einer effektiven Umweltpolitik zurück. Selbst einige der angereisten UmweltministerInnen bemängelten den schwachen Text der Abschlusserklärung, der wenig konkrete Handlungsanregungen beinhalte. Insbesondere angesichts der zeitgleich im Global Environmental Outlook von UNEP vorgestellten desaströsen Lage der weltweiten Umwelt[2] blieben die Entscheidungen der UNEA schwach.

Veranschaulichen lässt sich dies am Megathema Plastikverschmutzung. UNEP erhielt kein Mandat, ein rechtlich verbindliches Instrument zum Umgang mit Plastik- und Mikroplastikverschmutzung der Meere zu erarbeiten. Die von Indien eingebrachte Resolution eines weltweiten Ausstiegs aus Wegwerfplastik ab 2025 scheiterte, in der Ministererklärung findet sich nun 2030 als Datum. Erst bei der nächsten UNEA in 2 Jahren wird das Plastikthema erneut verhandelt werden.

Bewusstsein führt nicht zu Handlung

Dabei sind doch die Ursachen der Plastikverschmutzung weitestgehend bekannt, sei es die unzureichende Abfallwirtschaft in vielen asiatischen Ländern oder die Unmenge an Verpackungsmüll in Ländern wie Deutschland (die dann häufig ihren Müll nach Asien exportieren). Plastikmüll ist ein globales Problem und kann nur global gelöst werden. Dass die UNEA hier keine Einigung erzielt hat, ist nicht nur eine diplomatische Blamage, sondern ein ernstzunehmendes Problem. Wie viel mehr Mainstream muss ein Problem werden, um bei einer Umweltkonferenz konkrete, rechtlich bindende Verabredungen hervorzurufen?

Minikrimi Geoengineering

Zudem zeigten sich auch erneut klare Unterschiede in den Lösungsansätzen eines zweiten menschheitsbedrohenden Umweltthemas: dem Klimawandel. Für Aufregung sorgte ein Resolutionsentwurf der Schweiz zusammen mit 11 weiteren Ländern zu Geoengineering. Durch Geoengineering soll mit Hilfe von Technologien die Erderwärmung gestoppt werden, darunter fallen das Ausbringen von Chemikalien in die Atmosphäre, Düngung der Meere und Speicherung von CO2 im Boden. Der Resolutionsentwurf schlug eine globale Bewertung der Risiken und Vorteile dieser Technologien durch UNEP vor. Nach tagelangen Verhandlungen zog die Schweiz aufgrund des Widerstands einiger hochemittierender, ölproduzierender Regierungen schlussendlich die Resolution zurück.

Die Frage, inwiefern sich UNEP mit Geoengineering beschäftigen soll, ist durchaus interessant, da sich der bisherige Diskurs hierüber vorrangig auf die Minimierung der Auswirkungen des Klimawandels konzentriert, die Effekte der Technologien auf Mensch und Umwelt dabei jedoch häufig zweitrangig bleiben. Abgelehnt wurde die Resolution durch Mitgliedstaaten wie die USA und Saudi-Arabien, vor allem mit Verweis auf die hierzu bereits eingerichteten Arbeitsstrukturen in anderen UN-Gremien wie dem Weltklimarat (IPCC).

Dieses Wissenschaftsgremium hatte sich jedoch zuletzt in seinen Berichten im Hinblick auf einige Geoengineering-Technologien offen gezeigt, was weltweite Kritik von Seiten der Zivilgesellschaft hervorgerufen hatte. Zudem hat der IPCC nicht das Mandat, Empfehlungen für alle relevanten Technologien zu geben. Ein UNEP-Mandant zu Geoengineering hätte dazu führen können, den Einsatz entsprechender Technologien global zu regeln und sicherzustellen, dass kein Land ohne Absprache Geoengineering betreibt.

Bei nachhaltiger Produktion und Konsum geht was

Am erfolgreichsten scheint die Resolution zu nachhaltiger Produktions- und Konsumweise, worin einige nächste Schritte für die Arbeit von UNEP festgelegt wurden. Das ist insofern nicht verwunderlich, da es ein Wohlfühlthema UNEPs und der Industrieländer ist, die unter dem Slogan 'Grüne Wirtschaft' seit Jahren einen Umbau ihrer Volkswirtschaften proklamieren, ohne sich von dem Wachstumsparadigma per se lösen zu müssen. Zudem liegen hier die Anknüpfungspunkte für privatwirtschaftliche Unterstützung auf der Hand, ein zentraler Faktor in der Arbeit der UN, die aufgrund schwindender Mitgliedsbeiträge und ausgeweiteter Aufgabenfelder chronisch unterfinanziert ist. Inwiefern sich mit einer grünen Wirtschaft wirklich substantiell etwas an der Ausbeutung von Mensch und Natur ändern wird, ist umstritten. Nicht zuletzt beruht auch dieses Wirtschaftsmodell auf Machtstrukturen (z. B. bei Herkunft und Verwendungsprivilegien von Rohstoffen) und schafft bisher eher Parallelstrukturen denn wirklichen Ersatz für bestehende Wirtschaftsformen.

Gescheiterter Multilateralismus? - Zeichen der Zeit?

Angesichts des Potentials der UNEA und der intensiven Beteiligung der Mitgliedstaaten und anderer AkteurInnen, wie den vielen angereisten NGO-VertreterInnen, stellt sich die Frage, wieso UNEA nicht erfolgreicher sein kann. Worin liegt die große Divergenz zwischen Wissen, Dringlichkeit und tatsächlichem Handeln? Immerhin war die UNEA eine Konferenz der UmweltministerInnen und -politikerInnen. Ein Heimspiel, würde man meinen.

Vielleicht liegt das Problem der UNEA in aktuellen Trends multilateraler Politik. So gut die 2012 beschlossene Ausweitung der UNEP-Gremien auf alle UN-Mitgliedstaaten im Sinne einer gerechten Repräsentation der Welt auch war, stellt sich dennoch die Frage, was passiert, wenn einige Staaten Entscheidungen blockieren und somit die ganze Welt im Fortschritt aufhalten. Der der UNEA vorgegebene Konsensmodus anstelle eines Mehrheitsprinzips stößt klar an Grenzen.

Die UNEA könnte somit ein weiteres Beispiel dafür sein, dass internationale Kooperation derzeit eher jenseits der großen Runden passiert. Entscheidungen werden weniger in Konventionen festgeklopft, sondern politische Maßnahmen im Rahmen von kleineren Programmen und Projekten verwirklicht. Dies spiegelt sich auch in den Erfolgen der UNEA wieder, die sich vor allen in umweltpolitischen Maßnahmen in Regionen oder Einzelthemen finden. Offen bleiben dabei allerdings die Fragen der Skalierbarkeit und inwiefern sich nur auf 'Gewinnerthemen' konzentriert wird.

Die Zusammenarbeit von Staaten in kleineren, themenspezifischen Runden kann für die Lösung eines Themas der schnellste Weg sein. Es birgt aber auch das Risiko, die UN auszuhöhlen, ungewollte (aber möglicherweise deutlich progressivere) Stimmen herauszuhalten, und etablierte Beteiligungsformate nichtstaatlicher AkteurInnen zu unterminieren. Sollte sich in der Umweltpolitik die Arbeit in Koalitionen der Willigen außerhalb der UN durchsetzen, gilt es, dies sehr kritisch zu beobachten. Beim Plastikthema hat Deutschland bereits angekündigt, sich dessen anzunehmen und noch 2019 alle Länder, die für eine weltweite Konvention sind, nach Deutschland einzuladen.


Die Autorin ist Referentin für nachhaltige Entwicklung beim Forum Umwelt & Entwicklung.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.


[1] http://enb.iisd.org/download/pdf/enb16153e.pdf.

[2] https://www.klimareporter.de/international/es-droht-ein-massensterben.

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Quelle:
Rundbrief 1/2019, Seite 24 - 25
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2019

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