Mitwelt Stiftung Oberrhein
"Ökologische" Abwrackprämie 2.0 - Umweltzerstörungsprämie
Angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus-Krise auf die Automobilbranche hat der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil im April 2020 eine Art "ökologische" Abwrackprämie gefordert. Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent an der Volkswagen AG und Ministerpräsident Weil sitzt im Aufsichtsrat des Konzerns. Nach einem ersten Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder brachten über Ostern auch andere Lobbyisten aus der Industrie zusätzliche, steuerfinanzierte Kaufanreize ins Gespräch. Das Motto "Schneller kaufen - schneller Wegwerfen" bestimmt immer noch das Denken und Handeln der Politik. Wirtschaftsförderung wird jetzt allerdings per Greenwash betrieben.
Hans Magnus Enzensberger gab der "Umweltprämie" schon im Jahr 2009 den richtigen Namen. Er schrieb: "Die Abwrackprämie ist eine Belohnung für die Vernichtung von Gebrauchsgegenständen; ihr Besitzer empfängt diese Prämie, die er als Steuerzahler entrichtet." (Zitatende)
Zum Thema CO2-Äquivalente von Batterien pro kWh tobt ein
interessengeleiteter Streit der Wissenschaft.
Eine Meta-Studie des Umweltinstituts IVL Swedish Environmental
Research Institute aus dem Jahr 2017 die 14 ältere Studien ausgewertet
hatte, zeigte, dass Elektroautos wegen der sehr aufwendigen Produktion
der Batterien so gut wie keinen ökologischen Vorteil gegenüber
konventionellen Fahrzeugen hätten. Jetzt hat das IVL eine
Neuberechnung vorgelegt. In dieser fällt der CO2-Fußabdruck durch die
Batterieproduktion deutlich geringer aus: Kamen die Forscher 2017 noch
auf einen Wert von 150 bis 200 kg CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde,
ergaben ihre Berechnungen jetzt nur noch einen Wert von 61 bis 106 kg
CO2-Äquivalente pro kWh. Dennoch: Schon jetzt werden hunderttausende
Tonnen Kobalt, Lithium und Nickel jedes Jahr für die Herstellung von
Batterien und Akkus verbraucht. Die Nachfrage wird sich künftig
vervielfachen. Der Abbau dieser Rohstoffe findet teilweise unter
extrem umweltzerstörenden Bedingungen statt. Die absehbare Endlichkeit
vieler Rohstoffe ist im Bewusstsein vieler Menschen und insbesondere
bei manchen Politikern noch nicht angekommen.
Eine Abwrackprämie ist tatsächlich auch eine Umwelt- und
Wertzerstörungsprämie
und der Begriff "ökologische Abwrackprämie" orwell'sches Neusprech.
Kleine, leichte Elektroautos können gegenüber PKW mit
Verbrennungsmotoren einen ökologischen Vorteil bieten, wenn sie grünen
Strom nutzen. Der Traum vom großen, schweren E-Auto ist zerstörerisch.
Die Energiemengen und Rohstoffe, die bei der Produktion eines E-Autos
(und insbesondere der Batterie) verbraucht werden, die damit
verbundene Umweltzerstörung und die Schadstoffemissionen spielen in
der erneuten Debatte um eine "ökologische" Abwrackprämie keine Rolle.
Unabhängig vom Antriebskonzept werden einfach die falschen Fahrzeuge
nach falschen Kriterien optimiert und hergestellt. Nach wie vor geht
es den Herstellern nicht im entferntesten darum, ein sinnvolles
Produkt auf die Räder zu stellen, sondern ein Fahrzeug, das mit Optik
und Haptik und "Traum-Erzeugung & -Erfüllung" die Emotionen erzeugt,
die am "point of sale" für hohen Umsatz mit hoher Marge in hoher
Frequenz sorgen. Ausschließlich daraufhin wird optimiert.
Ein Mittelklasse-Auto wiegt 1000 bis 2000 Kilogramm. Das Tesla Model S wiegt 2215 Kilogramm. Alle Industrieprodukte und alle Autos haben einen "ökologischen Rucksack", der rund 30-mal so schwer ist - wenn man etwa den Abraum bei der Erzgewinnung für Stahl und Blech hinzurechnet. (Recycling ist immer auch wertminderndes Downcycling.) Güter möglichst sparsam zu verwenden und die Gebrauchszyklen zu verlängern... das wäre Umweltschutz. Dies ist kein Plädoyer für Autos mit Verbrennungsmotor und die vielen damit verbundenen Umweltprobleme. Aber einen wenig genutzten Verbrenner wegzuwerfen und gegen ein E-Auto zu tauschen ist nicht nachhaltig. Wir brauchen eine ökologische Verkehrswende. Der Ausbau des ÖPNV, kleine E-Autos, Wasserstofftechnologie und die Förderung des Radverkehrs müssen nach der Corona-Krise verstetigt werden. Wegwerfprämien stehen für altes Denken.
"Immer mehr und immer dümmere Produkte kaufen mit Geld, das mensch
nicht hat"
Diese zentrale Grundidee des "American way of life" steht hinter
unserer globalen Verschwendungswirtschaft. Es ist der Mythenmix aus
Konsumismus und der Illusion von Freiheit, aus schnellem Geld und
schnellem Genuss. Auch die Corona-Krise ist kein Grund für ein
beschleunigtes "Schneller kaufen - schneller wegwerfen".
Es spricht nichts gegen eine ökonomisch und ökologisch sinnvolle
Krisenintervention.
Doch wenn in einer Zeit des Klimachaos und der schwindenden
Energievorräte in Wegwerfprämien für langlebige Produkte investiert
wird um die Konjunktur anzukurbeln, dann legt die so genannte
Krisenintervention die Wurzeln für zukünftige größere und nicht
reparable Zusammenbrüche.
Ökologisch und zukunftsfähig sind nur Programme
zur Bewältigung der Corona-Krise mit der Zielsetzung echter
Nachhaltigkeit. Die Produktlebensdauer, die Phasen des Produzierens,
Konsumierens und Wegwerfens dürfen nicht künstlich verkürzt werden.
Nur gute, umweltfreundliche, langlebige, reparaturfähige und dadurch
arbeitsplatzschaffende Produkte sind zukunftsfähig. Dazu zählt auch
der Übergang zu kleinen, leichten E-Autos. Der jetzt gepredigte
schnelle Konsumismus ist ein zerstörerischer Irrweg und Wegbereiter
kommender Krisen.
Axel Mayer, Mitwelt-Stiftung-Oberrhein
https://www.mitwelt.org/umweltpraemie-abwrackpraemie-umwelt.html
*
Quelle:
Mitteilung an die Medien, 20.04.2020
Mitwelt-Stiftung-Oberrhein
Venusberg 4, 79346 Endingen
www.mitwelt.org
veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2020
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