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KLIMA/257: Neue Studie - Die Meere könnten höher steigen als vermutet (SB)


Möglicherweise 1,40 Meter höherer Meeresspiegel bis zum Jahr 2100

Neue Berechnungen des Potsdamer Klimaforschers Prof. Rahmstorf


Ungeachtet der enormen Datenmengen, die in Computersimulationen zur globalen Klimaentwicklung verrechnet werden, herrscht in zentralen Fragen nach wie vor große prognostische Unsicherheit. Beispielsweise hinsichtlich der Frage, wie sehr der Meeresspiegel steigen wird. Zu den entscheidenden Einflußgrößen werden die Schnee- und Eisschmelze in der Antarktis, auf Grönland, in den polaren Zonen allgemein sowie in den Hochgebirgen gerechnet. (Keinen direkten Einfluß auf den Meeresspiegel hätte das Abschmelzen der Eismasse am Nordpol, weil sie schwimmt.) Darüber hinaus dehnt sich erwärmtes Wasser physikalisch aus. Auch das ist ein wichtiger Faktor bei der Berechnung des Meeresspiegelanstiegs, wobei große Unsicherheit hinsichtlich der Frage besteht, wie schnell warmes Wasser in größere Tiefen der Ozeane transportiert wird. Auf der anderen Seite weist warmes Wasser eine höhere Verdunstungsrate auf, sofern die Luft nicht bereits gesättigt ist, so daß auch dieser Faktor zu einem geringen Teil letztlich die Höhe des Meeresspiegels mitbestimmt.

Es läßt sich gut vorstellen, daß die Berechnung dieser vielen Faktoren, auf alle Regionen der Erde bezogen, nur mit sogenannten Supercomputern zu bewältigen ist. Wenn jedoch die so erstellten Klimasimulationen nicht einmal den im 20. Jahrhundert bereits registrierten Meeresspiegelanstieg von knapp 20 Zentimetern nachträglich berechnen können, dann kann mit ihnen irgend etwas nicht stimmen.

Davon ist jedenfalls Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) überzeugt. Er berichtete vergangene Woche in der Internetausgabe des Wissenschaftsmagazins "Science", daß der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 nicht um neun bis 88 Zentimeter steigen wird, wie bislang angenommen wurde, sondern um 50 bis 140 Zentimeter.

Rahmstorfs Einschätzung beruht im wesentlichen auf die Beobachtung eines Zusammenhangs zwischen der beschleunigten Zunahme der globalen Durchschnittstemperatur und im gleichen Verhältnis dazu des Meeresspiegelanstiegs. Die Abweichung seiner Berechnung zu dem Angaben im "Third Assessment Report", der vom International Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen im Jahr 2001 veröffentlicht wurde, erklärt sich Rahmstorf in erster Linie mit der Unsicherheit über das Verhalten der großen Eisschilde auf Grönland und der Antarktis. Er resümiert:

Die Tatsache, dass wir mit unterschiedlichen Methoden so unterschiedliche Abschätzungen erhalten, macht deutlich, wie unsicher unsere gegenwärtigen Meeresspiegelvorhersagen noch sind. Für ein gegebenes Erwärmungsszenario könnten wir auch den doppelten Anstieg des Meeresspiegels bekommen als man bislang erwartet hat. (idw-Pressemitteilung des PIK, 15.12.2006)

Als unsicher müssen auch die Angaben bewertet werden, die Klimaforscher mit Hilfe sehr indirekter Methoden zur Klimageschichte der Erde gemacht haben. Denn wenn die Simulationen nicht einmal Temperaturwerte erfassen, die tatsächlich gemessen wurden, liegt die Vermutung nahe, daß Aussagen zu Zeiträumen, die in Jahrhunderttausenden oder gar Jahrmillionen gerechnet werden, eine bedeutende spekulative Note enthalten. Dennoch sind die Angaben der Wissenschaftler über die Verhältnisse der Erde während der letzten Eis- und der letzten Warmzeit interessant, da daran deutlich wird, warum die Wissenschaftler so eindringlich vor den Folgen der Klimaerwärmung, die als wesentlich menschengemacht angesehen wird, warnen.

Während der letzten Eiszeit vor rund 20.000 Jahren lag der Meeresspiegel 120 Meter tiefer als heute und die Durchschnittstemperaturen fielen zwischen vier und sieben Grad geringer aus. Während der letzten Warmzeit, dem Pliozän, vor drei Millionen Jahren lag der Meeresspiegel 25 bis 35 Meter und die Temperaturen im weltweiten Mittel zwei bis drei Grad höher.

Der Potsdamer Klimaforscher gibt sich davon überzeugt, daß der Mensch im Prinzip noch Einfluß auf die Entwicklung nehmen kann, indem er die Emissionen von Treibhausgasen senkt. Der zähe Verlauf der Verhandlungen über die Erweiterung des Kyoto-Protokolls über das Jahr 2012 hinaus erwecke seiner Ansicht nach allerdings den Eindruck, als seien sich die Regierungen nicht klar darüber, wie dringend das Problem geworden sei.

Bereits wenn sich "nur" die IPCC-Einschätzung erfüllte, bedeutete dies für viele Staaten der Erde weitreichende negative Veränderungen. Die flacheren Pazifikinseln und sämtliche niedrig gelegenen Küstenregionen würden überschwemmt, es sei denn, es gelänge, das Vordringen des Wassers durch bauliche Maßnahmen zu verhindern. Aber selbst die Niederländer, die weltweit führende Experten im Deichbau sind, haben bereits einstmals dem Meer abgetrotzte Flächen wieder aufgegeben, weil sie nur noch mit großem Aufwand zu halten gewesen waren.

18. Dezember 2006