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KLIMA/312: Deutsche Autolobby gegen EU-Entwurf zur CO2-Senkung (SB)


Merkel bezichtigt EU-Kommission, sie wolle neue CO2-Abgasnormen gezielt gegen die deutsche Autoindustrie einsetzen


Wenn es in der Politik bislang um Klimaschutzmaßnahmen ging, wurde den Besitzern von Kleinwagen meist die verhältnismäßig schwerere Bürde aufgelastet. Zwar traf die Ökosteuer auf Benzin diejenigen mehr, die ein größeres Auto mit höherem Spritverbrauch fuhren, aber im Verhältnis zu ihrem Einkommen wurden Kleinwagenbesitzer stärker in die Pflicht genommen. Auch die sogenannten Umweltzonen, die vom kommenden Jahr an in mehreren deutschen Innenstädten entstehen und in der Regel nur noch von Autos befahren werden dürfen, die bestimmte Abgasnormen erfüllen, sind von ihrer Anlage her sozialfeindlich, da die weniger einkommensstarken Haushalte tendenziell über ältere Fahrzeuge verfügen, die die Abgaswerte nicht erreichen und damit aus den Innenstädten verbannt werden.

Nun hat die EU-Kommission einen Entwurf zur Einsparung von Kohlendioxidemissionen vorgestellt, in dem die Premiumklasse unter den Fahrzeugen stärker belastet werden soll als die Kleinwagen - und plötzlich sprechen Kanzlerin Merkel und Umweltminister Gabriel, die sich zuletzt während der Klimakonferenz von Bali als weltweit führende Klimaschützer geriert haben, von einem Angriff auf die deutschen Autohersteller. Wirtschaftsminister Glos behauptete gar, daß die deutsche Autoindustrie einem "Vernichtungsfeldzug" unterzogen werde. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sprach in der "Frankfurter Rundschau" von einem "knallharten Angriff auf die deutsche Wirtschaft" und drohte der Kommission dreist, sie müsse "wissen, an wessen Tropf sie ganz wesentlich hängt".

Die Produktpalette der deutschen Autohersteller Daimler und BMW ist vorzugsweise in der Premiumklasse angesiedelt, wohingegen die Franzosen und Italiener stärker in den unteren Klassen vertreten sind. Allerdings übten auch der italienische Justizkommissar Franco Frattini und der französische Verkehrskommissar Jacques Barrot Kritik an dem Kommissionsvorschlag. Die Franzosen befürchten einen Wettbewerbsnachteil der Europäer gegenüber nicht-europäischen Autoherstellern.

Aus einer völlig anderen Richtung wurde der Entwurf auch von Umweltschutzgruppen kritisiert: NABU oder auch Greenpeace geht er nicht weit genug, und die ehemalige Umweltministerin und heutige Grünen-Fraktionschefin Renate Künast beschuldigt die ehemalige Umweltministerin und heutige Kanzlerin Angela Merkel wortstark als "Erfüllungsgehilfe der Spritfresser-Industrie".

Um zu beurteilen, wieso es zu einem Streit innerhalb der EU-Kommission und der doch recht undiplomatischen Verbalattacken seitens der deutschen Regierung gegen die EU-Kommission im allgemeinen und Kommissionspräsident José Manuel Barroso im besonderen gekommen ist, sollte nicht aus dem Blick verloren werden, welches Anliegen die EU-Kommission eigentlich verfolgt, wie der Vorschlag überhaupt zustandegekommen ist und welche Interessen für oder gegen Einschränkungen des CO2-Ausstoßes von Fahrzeugen stehen.

Bei der in den letzten Tagen aufgekochten Debatte wird anscheinend vergessen, daß es darum geht, die Erderwärmung aufzuhalten. Wenn man der mehrheitlichen Ansicht unter den Wissenschaftlern folgt und annimmt, daß der Mensch mit seinen Treibhausgasemissionen die gegenwärtig treibende Kraft der globalen Erwärmung und damit Auslöser eines Klimawandels ist, bei dem womöglich das Überleben von Millionen, eher Milliarden Menschen auf dem Spiel steht, dann sollte logischerweise verhindert werden, daß solche Emissionen entstehen. Dabei geht es hier nicht allein um den Klimaschutz, auch gesundheitliche Aspekte spielen eine Rolle, denn große Autos haben einen größeren Schadstoffausstoß.

Straßenverkehr hat einen Anteil von 24 Prozent [1] an den CO2-Emissionen der Europäischen Union. Autos wiederum machen zwölf Prozent aus [2]. Das heißt, es geht hier um die Senkung eines beträchtlichen Anteils an den innerhalb der Europäischen Union erzeugten sogenannten Klimagasen. Bei allen politischen Entscheidungen dürfen gesellschaftliche Konsequenzen nicht unberücksichtigt bleiben, da ansonsten das gesamte Wirtschaftssystem kollabieren könnte, was selbst Systemkritiker nicht gutheißen können, sofern sie nicht die Not von Millionen Menschen in Kauf nehmen wollen.

Angesichts des Klimawandels müssen aber Maßnahmen getroffen werden, die doch deutlich in eine andere Richtung als die gegenwärtige weisen. Das schließt die Systemfrage keineswegs aus. Im Gegenteil, denn ob das gegenwärtige, global vernetzte politische System, das ein wesentlicher Treibriemen ist, der die Menschheit überhaupt erst in den Schlamassel hineingerissen hat, willens und in der Lage ist, sich ernsthaft in Frage zu stellen, darf nicht zuletzt wegen des Gefeilsches bereits vor dem Zustandekommen des Kyoto-Protokolls, der bloßen Absichtserklärungen von Bali und des aktuellen Trommelfeuers der deutschen Autolobby gegen den EU-Entwurf bezweifelt werden.

Bislang hatte die EU-Kommission auf freiwillige CO2-Einsparmaßnahmen der Industrie gesetzt. Die hatte sich 1996 dazu verpflichtet, daß spätestens bis 2008 der durchschnittliche Ausstoß eines Pkws auf 140 Gramm CO2 pro Kilometer gesenkt wird. Die Autohersteller haben tatsächlich teils erheblich Verringerungen vorgenommen, aber sie liegen gegenwärtig bei etwa 160 Gramm CO2/Kilometer.

Da das Ziel verfehlt wird, sich die EU-Kommission aber in der Pflicht sieht, nach den Vereinbarungen des Klimaschutzprotokolls von Kyoto die Gesamtemissionen der EU bis 2012 um acht Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu senken, mußte nun die Fahrzeugflotte ran. Um 19 Prozent sollen deren CO2-Emissionen bis 2012 reduziert werden. Um dieses Ziel zu erreichen wird in dem jetzt vorgelegten Entwurf gefordert, die CO2-Emissionen auf durchschnittlich 120 Gramm pro Kilometer zu senken. Durch bessere Motoren soll der Wert auf 130 Gramm CO2 pro Kilometer gesenkt werden, die restlichen 10 Gramm sollen moderne Techniken, eine bessere Verkehrsführung und neuartige Reifen bringen.

Das trifft keineswegs ausschließlich die Hersteller besonders schwerer Fahrzeuge, wie von deutscher Seite behauptet. Zwar wäre nach dem jetzigen EU-Entwurf Porsche mit einer CO2-Reduzierung von 49 Prozent Spitzenreiter, aber schon auf Platz folgt Subaru (-38%), gefolgt von Daimler, BMW, Mazda und Suzuki (alle -25%). Dahinter kommt Mitsubishi (-24%) und Nissan (-23%). Ford und Volkswagen liegen mit -19% gleichauf. Fiat (-15%), Renault (-14%) und Peugeot (-11%) stehen in der Tat deutlich günstiger dar. [3]

Wenn aber außereuropäische Autohersteller ihre Produkte auf dem attraktiven EU-Raum absetzen wollen, müssen sie sich der Konkurrenz stellen und die gleichen Abgasnormen erfüllen. Mit Sicherheit wird das auch den japanischen Autofirmen nicht leicht fallen. Im übrigen müssen sich die deutschen Autohersteller fragen lassen, warum sie ihre Autos immer größer und schwerer gebaut und mit immer mehr Elektronik ausgestattet haben, so daß trotz verbesserter Motorleistung keine ausreichende CO2-Reduzierung zustandegekommen ist. Das weltweite Durchschnittsgewicht eines Pkw beträgt heute 1,2 Tonnen und hat sich damit in den vergangenen 15 Jahren mehr als verdoppelt [4]. Anscheinend haben die Konzerne die Selbstverpflichtung nicht ernst genug genommen oder aber sie haben gepokert und gehofft, daß ihnen "ihr" Mann an der Front, EU-Industriekommissar Günter Verheugen, den Rücken freihalten wird.

Damit haben sie sich womöglich verkalkuliert. Obgleich das Industriekommissariat und das Umweltkommissariat seit Anfang dieses Jahres gemeinsam an dem Entwurf gearbeitet haben, war Verheugen der gestrigen Pressekonferenz demonstrativ ferngeblieben und hat das Feld seinem Kollegen, EU-Umweltkommissar Stavros Dimas, überlassen. Deswegen ist auch die Erklärung von Sigmar Gabriel nicht nachvollziehbar, der verlautbaren ließ:

"Ich werde bei den Beratungen im Umweltrat darauf drängen, dass alle Hersteller ihre CO2-Emissionen in allen Fahrzeugklassen senken müssen. Wir brauchen eine faire Lastenverteilung. Es ist mehr als unredlich, wenn in Brüssel unter dem Denkmäntelchen des Klimaschutzes knallharte Industriepolitik zu Lasten Deutschlands betrieben wird." [5]

Der Vorwurf kann leicht auf den Absender zurückgebogen werden. Die Franzosen und Italiener, gegen die sich Gabriel in erster Linie wendet, hätten es leicht, Beispiele innerhalb der deutschen Europapolitik dafür zu finden, die Bundesrepublik auf gleiche Weise der knallharten Industriepolitik zu bezichtigen, allein schon, weil es zwischen dem, was "unter dem Deckmäntelchen" erfolgt, und der ganz normalen Förderung der heimischen Wirtschaft keine klar definierte Grenze existiert. Ganz sicher aber ist das Fernbleiben des deutschen EU-Kommissars Verheugen bei der Vorstellung des Entwurfs ein Ausdruck von Industriepolitik. Und sicher, auch der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat versucht, Einfluß auf die EU-Kommission zu nehmen.

Schwere Fahrzeuge werden laut dem Entwurf schärfer rangenommen, ein doppelt so schweres Autos wie ein Kleinwagen darf nur 60 Prozent mehr CO2 emittieren. Wenn Autohersteller gegen die Abgasbestimmungen verstoßen, sollen sie zur Kasse gebeten werden. Berechnet wird das Durchschnittsfahrzeug eines Herstellers, was diesen einen gewissen Spielraum erlaubt. Ab dem Jahr 2012 soll gelten: Jedes Gramm CO2 pro Kilometer, das ein Durchschnittsfahrzeug über dem Limit liegt, kostet den Hersteller 20 Euro pro verkauftes Fahrzeug. Dieser Betrag würde sich gestaffelt 2013 auf 35 Euro, 2014 auf 60 Euro und bis 2015 auf 95 Euro erhöhen.

Nach Berechnungen der EU-Kommission wird sich wegen ihrer Klimaschutzmaßnahmen der Preis eines Autos um durchschnittlich 1300 Euro erhöhen, wobei Kleinwagen darunter und große Limousinen darüber liegen. Zugleich wird sich aber aufgrund der Maßnahmen der Treibstoffverbrauch verringern, was sich günstig fürs Portemonnaie erweist.

Es kommt in der Politik selten genug vor, daß Maßnahmen im Zeichen des Umwelt- und Klimaschutzes nicht zu einer verhältnismäßig stärkeren Belastung der einkommensschwachen Haushalte - in diesem Fall der Kleinwagenbesitzer - beschlossen werden. Nach der hitzigen Debatte in den letzten beiden Tagen dürfte der Kommissionsentwurf in seiner jetzigen Form nicht das Europaparlament und den Ministerrat passieren. Es steht zu befürchten, daß bis zur verbindlichen Beschlußfassung noch Veränderungen vorgenommen werden, die das Verhältnis wieder umkehren.


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Anmerkungen:

[1] EU-Mitteilungen MEMO/07/594, 19. Dezember 2007 http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=MEMO/07/594&format =HTML&aged=0&language=EN&guiLanguage=enaged=0&language=EN&guiLanguage=en

[2] EU-Observer, 19.12.2007. http://euobserver.com/9/25367

[3]Quelle: EU-Kommission, zitiert nach: DIE WELT, 20.12.2007, unter: www.autobild.de/artikel/co2-offensive-der-eu-kommission_514219.html

[4] Winfried Wolf in "junge Welt", 24.11.2007.

[5] Presseerklärung des Bundesministeriums für Umwelt, 19.12.2007. http://www.bmu.de/presse. Darin befleißigte sich Gabriel teilweise einer Sprache, die einer Beleidigung schon recht nahe kommt: "Es ist absurd, wenn selbst besonders sparsame Fahrzeuge der Passat-Klasse 'bestraft` werden. Essen auf Rädern kann man nicht allein im Fiat Panda ausfahren."

20. Dezember 2007