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KLIMA/342: Wirtschaftskrise stärkt Heathrow-Gegnern den Rücken (SB)


Kommt das Aus für die dritte Landebahn des Flughafens Heathrow?


Vor einigen Jahren hat die britische Regierung beschlossen, eine dritte Landebahn und einen sechsten Terminal für den Internationalen Flughafen Heathrow zu bauen. Als Rechtfertigung des Plans dienten Prognosen, denen zufolge sich das Passagieraufkommen bis 2030 auf mindestens 460 Millionen Fluggäste verdoppeln wird. Mit einer neuen Landebahn wäre Heathrow in der Lage, seine jährliche Flugkapazität von 480.000 auf 702.000 zu erweitern. Darüber hinaus wurde mit der Einrichtung von Zehntausenden neuer Arbeitsplätze und Einnahmen von fünf Milliarden brit. Pfund gelockt.

In der Bevölkerung hatte sich dennoch massiver Widerstand gegen das Vorhaben entwickelt. Der gipfelte im August vergangenen Jahres in der Einrichtung eines Klima-Camps in der Nähe des Flughafens, spektakulären Aktionen und einer Kampagne zur Aufklärung der Bevölkerung über die Umweltbelastungen durch eine weitere Landebahn sowie die inakzeptable Maßnahme, daß mindestens 1000 Familien für die Flughafenerweiterung umgesiedelt werden müssen.

Daß bei diesem Konflikt einiges auf dem Spiel stand, wurde allein daran deutlich, daß die Sicherheitskräfte angewiesen wurden, nach den strengen Bestimmungen der Anti-Terror-Gesetzgebung gegen die Aktivisten des Klima-Camps vorzugehen [1]. Inzwischen stellt sich jedoch heraus, daß die Prognose des vermehrten Flugaufkommen weitgehend hinfällig ist. Sie war im Jahr 2003, einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs, erstellt worden. In diesem Winter gehen die Zahlen wegen der Wirtschaftskrise und der Verteuerung des Flugbenzins erheblich zurück, wie die britische Zeitung "The Guardian" meldete [2].

Demnach wird der Flugverkehr in den kommenden Wintermonaten um 1,9 Prozent einbrechen, was immerhin dem Äquivalent von 25 Flügen pro Tag entspricht. James Cole von der Airport Coordination Ltd. des Heathrow-Betreibers BAA behauptet zwar, daß sich der Flugverkehr nach kurzfristigen Ereignissen, wie sie ein wirtschaftlicher Abschwung darstellt, wieder erholt, aber worauf er seine Annahme stützt, daß es wirtschaftlich wieder aufwärts geht, bleibt unklar. Für die gegenwärtige Wirtschaftskrise gibt es kein Vorbild, der Rückgang des Flugverkehrs um 1,9 Prozent ist wahrscheinlich erst der Anfang der Rezessionsfolgen.

Inzwischen scheint auch die britische Regierung ihre Pläne überdenken zu wollen. Eine Reihe von Kabinettsmitgliedern von Premierminister Gordon Brown hat sich im privaten - so der "Guardian" - gegen die Heathrow-Erweiterung ausgesprochen. Genannt werden Hilary Benn, Minister für Umwelt, Ernährung und Landwirtschaft, Ed Miliband, der neu ernannte Minister für Energie und Klima, Harriet Harman, Sprecherin des Unterhauses, und Außenminister David Miliband. Außerdem haben bis jetzt 41 Labour-Abgeordnete aus dem ganzen Land einen Parlamentsaufruf mit der Aufforderung, den geplanten Bau der dritten Landebahn zu überdenken und einen neuen Nationalen Plan für Flughäfen und Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn aufzustellen, unterzeichnet.

Mit Blick auf das von der Regierung ausgewiesene Ziele, die Kohlendioxidemissionen bis 2050 um 80 Prozent senken zu wollen, drängt sich eine Streichung der Pläne regelrecht auf. Denn solche Sparmaßnahmen sind nur dann glaubwürdig, wenn der Flugverkehr davon nicht ausgeschlossen wird. Außerdem befürchtet die regierende Labour-Partei den Verlust von 25 Parlamentssitzen aus dem Südosten Englands, sollte das Projekt durchgezogen werden. Sowohl die Conservative Party als auch die Liberal Democratic Party lehnen es ab.

Brown hatte sich bereits vergangene Woche mit einigen Abgeordneten zum Thema Heathrow-Erweiterung getroffen. Ein zweiter Termin wurde für diese Woche vereinbart, und im kommenden Monat soll Transportminister Geoff Hoon das weitere Vorgehen der Regierung bekanntgeben. Möglicherweise wird er erklären, daß die endgültige Entscheidung erst nach den Wahlen im Jahre 2010 fallen wird.

Aber selbst wenn keine Wirtschaftskrise eingetreten wäre, wirft der Streit um die Heathrow-Erweiterung ein grelles Licht darauf, was es bedeutet, "Untertan Ihrer Majestät" zu sein (oder, übertragen auf Deutschland, in dem ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden, weil "höhere" Interessen dies gefordert haben: "Bürger der Bundesrepublik" zu sein).

Die Vergesellschaftung des Menschen zielt auf seine Entmündigung. Der Begriff des Rechts und das Verständnis von Recht werden dabei zu einem tragenden Moment, sie bilden die Voraussetzung dafür, daß Entmündigung überhaupt greifen kann. Es läßt sich leicht vorstellen, daß in archaischen, vorgesellschaftlichen Lebenszusammenhängen die Aufforderung an jemanden, er möge seinen Siedlungsplatz verlassen, weil ein höheres Interesse dies erfordere, mit einem kräftigen Schwinger der Steinkeule beantwortet worden wäre. Damit es dazu nicht kommt, wurden Rechte ausgesprochen und ihre Gültigkeit mit Gewalt durchgesetzt - womit erstmals Unrecht in die Welt kam.

Wer im heutigen Rechtsstaat sein Eigentum mit der Waffe verteidigt, setzt sich womöglich ins Unrecht und wird von Kräften, die weitaus besser bewaffnet sind, aus dem Verkehr gezogen. Weil der vergesellschaftete Mensch dies weiß, ist er in der Regel bereit, mit Sack und Pack wegzuziehen, wenn der Staat (sprich: das höhere Interesse, das über mehr und dickere Keulen verfügt) dies verlangt.

Über den Anteil des Widerstands von Aktivisten an der möglichen Abkehr von der Flughafenerweiterung von Heathrow läßt sich nur spekulieren. Sicherlich spielt der Faktor, daß der Labour-Partei ein Verlust an Abgeordnetensitzen droht, eine wichtige Rolle. Somit wäre auch der Kampagne gegen die neue Landebahn einige Bedeutung zuzumessen. Entscheidend dürfte allerdings die zu erwartende Rezession sein, ob das Projekt doch noch gebaut werden soll oder nicht. Beispielhaft wird hieran deutlich, daß der Kampf gegen klimaschädliche Großprojekte auch ein Kampf gegen Bevormundung und Repressionen sein sollte, denn das nächste "Heathrow" kommt bestimmt.


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Anmerkungen:

[1] Siehe im Schattenblick, Fachpool UMWELT/REDAKTION, Index KLIMA/317: Hetze gegen Klima-Camp bei Heathrow hat Nachspiel (SB)

[2] "MPs revolt over third Heathrow runway", The Guardian, 3. November 2008.

5. November 2008