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KLIMA/348: Großbritannien - Aktivisten im Fadenkreuz der Justiz (SB)


Wuchtiger Widerstand gegen Kohlekraftwerke in Großbritannien

Generalstaatsanwältin will die Möglichkeit der "gesetzmäßigen Rechtfertigung" für Umweltaktivisten einschränken


Wenn eine Regierung einen Umbau der Wirtschaft anstrebt und emissionsärmere Technologien und Produktionsweisen einführen will, kann sie auf ein breites zivilgesellschaftliches Engagement nicht verzichten. Das bringt es aber zwangsläufig mit sich, daß Bürgerinnen und Bürger ihre Kritikbereitschaft und -fähigkeit unter Umständen auch gegenüber der offiziellen Politik einsetzen. In Großbritannien beispielsweise hat sich die Labour-Regierung durchaus ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt, und Umweltminister Ed Miliband träumt von einer von der Bevölkerung angeführten Klimaschutzbewegung.

Wer Mündigkeit propagiert, muß damit rechnen, daß andere den Mund aufmachen und für ihre Überzeugungen einstehen, seien sie für die Administration auch noch so unbequem. Als ziemlich unbequem gilt beispielsweise ein Urteil, das eine zwölfköpfige Jury in Großbritannien zugunsten von sechs Mitgliedern der Umweltschutzgruppe Greenpeace gefällt hat. Die sechs hatten im vergangenen Jahr gegen den Neubau des Kohlekraftwerks Kingsnorth II in der Grafschaft Kent protestiert, einen 200 Meter hohen Schornstein erklimmt, und waren im September freigesprochen worden. Sie hatten ihren Standpunkt glaubhaft vorgetragen, daß sie durch ihre Aktion einen größeren Schaden von der Gesellschaft aufgrund der Erderwärmung abgewendet hätten.

Im Verlauf von acht Verhandlungstagen waren auch der Ökologe Zac Goldsmith und der führende Klimaforscher der US-Weltraumbehörde NASA James Hansen gehört worden. Die Verteidigung legte den Geschworenen Karten von Kent vor, die zeigten, welche Küstenabschnitte in Gefahr sind, aufgrund des Meeresspiegelanstiegs überschwemmt zu werden. Außerdem wurde aus Grönland ein Vertreter der Inuit vorgeladen, der schilderte, wie ihre Dörfer ins Meer gewaschen werden.

Das Urteil hat nicht nur unter Umweltschützern für Aufsehen gesorgt. So auch bei der Generalstaatsanwältin Baroness Patricia Scotland, wenngleich aus einem anderen Grund. Scotland will verhindern, daß künftig auch andere Aktivisten, wie zum Beispiel Gentechnikgegner, von Geschworenen unter Verweis auf die Regelung des "lawful excuse" (gesetzmäßige Rechtfertigung), wie sie in Paragraph 36 des Criminal Damage Act beschrieben ist, freigesprochen werden.

Der britischen Zeitung "The Guardian" (18.12.2008) liegt ein Brief der Generalstaatsanwältin an die Gerichte vor, aus dem hervorgeht, daß diese härtere Urteile gegen direkte Aktionen der Umweltschützer fällen sollten. Anlaß der geforderten härteren Gangart der Gerichte war die Freilassung der Greenpeace-Aktivisten. Die Generalstaatsanwältin erwägt, von ihrem Recht Gebrauch zu machen und den Fall vors Berufungsgericht zu bringen, damit die Aktivisten doch noch bestraft werden. Zweifellos sollen sie künftig keine oder nur noch eine eingeschränkte "gesetzmäßige Rechtfertigung" für ihr Verhalten beanspruchen dürfen.

Damit würden die Möglichkeiten der Briten, ein übergreifendes, womöglich menschheitsrelevantes Interesse, wie es der Schutz des Klimas zweifellos ist, gegenüber der eigenen Regierung durchzusetzen, beschnitten.

19. Dezember 2008