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KLIMA/383: PETM - rätselhafter abrupter Wärmeanstieg (SB)


Grenzen der Klimasimulation

Plötzliche Erderwärmung vor 55 Mio. Jahren stellt Wissenschaftler vor Rätsel


Über die Relevanz sogenannter Proxydaten läßt sich trefflich streiten. Liefern Analysen von Eisbohrkernen, Baumringen oder Sedimentablagerungen Einblick in die Klimageschichte der Erde? Oder bestätigen Wissenschaftler im wesentlichen immer nur ihre Modellvorstellungen, ohne überhaupt noch auf die Idee zu kommen, die eigenen Meßmethoden in Frage zu stellen? Das kann und soll hier nicht beantwortet werden, und schon gar nicht pauschal, den jeweiligen Kontext ignorierend, in dem die Forschungsmethoden zum Einsatz kommen. Wohl aber soll an den allzu häufig unterschlagenen Umstand erinnert werden, daß die Gewißheit, mit der manche Forscher behaupten, das Klima vor vielen Millionen Jahren exakt rekonstruieren zu können, auf indirekte Annahmen beruht, denen naturgemäß eine größere Irrtumsmöglichkeit zugeschrieben werden sollte.

Damit soll, um es ebenfalls vorweg zu schicken, nicht den selbsternannten Klimaskeptikern das Wort geredet werden. Denn die bewegen sich im gleichen Modellgefüge, nur daß sie innerhalb dessen die ihnen nicht genehmen Erkenntnisse, wonach der Mensch ungefähr seit Beginn des industriellen Zeitalters mit seiner enormen Zunahme an Verbrennungsvorgängen und entsprechenden Steigerung an Treibhausgasemissionen die Erderwärmung maßgeblich angetrieben hat, ignorieren.

Diese Woche schrieben Wissenschaftler um den Ozeanographen Prof. Gerald Dickens von der Rice Universität in Houston im Wissenschaftsmagazin "Nature Geoscience" [1], daß die üblicherweise vom Weltklimarat (IPCC) verwendeten Modelle zur Klimavorhersage unzureichend sind. Sie vermögen das Ausmaß der Erderwärmung vor 55 Millionen Jahren nicht zu erklären. Während des sogenannten Paläozän/Eozän-Temperaturmaximums ( PETM) war der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre zwar plötzlich stark gestiegen, aber diese Zunahme um nicht einmal 70 Prozent innerhalb weniger tausend Jahre könne nicht den globalen Temperaturanstieg von bis fünf bis neun Grad erklären, schrieben die Forscher. Es müsse andere, bislang unbekannte Faktoren geben, die zur Erderwärmung beigetragen haben. Denn die Klimamodelle besagen, daß bei einer CO2-Zunahme von 100 Prozent verglichen mit dem Beginn des Industriezeitalters - was im Verhältnis Ähnlichkeiten mit dem angenommenen Ausgangswert des PETM aufweist - lediglich mit einer Temperaturerhöhung von 1 bis 3,5 Grad Celsius zu rechnen wäre.

Die Forscher hatten unter anderem Hunderte ozeanische Bohrkernanalysen aus den letzten zwei Jahrzehnten ausgewertet und waren anhand des Säure- und Kohlenstoffgehalts der Proben, die aus verschiedensten Teilen der Welt stammten, zu ihren Ergebnissen gekommen. Zu Beginn des PETM war der Kohlenstoffgehalt in den Sedimenten tatsächlich drastisch angestiegen, was auf eine entsprechend hohe Kohlendioxidkonzentration der Atmosphäre schließen läßt. Nur, daß dieser Anstieg nicht genügt, um die kräftige Temperaturerhöhung zu erklären.

Die Klimamodelle erweisen sich demnach als mangelhaft, das Klima verändert sich womöglich viel drastischer als bislang berechnet, so die Forscher. Dickens und seine Kollegen nehmen an, daß während der PETM-Phase, die rund 200.000 Jahre dauerte, ein bislang unbekannter Rückkopplungseffekt, möglicherweise zwischen Temperatur und Kohlendioxidgehalt, aufgetreten war. Der hätte dann die globale Durchschnittstemperatur doppelt so hoch steigen lassen, wie es nach heutigen Klimasimulationen hätte geschehen dürfen.

Seit Beginn der industriellen Revolution ist der Kohlendioxidgehalt um 30 Prozent gestiegen. Wenn man einmal die geologische Epoche des PETM aufgrund gewisser ähnlicher klimatischer Verhältnisse als Beispiel für die aktuelle Klimaentwicklung zugrundelegt, dann könnte das bedeuten, daß zu einem bislang noch nicht bekannten Zeitpunkt jener ominöse Rückkopplungseffekt eintritt und die Erderwärmung dem CO2-Anstieg rasch davoneilt. Eine beunruhigende Vorstellung, die einmal mehr in Erinnerung ruft, wie wenig Zeit den Menschen bleibt, Einfluß auf das Klima zu nehmen. Denn die Kohlendioxidkonzentration nimmt nicht nur weiter zu, sie nimmt sogar beschleunigt zu, und auch die Beschleunigung steigert sich noch. Irgendwann in diesem, spätestens im nächsten Jahrhundert wird jene 70-Prozent-Marke, die vor 55 Millionen Jahren mit jenem plötzlichen Temperatursprung von global rund sieben Grad Celsius einherging, überschritten.

Falls das eintritt, wird es die Menschheit in ihrer heutigen Form nicht mehr geben. Es wäre mit einem Massensterben zu rechnen, und die wenigen Überlebenden würden sich vermutlich in die gemäßigten Zonen der hohen Breiten zurückziehen oder spezielle Refugien unter der Erde schaffen, in denen sie gegen die starke Sonneneinstrahlung gefeit sind. Keineswegs beruhigend ist auch die Aussicht, sollten bislang unbekannte oder unbeachtete physikalische Prozesse den Temperaturanstieg verursacht haben. Für diese Möglichkeit spricht, daß in früheren Forschungsarbeiten zum PETM eine relative Abkühlung in den tropischen Breiten und stärkere Erwärmung der polaren Zonen registriert wurde. Das heißt, der Temperaturgradient zwischen Äquator und Polen fiel relativ niedrig aus, was bei einer gleichmäßigen Verteilung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre nicht zu erwarten wäre.

Ebenfalls in früheren Forschungen hatten Klimaexperten anhand von Fossilien herausgefunden, daß der Temperaturanstieg bereits vor der CO2-Erhöhung einsetzte. Als Ursache kommt Vulkanismus in Frage, denkbar ist aber auch, daß sich plötzlich Methanblasen vom Meeresgrund gelöst haben und aufgestiegen sind - Methan besitzt die zehn- bis zwanzigfache Klimawirksamkeit von Kohlendioxid -, eine Annahme, die auch Gerald Dickens bevorzugt. Er und seine Forscherkollegen hoffen, daß ihre Erkenntnisse dazu beitragen, jenen unbekannten Effekt während des PETM genauer zu bestimmen und gegebenfalls eine Aussage darüber treffen zu können, ob er auch für das zukünftige Klima von Bedeutung ist.


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Anmerkungen:

[1] "Carbon dioxide forcing alone insufficient to explain Palaeocene-Eocene Thermal Maximum warming", Richard E. Zeebe, James C. Zachos, Gerald R. Dickens, Nature Geoscience, online veröffentlicht am 13. Juli 2009
doi:10.1038/ngeo578

16. Juli 2009