Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

KLIMA/398: Düstere Aussichten für Kopenhagen-Gipfel (SB)


Nach dem Klimagipfel von Kopenhagen muß mit einer umfassenden Qualifizierung der Verfügungsgewalt gerechnet werden


Im Vorfeld der vermutlich über Jahre hinaus wichtigsten Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen veröffentlichen zahlreiche Klimaforscher neuere Untersuchungsergebnisse, anhand derer gezeigt werden soll, daß die Staats- und Regierungschefs nicht zögern dürfen, die Emissionen von Treibhausgasen drastisch einzuschränken. Wenn die verbreitete Annahme zutrifft, daß menschliche Aktivitäten maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich sind, dann wäre daraus abzuleiten, daß der Mensch auch fähig sein müßte, die Klimaentwicklung wieder in die andere Richtung zu führen - sofern keine unumkehrbaren Schwellenwerte überschritten wurden und sich das ganze Erdsystem auf einem anderen Niveau einzupendeln begänne. Aber nicht einmal die bereits als ehrgeizig bezeichneten CO2-Reduktionsziele der Europäischen Union von bis zu 30 Prozent bis zum Jahr 2020 gelten als ausreichend, um eine durchschnittliche Erderwärmung von über zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu verhindern.

Die wissenschaftlichen Prognosen sind jedoch von großer Unsicherheit vor allem hinsichtlich des Zusammenspiels verschiedener Faktoren gekennzeichnet. Es kann zu Verstärkungseffekten kommen - das klassische Beispiel ist die beschleunigte Erderwärmung, die eine Eisschmelze in der Arktis auslöst, was wiederum die Wärmerückstrahlung verringert und die Erwärmung beschleunigt -, aber auch zu Abmilderungseffekten. Beispielsweise durch vermehrte Sand- und Staubstürme, die das Sonnenlicht reflektieren, bevor es die Erde aufheizen kann.

Unsicherheit herrscht auch hinsichtlich des Meeresspiegelanstiegs vor, wie das Worst-case-Scenario des Weltklimarats (IPCC - Intergovernmental Panel on Climate Change) aus dem Jahre 2007 beweist. Damals hatten die Forscher angenommen, daß der Meeresspiegel um höchstens 59 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts steigen wird. Wobei die Forscher noch von keinen signifikanten Eisverlusten ausgegangen waren. Nur zwei Jahre nach dem IPCC-Report gilt der Maximalwert als viel zu niedrig.

Untersuchungen an uralten Korallenriffen auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan zeigen, daß vor 121.000 Jahren der Meeresspiegel innerhalb von nur 50 Jahren um drei Meter gestiegen war. Die Korallenriffe in Yucatan gelten als zuverlässiges Klimaarchiv, weil die Halbinsel in den letzten paar hunderttausend Jahren keinen nennenswerten tektonischen Hebungen oder Senkungen ausgesetzt war. Forscher aus Mexiko und auch Deutschland brauchten deshalb den geologischen Faktor nicht herauszurechnen, um auf ihre Werte zu kommen. Korallen wachsen, wenn sich das Meer hebt, da sie stets auf Meeresspiegelniveau bleiben. Paul Blanchon von der Nationaluniversität Mexiko und seine Kollegen vom deutschen Institut GEOMAR sind der Ansicht, daß nur der rasche Zusammenbruch polarer Eismassen das Meer mit einer so hohen Geschwindigkeit - sechs Zentimeter pro Jahr - steigen lassen kann. Während der letzten interglazialen Periode war der Meeresspiegel um bis zu sechs Meter höher als heute. [1] Die vermehrte Eisschmelze in der Arktis könnte eine solche Entwicklung einleiten.

Die Vereinten Nationen haben kürzlich die Ergebnisse einer Metastudie über 400 Einzeluntersuchungen veröffentlicht, derzufolge die Tragfähigkeit der Erde in wesentlichen Bereichen bereits überschritten oder erreicht ist und der Klimawandel die Lage für Milliarden Menschen extrem verschlechtern wird. [2]

Die oben erwähnte Unsicherheit der wissenschaftlichen Studien geht nicht auf die Frage zurück, ob überhaupt ein Klimawandel stattfindet, sondern welche Folgen er in welcher Zeitspanne nach sich ziehen wird. Die Chancen, daß die am Montag (28.9.) in Bangkok zusammengekommenen Regierungsvertreter bei der Vorbereitungskonferenz für den Kopenhagen-Gipfel nennenswerte Resultate erzielen, um die mehrere tausend offenen Fragen des gemeinsamen, rund 200 Seiten starken Vertragswerks zu klären, wird von Beobachtern als äußerst gering angesehen.

Was bedeutet das? Die Folgen eines Scheiterns des Klimagipfels wären verheerend. Die Folgen eines Gelingens ebenfalls. Denn ein erfolgreicher Abschluß der Klimaverhandlungen bedeutete, daß es den Staats- und Regierungschefs gelungen ist, dem kapitalistischen Verwertungssystem ein grünes Antlitz zu verleihen und politisch, wirtschaftlich, kulturell so weitermachen zu können wie bisher. Der Unterschied zu vorher bestünde darin, daß der zunehmende Mangel an Nahrung, Wasser, Luft, Rohstoffen sowie Siedlungs- und Bewirtschaftungsraum noch rücksichtsloser gegen die Bevölkerung in Stellung gebracht würde. Um die erforderlichen CO2-Emissionen zu senken, müßte der Energieverbrauch in den entwickelten Staaten dramatisch reduziert werden; gleichzeitig müßten die Entwicklungs- und Schwellenländer daran gehindert werden - sofern sie nicht einlenken -, die gleiche expansive Wirtschaft wie die entwickelten Länder zu betreiben, die maßgeblichen Anteil an der Zunahme der anthropogenen Treibhausgasemissionen haben. In der Folge entstünde eine verengte, vom nackten Überleben der Mehrheit der Bewohner geprägte Welt, wie sie bisher allenfalls in dystopischen Phantasien ersonnen wurde. Diese Entwicklung liefert somit allemal schlagkräftige Argumente, um gegen die Klimakonferenz in Kopenhagen nicht weniger entschlossen zu protestieren als beispielsweise in der Vergangenheit gegen die G8-Gipfel.

Sollte dagegen die Kopenhagener Klimakonferenz scheitern, kämen auf die Bevölkerung im Prinzip die gleichen Einschränkungen, die aus der Verwaltung des Mangels herzuleiten sind, zu. Dann liefe es darauf hinaus, daß die durch Menschen ausgelösten klimatischen Prozesse ungebremst auf die Weltgesellschaft zustürzen. Das könnte von den Regierungen dann zum Anlaß genommen werden, den Notstand auszurufen, regional, national oder sogar global. Dann käme es voraussichtlich zur Notstandsgesetzgebung und einer Art Kriegsrecht. Wer angesichts der entuferten Natur auf Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung beharrte, soziale Mißstände anprangerte oder Solidarität mit Klimaflüchtlingen einforderte, würde möglicherweise auf eine Weise Repressionen ausgesetzt, als paktiere er mit dem Feind der Gesellschaft. Die zu beobachtende Erweiterung des ohnehin willkürlich verwendeten Begriffs "Terroristen" zu "Extremisten" - der deutsche Innenminister bevorzugt die Bezeichnung "Gefährder" -, denen nichts anzulasten ist außer eine abweichende Meinung oder gar, daß sie jemanden kennen, der jemanden kennt, der ein mutmaßlicher Terrorist ist, könnte das ideologische Feld bestellen, um Menschen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, aus dem Verkehr zu ziehen.

Wenn sich bereits heute Schiffskapitäne im Mittelmeer davor drücken, Bootsflüchtlinge zu retten, um nicht wegen Schleusertum angeklagt zu werden, und die Flüchtlinge absaufen, oder die USA mehrere Milliarden Dollar in den Bau einer Hightech-Grenzbefestigungsanlage zum südlichen, hitzegeplagten Nachbarn Mexiko errichten, oder asiatische Staaten in Zeiten hoher Lebensmittelpreise Reisexporte einstellen, auch wenn der Weltmarkt leergekauft ist, oder wenn das Welternährungsprogramm, das sowieso nur einen Bruchteil der Hungernden mit Nahrung versorgt, wiederum nur einen Bruchteil an Spenden für diese Aufgabe erhält, dann liefert das einen bescheidenen Vorgeschmack auf die kommenden Verhältnisse der globalen Gewaltregulation vor dem Hintergrund der existentiell gefährdenden Folgen der Erderwärmung.

Der Klimawandel ist auch eine Frage der Sicherheit, beteuern Politiker und Militärs dies- und jenseits des Atlantiks. Gemeint ist nicht die Sicherheit der eine Milliarde Menschen, die bereits heute Hunger leiden, sondern gemeint ist die Sicherheit der privilegierten Menschen in den Wohlstandsregionen, sollten die dank einer vernichtenden Weltwirtschaftsordnung marginalisierten, dem Siechtum und der Vernichtung überantworteten Menschen es wagen, den für sie vorgesehenen Platz zu verlassen, und aussichtsreichere Gestade anstreben. Möglicherweise werden diese Menschen nicht mehr den Eigentumsbegriff anerkennen, das heißt, sie erkennten ihn als eines der wirksamsten Herrschaftsmittel, das seit Jahrhunderten das Nord-Süd-Gefälle getragen und stabilisiert hat.

Man muß davon ausgehen, daß die Militärs und Geheimdienste sämtliche Szenarien, wie sich die Welt in Zeiten des Klimawandels entwickeln könnte, durchgespielt haben und sich auf schwerste gesellschaftliche Verwerfungen vorbereiten. Ob dazu bereits das unermüdliche Sägen am Deutschen Grundgesetz durch den Innenminister oder das Abtreten von immer mehr Kompetenzen an die Überrang-Administration der Europäischen Union gehört, so daß eines Tages die Bundesregierung Seite an Seite mit den Menschen auf die Straße geht, um gegen Bestimmungen aus Brüssel zu protestieren, als hätte sie nicht maßgeblich zum Erstarken der Union beigetragen und besäße selbst keinen Einfluß via den Europäischen Rat, werden wohl nur die unmittelbar Beteiligten verraten können.

Nicht ausgeschlossen, daß ein völliges Scheitern in Kopenhagen durchaus ein Szenario ist, mit dem die Regierungen sehr gut leben werden. Denn sie können zuversichtlich in die Zukunft blicken, da ihnen persönlich dank ihrer privilegierten Position überdurchschnittlich entwickelte Möglichkeiten zur Verfügung stehen, mit dem Klimawandel zurechtzukommen. Auch können sie sich sicher sein, für ein Scheitern der Verhandlungen nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn in einigen Jahren die sogenannten Naturkatastrophen zunehmen, Menschen evakuiert oder notversorgt werden müssen und die Mangelverwaltung immer mehr greift. Wer wollte dann noch wen verantwortlich machen, daß im Dezember 2009 keine Einigung beim Versuch, den Klimawandel zu stoppen, erzielt wurde?


*


Anmerkungen:

[1] http://www.ifm-geomar.de/index.php?id=537&type=98&L=1&L=1&tx_ttnews[tt_news]=318&tx_ttnews[backPid]=551&cHash=c2484f267d

[2] http://www.unep.org/climatechange/Publications/Publication/tabid/429/language/en-US/Default.aspx?BookID=4064

28. September 2009