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KLIMA/405: Im Fadenkreuz der Obrigkeit - Klimaschützern Ausreise verweigert (SB)


Vorwand Terrorismusgefahr

Grenzbeamte verhindern Ausreise mehrerer Klimaschützer nach Dänemark und nehmen weitere Klimaaktivisten vorübergehend fest


Sollten die Prognosen der Klimaforscher zutreffen, so wird das gesamte Klima des Planeten Erde in den nächsten Jahrzehnten eine fundamentale Wandlung erfahren. Wieder einmal. Geologische Daten lassen darauf schließen, daß die extremen Temperaturschwankungen in den letzten Jahrhunderttausenden zugenommen haben und daß die aktuell wärmere Phase einen signifikanten Schub aufgrund menschlicher Aktivitäten erfährt. Durch den Weltenbrand der industriellen Produktion wurden und werden jede Menge Abgase erzeugt, welche den bestehenden Treibhauseffekt kräftig verstärken.

Von den fundamentalen Veränderungen, die voraussichtlich in den nächsten Jahrzehnten eintreten werden, wenn sich die Klimazonen verschieben und aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels besiedelte Landflächen untergehen, werden alle Menschen betroffen sein. Sicherlich nicht im gleichen Maße, denn einige Menschen werden die Mittel haben, sich in Sicherheit zu bringen, während der Großteil in Regionen leben wird, die unwirtlich werden, und keine Chance zum Entkommen erhält. Diesen eklatanten sozialen Widerspruch einmal außer Acht lassend könnte man dennoch sagen, daß die gesamte Menschheit vom Klimawandel betroffen sein wird.

Das bedeutet, daß die Erwärmung der Erde jeden etwas angeht. Da sollte es selbstverständlich sein, daß Menschen, die sich Sorgen um das Klima machen, nicht mundtot gemacht oder in ihrem Engagement behindert werden. So wie Chris Kitchen, ein 31jähriger Büroangestellter aus Großbritannien, der an der Ausreise nach Dänemark gehindert wurde, wie die britische Zeitung "The Guardian" berichtete. [1]

Nicht nur Staats- und Regierungschefs werden im Dezember zu einer großen UN-Klimakonferenz nach Kopenhagen reisen, auch eine große Zahl von Bürgern wird sich auf den Weg machen, um dem Klimaschutz, wie sie ihn verstehen, zu mehr Gehör zu verhelfen. Es lassen sich drei Hauptfraktionen unter den Klimaschützern ausmachen: Jene offiziell von den Regierungen entsandten Vertreter, die einen rechtsverbindlichen internationalen Vertrag zu Klimaschutzmaßnahmen für den Zeitraum 2012 bis 2020 aushandeln. Des weiteren die Teilnehmer eines Alternativgipfels, der unter dem Titel Klimaforum09 firmiert. Und drittens Mitglieder eines Netzwerks von engagierten Klimaaktivisten, die sowohl dem Gipfel als auch dem Alternativgipfel kritisch gegenüberstehen und ihre Meinung durch Demonstrationen und Protestaktionen kundtun wollen.

Da der Klimawandel für diese, spätestens aber die nächste Generation zu einer existenzgefährdenden Bedrohung auswachsen dürfte, sollte das, was Chris Kitchen und mehreren seiner Kollegen widerfahren ist, nicht unbeachtet bleiben. Britische Grenzbeamte haben ihn, der sich am Dienstag nachmittag mit dem Zug auf dem Weg nach Dänemark befand, um an einem Vorbereitungstreffen des Climate Action Network teilzunehmen, am Folkestone-Terminal des Channel aus dem Abteil geholt und an der Weiterfahrt gehindert.

Laut Kitchen wurden er und ein weiterer Klimaaktivist nach dem Schedule 7 des Terrorism Act 2000 befragt. Diese Bestimmung gestattet es Grenzbeamten, Personen zu stoppen und zu überprüfen, falls diese mit Terrorismus zu tun haben. Als die dreißigminütige Befragung, die sich um Familie, politische Aktivitäten und den Grund der Reise nach Kopenhagen drehte, endete, war der Zug schon abgefahren. Kitchen wurde auf Kosten der Polizei zurück nach London geschickt. Der Klimaaktivist kündigte an, er werde es noch einmal versuchen, nach Dänemark zu reisen.

Zu den "Vergehen" Kitchens zählen verschiedene Formen zivilen Ungehorsams. So hat er sich einmal an eine Statue im britischen Parlament festgeklebt und gefordert, daß die Abgeordneten größere Anstrengungen zur Reduzierung von Kohlendioxidemissionen unternehmen. Normalerweise wird unter Terrorismus, so dehnbar der Begriff auch absichtlich gehalten wird, kein ziviler Ungehorsam verstanden, so daß sich die Vermutung aufdrängt, daß hier präventiv eine bestimmte Gesinnung bestraft werden soll. Dieses Beispiel weitergesponnen bedeutet, daß der (britische) Staat nur bestimmten, angepaßteren Klimaschützern Geltung verschaffen und alle anderen Meinungen besorgter Bürger unterdrücken will.

Auf der gleichen Linie liegt auch die Verhaftung eines namentlich nicht genannten Umweltschützers diese Woche im Vorfeld von angekündigten Protestaktionen gegen das Kohlekraftwerk Nottinghamshire. [2] Dem Betroffenen wird Verdacht auf Verschwörung zum Begehen einer strafbaren Handlung vorgeworfen. Dieser Rechtslage zufolge erhebt der Staat den Anspruch, unliebsame Personen willkürlich aus dem Verkehr ziehen zu können. In diesem Fall ist das deutsche Unternehmen E.ON mit einer einstweiligen Verfügung beteiligt. Sie richtet sich gegen Protestierer, die versuchen sollten, das Gelände des von E.ON betriebenen Kohlekraftwerks Ratcliffe-on-Soar zu betreten.

Mitglieder der Klimaschutzorganisationen Climate Camp und Plane Stupid hatten angekündigt, das umstrittene Kohlekraftwerk stillzulegen. Abgesehen von einer starken Präsenz an Polizisten und privaten Sicherheitskräften wird das Gelände durch einen neuen Elektrozaun geschützt. Der vorübergehend verhaftete Umweltschützer hat die Auflage erhalten, sich am Samstag, dem angekündigten Tag der Proteste, bei der Polizei zu melden.

Drei weitere britische Klimaschützer wurden ebenfalls vorübergehend verhaftet, durften anschließend aber ihre Fahrt nach Kopenhagen fortsetzen. Mitglieder von Plane Stupid berichteten, sie hätten Drohanrufe von der Polizei erhalten. Sollten sie sich in Ratcliffe-on-Soar blicken lassen, würden sie verhaftet, hieß es. Tracy Singh von Plane Stupid sagte, daß sich die Polizei "wie Ganoven" verhalten hat: "Wir sind total empört." [2] Ein Polizeisprecher von Nottinghamshire hingegen behauptet, daß niemand verhaftet werde, nur weil er zu gesetzlich erlaubten Protesten ans Kraftwerksgelände ginge.

Für eine Klimaschutzbewegung, die nicht an Schlagkraft einbüßen will, könnte es sich als unverzichtbar erweisen, sich einerseits nicht spalten zu lassen und andererseits auch nicht so zu tun, als wollten alle das gleiche. Schließlich bestehen wesentliche Differenzen hinsichtlich beispielsweise der Frage, ob ein Handel mit Klimazertifikaten gewünscht ist oder nicht. Aber selbst die einander ausschließenden Standpunkte können zu einer lebhaften Streitkultur beitragen, die allen Beteiligten bei der Schärfung ihrer Argumente zugute kommen dürfte. Deshalb geht die Unterdrückung der Meinung von etwas radikaleren Klimaaktivisten alle Klimaschützer an, gleich welcher Fraktion sie sich zurechnen. Verschiedene Standpunkte einzunehmen muß nicht bedeuten, eine Gegnerschaft untereinander zu pflegen und sich auseinanderdividieren zu lassen. Andernfalls drohen eines Tages sogar die heute als moderat angesehenen Meinungen von dem tendenziell repressiver werdenden Staat unterdrückt zu werden.

Großbritannien nimmt innerhalb der Europäischen Union in vielerlei Hinsicht eine Sonderrolle ein. Dennoch, die Behinderung der Ausreise an einer innereuropäischen Grenze sagt viel darüber aus, wie wenig belastbar der freie Reiseverkehr in der Europäischen Union ist. Hier werden ohne konkrete Verdachtsmomente Personen an den vermeintlich hochgezogenen Schranken aufgehalten und an der Weiterfahrt gehindert.

Wenn aber der Staat bereits im Vorfeld massiver Klimaveränderungen seine Zähne zeigt, um wieviel drakonischer wird er erst gegen unliebsame Personen vorgehen, sobald umfangreiche administrative Aufgaben erforderlich werden, um die sozialen Folgen der klimatischen Veränderungen so auszusteuern, daß der Reichtum weniger nicht durch den Überlebensanspruch vieler in Frage gestellt wird?


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Anmerkungen:

[1] "Climate change activist stopped from travelling to Copenhagen", The Guardian, 14. Oktober 2009
http://www.guardian.co.uk/politics/2009/oct/14/climate-change-activist-held

[2] "Environmental activist arrested ahead of coal-fired power station protest", The Guardian, 16. Oktober 2009
http://www.guardian.co.uk/environment/2009/oct/16/ratcliffe-arrests

16. Oktober 2009