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KLIMA/433: "Tote Zonen" im Meer steigern Lachgas-Emissionen (SB)


Marine Lachgasproduktion in "Toten Zonen" nimmt zu

Wissenschaftler warnt vor bislang wenig erforschtem Treibhauseffekt


Im Vergleich zum Ausmaß der gesamten Meeresoberfläche sind die sogenannten Toten Zonen, in denen der Sauerstoffgehalt des Meerwassers stark herabgesetzt ist, klein. Vermutlich deshalb herrschte in der Fachwelt die Ansicht vor, daß die Auswirkungen hypoxischer (sauerstoffarmer), küstennaher Zonen auf deren Bewohner regional beschränkt bleiben. Nun berichtet jedoch die Internetseite ScienceDaily.com [1] über die Studie eines US-Forschers im Wissenschaftsmagazin "Science", derzufolge die Toten Zonen global wirksam sind und die Erderwärmung antreiben. Das sei bei ihrer weiteren Ausdehnung ein nicht zu vernachlässigender Faktor.

Die Toten Zonen entstehen als Folge des hohen Nahrungsbedarfs der Menschheit und des Versuchs, landwirtschaftliche Ertragssteigerungen über die intensive Düngung der Felder zu erzielen. Ein guter Teil des Düngers wird vom Regen ausgewaschen, gelangt in die Flüsse und wird schließlich ins Meer verfrachtet. Dort erhöht er dramatisch die Produktion von Phytoplankton, welches ihrer Umgebung den Sauerstoff entzieht, so daß höhere Lebensformen wie Fische fliehen müssen oder ersticken. Typischerweise entstehen Tote Zonen vor Flußmündungen. Ein Klassiker ist der Golf von Mexiko vor dem Mississippi-Delta, der den Dünger aus den weitläufigen nordamerikanischen Agrarzonen ins Meer transportiert.

Der Ozeanograph Dr. Lou Codispoti vom Zentrum für Umweltforschung der Universität Maryland (University of Maryland Center for Environmental Science) macht nun darauf aufmerksam, daß in sauerstoffarmen Gewässern erheblich mehr Lachgas (N2O - Distickstoffmonoxid) gebildet wird als in sauerstoffreichen Meeresregionen und daß das Gas in die Atmosphäre entweicht.

Ähnlich wie Kohlendioxid oder Methan hält Lachgas, dessen Konzentration in der Atmosphäre laufend zunimmt, einen bestimmten Bereich der langwelligen Rückstrahlung des einfallenden Sonnenlichts von der Erdoberfläche auf, verhindert ein Entweichen in den Weltraum und strahlt die Wärme wieder in Richtung Erdoberfläche ab. Lachgas ist ein Spurengas, sein Anteil an der Erdatmosphäre beträgt rund 317 ppb (parts per billion - Teile auf eine Milliarde) und liegt damit mehr als eine Größenordnung unter dem Anteil von Kohlendioxid (CO2), der - bei steigender Tendenz - gegenwärtig ungefähr bei 380 ppm (parts per million - Teile auf eine Million) liegt. Aber Lachgas wird eine knapp 300fach höhere Klimawirksamkeit als CO2 zugewiesen und muß als klimarelevant angesehen werden. Darüber hinaus zerstört Lachgas die Ozonschicht, indem es den freien Sauerstoff bindet und ihn somit aus dem ständigen Wechsel von Zerfall und Bindung des Sauerstoffs (O2) von und zu Ozon (O3) entzieht. Bei einer Ausdünnung der Ozonschicht wiederum erhöht sich die zellverändernde bis -zerstörende UV-Strahlung, wovon Menschen, Tiere und Pflanzen betroffen sind.

Eine Ausdehnung der Toten Zonen entlang der Küsten und in größerer Nähe zur Meeresoberfläche kann unter bestimmten Bedingungen die Lachgasproduktion um den Faktor 10.000 gegenüber dem offenen Meer steigen lassen. In Anbetracht dessen, daß sauerstoffarmes Wasser zur Zeit rund die Hälfte der ozeanischen Lachgasmenge erzeugt, kommt dem Wachstum der Toten Zonen durchaus eine Bedeutung für die Veränderung der Erdatmosphäre zu, erklärt Dr. Codispoti.

Die Erderwärmung aufgrund von Lachgas unterliegt mehreren miteinander verschränkten Rückkopplungseffekten. In wärmeren Ozeanen sinkt der Sauerstoffgehalt, so daß umgekehrt der Lachgasanteil wächst, wodurch sich die Erde stärker aufheizt. Außerdem beschleunigt das Gas die Versauerung der Meere, was unter anderem deren Aufnahmefähigkeit für das Treibhausgas Kohlendioxid mindert - und die Erwärmung der Atmosphäre beschleunigt.

Diese Studie ist in mehrerer Hinsicht interessant. Zum einen stellt sich die Frage, wie der Mensch in Zukunft Nahrung produziert. Schon heute leiden mehr als eine Milliarde Menschen Hunger, ihre Zahl wird nach Einschätzung von Experten weiter zunehmen. Der Nahrungsbedarf wächst. Die Biotechindustrie behauptet, daß dieses Problem nur mit Hilfe der Grünen Gentechnik gelöst werden kann. Dem erteilt jedoch der Weltagrarbericht, an dem 400 Experten mehrere Jahre lang gearbeitet haben, eine klare Absage. Nicht nur das, die Fachleute empfehlen dringend, daß nicht die industrielle Nahrungsproduktion unterstützt wird, sondern das Kleinbauerntum. Es käme für mehr als die Hälfte der weltweit produzierten Nahrung auf, das werde weithin unterschätzt.

Die Menge des weltweit verbrauchten Düngers richtet sich entscheidend nach der Bewirtschaftungsform, und da scheint es, daß in der Agrarindustrie mehr Dünger verbraucht wird als von Kleinbauern, die eher auf vorhandene organische Grundsubstanzen zurückgreifen. (Im übrigen ist die Düngerproduktion energieintensiv und dürfte bei schwindenden Vorkommen an fossilen Energieträgern erheblich teurer werden.)

Ein zweiter bemerkenswerter Aspekt der neuen Studie betrifft die Entdeckung von unbekannten oder wenig erforschten Voraussetzungen, die zu der heutigen Erdatmosphäre geführt haben. Deren Zusammensetzung hat sich im Laufe der Erdgeschichte stark gewandelt und ist einer permanenten Veränderung unterworfen. Wie weitreichende Konsequenzen kleinste, scheinbar unbedeutende Veränderungen haben können, zeigt das Beispiel Kohlendioxid. Sein Anteil an der Erdatmosphäre wird in Millionstel gemessen, und doch hat dies Einfluß auf die Erderwärmung. Sollte der CO2-Anteil von gegenwärtig ca. 380 ppm auf über 450 ppm steigen, hätte das signifikante Auswirkungen auf die Höhe des Meeresspiegels, die Intensität von Wirbelstürmen, die Ausbreitung der Wüsten, etc. Somit ist eine Erhöhung der Lachgaskonzentration in der Atmosphäre - womöglich in Kombination mit der Zunahme anderer Treibhausgase - klimarelevant.


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Anmerkungen:

[1] "Aquatic 'dead zones' contributing to climate change", University of Maryland Center for Environmental Science, ScienceDaily, 14. März 2010
http://www.sciencedaily.com/releases/2010/03/100311141213.htm

16. März 2010