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KLIMA/449: Hitzewelle in Indien - Hunderte Einwohner gestorben (SB)


Indien stöhnt unter einer Hitzewelle

Keine Entspannung vor Ende des Monats zu erwarten

Grundnahrungsmittel auf hohem Preisniveau


Kein Klimaforscher würde behaupten, daß die gegenwärtige Hitzewelle in Nordindien ein weiterer Beweis für den Klimawandel ist. Umgekehrt gilt jedoch auch: Wenn Wissenschaftler Prognosen zur klimatischen Entwicklung des Subkontinents abgeben, dann sagen sie höhere Temperaturen, mehr Hitzewellen, Wassermangel und Ernteverluste voraus. Genau das trifft gegenwärtig auf nordindische Bundesstaaten wie Gujarat, Maharashtra, Rajasthan, Punjab und Bihar zu. Seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die Monate April und Mai noch nie so warm gewesen wie in diesem Jahr, berichtete die britische Zeitung "The Guardian". [1]

Die Quecksilbersäule kletterte in der vergangenen Woche in Gujarat auf 48,5 Grad Celsius - dabei hat der Sommer noch nicht mal angefangen. Meteorologen kündigen an, daß die Temperaturen in den nächsten Wochen auf 50 Grad und mehr steigen werden. Die Bevölkerung kennt kaum ein anderes Thema als die Hitzewelle. Was nicht verwundert, werden doch allein in diesem Bundesstaat täglich durchschnittlich 300 Einwohner ins Krankenhaus eingeliefert, weil sie verdorbene Lebensmittel verzehrt, verkeimtes Wasser getrunken oder sich einen Hitzschlag zugezogen haben. Auch durch Krankheiten wie Bluthochdruck oder Diabetes vorbelastete Menschen müssen sich vermehrt medizinisch behandeln lassen.

Die von den Medien verbreitete offizielle Zahl von mehreren hundert Hitzetoten muß als vorläufig angesehen werden. Ähnlich wie nach der Hitzewelle 2003 in Europa in der abschließenden Bilanz sehr viel mehr Tote gezählt wurden - Mediziner sprachen von 30.000 bis 40.000 Hitzeopfern - dürften auch die indischen Behörden ihre Zahlen deutlich weiter nach oben schrauben. Zumal nach Angaben der Regierung die meisten Todesfälle in entlegenen Dörfern registriert werden und somit noch gar nicht vollständig erfaßt sind. Außerdem hält die Hitzewelle mindestens noch bis Ende der Woche an, womöglich sogar darüber hinaus.

Üblicherweise erreicht der Monsun, der zur Zeit in Südindien erwartet wird, nicht vor Ende Juni den Norden des Landes. Frühestens dann wäre mit einer größeren Erleichterung zu rechnen - zumindest hinsichtlich des Wassermangels. 60 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Indiens ist vom Monsunregen abhängig. Bleibt er aus oder schwächelt, wirkt sich das unmittelbar negativ auf die Erntemengen aus. Den Bauern verdorrt nicht nur die Ernte, auch das Vieh stirbt, weil es nicht genügend Futter gibt, und die Wildtiere verenden an Wassermangel. Wo Vögel einst zuverlässig Seen und Flüsse vorfanden, stoßen sie nun auf ausgetrocknete Flußbetten oder Sumpfgebiete, die sich auf dem Weg zur Verkarstung befinden.

Die Schäden der diesjährigen Hitzewelle wiegen um so schwerer, weil Indien bereits im vergangenen Jahr von einer Dürre heimgesucht wurde. Das zehrt an der ökonomischen Basis von Millionen Kleinbauern, von denen einige ihr Vieh und Arbeitswerkzeug verkaufen mußten, um zu überleben.

Frei nach dem ökonomischen, faktisch allerdings nackte Erpressung verharmlosenden Leitsatz, daß ein Angebot um so wertvoller wird, je größer die Nachfrage, gehen manche Händler von Wasser, Essen, Futtermittel, Transportfahrzeugen als Gewinner aus der Krise hervor. Für Börsenspekulanten sind Naturkatastrophen in der Regel eine gute Nachricht - sofern sie rechtzeitig Future Bonds oder andere Wertpapiere für Reis, Weizen, Mais oder andere Nahrungs- bzw. Futtermittel erworben haben.

Gegenwärtig scheinen sich die Preise für Grundnahrungsmittel stabilisiert zu haben, wie einem aktuellen Bericht der "International Business Times" [2] zu entnehmen ist. Verläßliche Prognosen über Ernteverluste aufgrund der Dürre liegen noch nicht vor. Ob die indische Landwirtschaft den Mangel aus sich heraus ausgleichen kann, ist fraglich. Man muß damit rechnen, daß das Land verstärkt auf dem Weltmarkt einkauft, was wiederum Folgen für andere Weltregionen hat. Bei der Preisexplosion für Lebensmittel vor zwei Jahren trafen mehrere Faktoren zusammen: Dürre in wichtigen landwirtschaftlichen Produktionsgebieten, wachsender Agrospritbedarf in den USA und der EU, Suche der Investoren nach Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital. Alle drei Faktoren haben ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren, sieht man einmal davon ab, daß die Europäische Union ihre Agrospritpolitik überarbeitet. Eine globale Preisexplosion für Lebensmittel scheint jederzeit möglich.


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Anmerkungen:

[1] "Hundreds die in Indian heatwave", The Guardian, 30. Mai 2010
http://www.guardian.co.uk/world/2010/may/30/india-heatwave-deaths

[2] "India's food grains prices remain steady", International Business Times, 1. Juni 2010
http://www.ibtimes.com/articles/26045/20100601/indiafood-grains-prices-remain-steady.htm

1. Juni 2010