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KLIMA/582: "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand" - Geoengineering als Antwort auf COP 21? (SB)


Klimaschutz - Forscher wollen den Bock zum Gärtner machen

Ist der Klimawandel schon so fortgeschritten, daß nur noch schnellwirksame Manipulationen das Schlimmste verhindern können?


Achten Sie darauf, manche der Anwesenden befürworten Geoengineering und begründen das damit, daß es doch besser sei, wenn die Wissenschaft vorbereitet ist, sollte die Verzweiflung der Menschen über die Folgen des Klimawandels weiter wachsen und der Ruf nach einer Lösung erschallen. Das sagte sinngemäß ein Philosoph und Geoengineering-Experte der Christian-Albrechts-Universität Kiel am Rande der "Climate Engineering Conference 2014 - Critical Global Discussions" gegenüber dem Schattenblick. Und tatsächlich sollte diese vom Potsdamer IASS (Institute for Advanced Sustainability Studies) veranstaltete, bis dahin größte internationale Konferenz zum Geoengineering bzw. Climate Engineering zeigen, wie verbreitet jene Einstellung ist. [1]

Auch wenn die Teilnehmenden der Konferenz eine in sich ausdifferenzierte Spanne an Standpunkten hinsichtlich des umstrittenen Themas der gezielten Klimamanipulation einnahmen, schälte sich im Verlauf der Konferenz tatsächlich heraus, daß nicht das IASS-Organisationsteam, wohl aber eine Reihe der Gäste aus dem In- und Ausland Geoengineering befürworten - wenn auch manchmal mit dem Zusatz, daß ihnen das Magenschmerzen bereite.

Daß wiederum die Ergebnisse des im Dezember vereinbarten "Pariser Abkommens" [2] manchen Wissenschaftlern Magenschmerzen bereiten und darüber die Verzweiflung wächst, ist nachvollziehbar. Denn der weitgehend unverbindliche Beschluß der COP 21 (21. Conference of the Parties), ab dem Jahr 2020 Maßnahmen zur Klimawandelvermeidung und -anpassung vorzunehmen und diese den Nationalstaaten zu überlassen, wird auf absehbare Zeit nicht mal annähernd zur erforderlichen Reduktion von Treibhausgasen führen, um die globale Erwärmung aufzuhalten.

Aus diesem Grund erklärte jetzt eine Gruppe von elf Forschern aus den USA, Kanada und UK in einem gemeinsamen Brief an die britische Zeitung "Independent" [3], daß die Erderwärmung nur noch durch einen "gewaltigen Schub" in Richtung der "kontroversen und weitgehend ungetesteten Geoengineering-Technologien" aufgehalten werden kann.

Das Abkommen von Paris weise "tödliche Mängel" auf; es erwecke den Anschein, daß die globale Erwärmung endlich angemessen in Angriff genommen werde, obschon doch die Beschlüsse viel zu kurz griffen, als daß mit ihnen ein davongaloppierender Klimawandel noch zu stoppen sei. Es seien extremere Maßnahmen notwendig, die sofortige Wirkung entfalten würden, zum Beispiel ein sofortiger Einschnitt bei der weltweiten Produktion von Treibhausgasemissionen. Die seien jedoch im vergangenen Jahr lediglich um rund ein Prozent zurückgegangen, was nie und nimmer genüge.

"Das hohle Hurrageschrei zum Abschluß des Pariser Abkommens hat wieder einmal bewiesen, daß die Leute hören, was sie hören wollen, und den Rest vernachlässigen. Sie haben die tödlichen Mängel nicht beachtet, die direkt unter der Oberfläche des Erfolgs liegen", schrieben die Akademiker laut dem "Independent". "Die Leute wollten hören, daß ein Abkommen zum Klimawandel erreicht wurde, das die Welt retten würde, ohne ihren Lebensstil und ihre Wünsche anzutasten. Die vorgeschlagene Lösung besteht darin, keinen dringenden Mechanismen zu sofortigen Emissionseinschnitten zuzustimmen, sondern das Problem weiter vor sich herzuschieben."

Die Unterzeichner des Briefs streiten nicht ab, daß es bereits ein großer diplomatischer Erfolg des Klimagipfels war, 195 Staats- und Regierungschefs dazu zu bringen, einem Abkommen zuzustimmen, das eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 bis 2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zum Ziel hat. Aber die von den Vertragsstaaten vorgelegten Klimaschutzbeiträge (INDCs, Intended Nationally Determined Contributions) fielen viel zu schwach aus und seien darüber hinaus auch gar nicht bindend.

Wenn man erst ab dem Jahr 2020 mit dem Klimaschutz anfange, werden bis dahin noch große Mengen an Kohlendioxidemissionen produziert, so daß sich die Ausgangslage weiter verschlechtere, warnen die Forscher. Sie erinnern daran, daß das Eis in der Arktis bereits schmilzt und die Gefahr besteht, daß sich gefrorene Methanhydrate vom Meeresboden lösen, die die "nächste Phase des katastrophal intensiven Klimawandels ankündigen". Das werde unsere Zivilisation nicht überleben.

Die Zeit des Wunschdenkens, das die Debatte zum Klimawandel bis jetzt charakterisiert habe, sei vorbei. "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand." Es sei an der Zeit, sich auf Geoengineering vorzubereiten, auch wenn wir dies in dem Wissen tun, daß die Erfolgschancen gering und die Risiken der Umsetzung groß sind, heißt es. Die Forscher plädieren dafür, das ganze Spektrum an Geoengineering-Methoden in Betracht zu ziehen. Dazu zählen sie die Wiederaufforstung des tropischen Regenwalds und die Eisendüngung der Meere, die künstliche Aufhellung von Wolken ebenso wie die Nachahmung vulkanischer Aktivitäten (gemeint ist die Injektion der Stratosphäre mit sonnenlichtreflektierenden Schwefeldioxidpartikeln). Es wird ausdrücklich betont, daß die Geoengineering-Aktivitäten keine Alternative zur Reduzierung von Kohlendioxidemissionen sein, sondern zusätzlich entfaltet werden sollen.

Der Brief, sofern er von der übrigen Fachwelt registriert und kommentiert wird, dürfte auf Widerspruch stoßen. Und zwar nicht wegen der Erklärung, daß das Klima an der Schwelle zu massiven Veränderungen steht - darüber ist sich der Großteil der Forschungsgemeinde einig -, sondern weil behauptet wird, daß es keine Alternative zu Geoengineering gibt.

Ausgehend von jener 2-Grad-Wegmarke oder - wie es vor allem die Entwicklungsländer fordern - der 1,5-Grad-Wegmarke wird in der Klimaforschung rückwärts gerechnet, wieviel fossile Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) nicht mehr gefördert und verbrannt werden dürfen, um ein Überschreiten jener Grenzwerte der Erderwärmung zu verhindern. Hierzu hat der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) vor zwei Jahren eine umfassende Studie (Assessment Report) herausgegeben, in der eine Reihe von Klimaszenarien beschrieben sind. Wenn man einige dieser Projektionen zur Grundlage nimmt, wäre der Zug für wirksamen Klimaschutz noch nicht abgefahren.

Den Unterzeichnern des Briefs ist gutzuhalten, daß sie den Finger in die Wunde legen und auf die gravierenden Mängel jenes Konvoluts an wohlklingenden Absichtserklärungen, das sich Abkommen von Paris nennt, aufmerksam machen. Dennoch ist ihnen entschieden zu widersprechen. Denn erstens sind sie selber dem Wunschdenken verfallen, sollten sie ernsthaft glauben, daß die Menschheit nicht sofort vom bisherigen Pfad der CO2-Einsparungen umschwenkt, sobald sich zeigt, daß das Klimaschutzziel auch mit Geoengineering erreicht werden kann. Zweitens laufen solche Geoengineering-Maßnahmen nicht auf eine Begrenzung des Wirtschaftswachstums hinaus, sondern auf seine Fortsetzung unter dem Zeichen einer planetaren Bedrohung.

Zum unhinterfragten ökonomischen Wachstumszwang, der schon heute die Voraussetzungen zur Akkumulation ungeheurer Kapitalmengen bietet, was auf der anderen Seite ungeheures Elend erzeugt - so hat fast jeder dritte Mensch keinen Zugang zu ausreichender Nahrung - käme nun der Zwang hinzu, Geoengineering betreiben zu müssen. Dann könnten sich die damit befaßten Unternehmen als Retter des Planeten ausgeben - ein besseres Geschäftsmodell ist kaum vorstellbar! Die elf Wissenschaftler wollen den Bock zum Gärtner machen.


Fußnoten:

[1] Der Schattenblick hat die mehrtägige Konferenz mit vier Berichten und 18 Interviews nach- und aufbereitet. Sie finden die Beiträge, jeweils mit dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" versehen, unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT.

[2] http://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09r01.pdf

[3] http://www.independent.co.uk/environment/climate-change/cop21-paris-deal-far-too-weak-to-prevent-devastating-climate-change-academics-warn-a6803096.html

10. Januar 2016


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