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KLIMA/591: "Negative Emissionen" - riskantes Kalkül mit Unwägbarkeiten (SB)


Ein Versuch, sich mit negativen Emissionen aus der Klimakrise zu stehlen

Fortsetzung des Geoengineerings unter anderem Namen


Der Begriff "Geoengineering" für gezielte, global wirksame Eingriffe in das Klimageschehen genießt einen ausgesprochen schlechten Ruf. Die Öffentlichkeit verbindet damit Methoden wie die umstrittene Eisendüngung der Ozeane, mit der das Algenwachstum angeregt werden soll, so daß die Pflanzen ihrer Umgebung Kohlenstoffdioxid (CO2) entziehen, oder das Injizieren der oberen Atmosphäre mit Schwefel, so daß das Sonnenlicht besser reflektiert wird und gar nicht erst die Erdoberfläche erreicht. Beide Konzepte sind mit schwerwiegenden Nebenwirkungen verbunden, so daß mit Geoengineering eher absichtliche, großmaßstäbliche Umweltkatastrophen assoziiert werden als wünschenswerte Methoden des Klimaschutzes.

Um nicht länger dem schlechten Ruf der mit Geoengineering verbundenen Methoden ausgesetzt zu sein, wird seit einigen Jahren in der Wissenschaft gern auf die vermeintlich weniger verfängliche Bezeichnung "Climate Engineering" (Klimabearbeitung) zurückgegriffen. Doch selbst das erweckt anscheinend noch zu sehr den Eindruck eines Manipulationsversuchs am Klima. Also befleißigt man sich in der Forschergemeinde vermehrt der Bezeichnung "negative Emissionen". Gemeint ist damit nichts anderes als das, was vorher schon unter Geoengineering abgehandelt worden war, denn es läuft darauf hinaus, der Atmosphäre gezielt Kohlenstoff zu entziehen.

In der Wissenschaft werden die Methoden des Geoengineerings in zwei bzw. drei Gruppen unterschieden: Beim SRM (Solar Radiation Management) wird die Einstrahlung der Sonnenenergie verringert. Hierunter fallen Konzepte wie zum Beispiel die erwähnten Schwefelinjektionen in die Atmosphäre, die Installation riesiger Spiegelflächen im Weltraum, das Anstreichen von Dächern, Straßen und anderen Flächen mit weißer, das Sonnenlicht reflektierender Farbe. Beim CDR (Carbon Dioxid Removal) wird der Atmosphäre Kohlenstoff entzogen. Neben der Eisendüngung der Meere fallen darunter beispielsweise auch Aufforstungsprogramme oder das Zerkleinern olivinhaltigen Gesteins, so daß an den Grenzflächen des Materials vermehrt Kohlenstoff chemisch gebunden werden kann. Als ein dritter Ansatz, der selten erwähnt wird, werden Konzepte entwickelt, die Rückstrahlung des eingefallenen Sonnenlichts beispielsweise durch Aufwindkraftwerke zu verstärken, das Earth Radiation Management (ERM).

"Negative Emissionen" ist ein typischer Begriff aus dem Sprachschatz der Klimatechnokraten. Beispielsweise hat diese Woche das australische Climate Institute einen Report veröffentlicht, wonach Australien dringend Technologien der negativen Emissionen einsetzen müsse, um sein Kohlenstoffbudget und seine Klimaschutzziele bis 2050 einzuhalten. [1]

Das Climate Institute schlägt dazu die Methode BECCS (bioenergy with carbon capture and storage) vor. Hierbei soll Bioenergie beispielsweise in Form von schnell wachsenden Bäumen produziert werden, die dann möglicherweise in Kraftwerken verbrannt werden, wobei der Kohlenstoff aus den Abgasen abgeschieden, verflüssigt und endgelagert wird. Rechnerisch würde der Atmosphäre auf diese Weise Kohlenstoff entzogen.

Kritiker dieses Verfahrens wenden ein, BECCS sei unausgereift, die Abscheidung und Verflüssigung von Kohlenstoff aus den Emissionen von Kraftwerken gestalte sich sehr energieaufwendig und außerdem berge die Lagerung von Kohlenstoff Sicherheitsrisiken. Kurzum, BECCS sei ein Geschäftsmodell, leiste aber keinen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz.

Wenn das vereinbarte sogenannte 2-Grad-Ziel, bei dem die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad über das vorindustrielle Niveau steigt, eingehalten werden soll, darf die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht mehr als 450 ppm (parts per million) betragen. Soll die Durchschnittstemperatur um nicht mehr als 1,5 Grad steigen, wie es die internationale Staatengemeinschaft im vergangenen Dezember mit dem UN-Klimaschutzabkommen von Paris beschlossen hat, müßte ein deutlich geringerer CO2-Wert eingehalten werden. Bereits bei dem sehr ehrgeizigen 1,5-Grad-Ziel würde das Auftreten seltener Ereignisse wie extreme Hitzewellen und die Korallenbleiche zur "neuen Normalität" werden, heißt es in dem Bericht des Climate Institute. Bei einer Erwärmung um zwei Grad jedoch würde sich die Welt regelrecht in "Neuland" wandeln. Die Risiken und die Kosten eines solchen Temperaturanstiegs seien "nicht mehr zu managen".

Was ist die Steigerung zu "Neuland" und "nicht mehr zu managen"? Diese Frage stellt sich, denn nach dem gegenwärtigen Trend der weltweiten CO2-Emissionen dürfte die globale Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts um drei bis vier Grad steigen. Anstatt beispielsweise einen fundamental anderen Kurs einzuschlagen, bei dem die auf Wachstum geeichten Produktionsverhältnisse nicht ausgespart werden dürften, suchen Wissenschaft und Politik nach technischen Lösungen und somit einer Beibehaltung des gleichen Wegs mit anderen Mitteln. Ein Ergebnis dessen ist die "grüne Ökonomie", zu der auch BECCS gerechnet wird. Die Not wird selbst dann noch zu einem Geschäftsmodell erklärt, wenn zu befürchten ist, daß dadurch neue Probleme in die Welt gesetzt werden.

"Negative Emissionen" sind die große Ausrede von Zeitgenossen, die einräumen, daß zwar voraussichtlich das Zwei-Grad-Ziel im Laufe dieses Jahrhunderts überschritten wird, aber zugleich behaupten, daß das nichts ausmache, wenn nur gegen Ende des Jahrhunderts die Emissionen negativ seien, indem der Atmosphäre wieder Kohlenstoff entzogen wird. Bei dieser beschönigenden Vorstellung wird mit Kräften gespielt, die per Definition als unberechenbar gelten und als Kipp-Elemente oder Kipp-Punkte bezeichnet werden. Damit wird ein Effekt beschrieben, wonach bei Überschreiten einer bestimmten Grenze eine sich selbst verstärkende Dynamik in einem Natursystem ausgelöst wird, die nicht mehr aufzuhalten ist und erst endet, wenn ein gänzlich anderes Niveau erreicht ist.

Ein typisches Beispiel hierfür ist der Rückgang des arktischen Meereises, der zur Erwärmung beiträgt, die wiederum den Rückgang verstärkt, usw. Oder auch die Versauerung der Ozeane, die "ein Nebenprodukt der Erderwärmung ist" und die man "möglicherweise über Jahrtausende nicht mehr umkehren kann, selbst wenn wir den überschüssigen Kohlenstoff aus der Atmosphäre entfernen würden", wie der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Prof. Hans Joachim Schellnhuber, im Schattenblick-Interview sagte. [2] Mit der Vorstellung von "negativen Emissionen" würde eine Ausrede geschaffen, um so weiterzumachen wie bisher und darauf zu hoffen, daß man später mit Geoengineering-Maßnahmen einen Schwenk vollziehen könne.

Eben das wird nicht mehr möglich sein, sobald bestimmte Kipp-Punkte überschritten wurden. Das Konzept der "negativen Emissionen" erweist sich als alter Wein in neuen Schläuchen - und der ist schon ziemlich vergoren, so daß er sauer aufstößt, wollte man ihn konsumieren.


Fußnoten:

[1] http://www.climateinstitute.org.au/verve/_resources/ClimateAnalytics_Report_FINAL_23082016.pdf

[2] http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0050.html

26. August 2016


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