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KLIMA/611: Wenn das Meer steigt, bieten Korallenriffe doppelten Schutz (SB)


Weitere negative Folgen des Korallensterbens untersucht


Der Begriff "Klimawandel" vermag nur unzureichend zu beschreiben, zu welchen Veränderungen es innerhalb der sogenannten Natursysteme kommt, wenn sich die Erde weiter erwärmt. Nach Einschätzung der großen Mehrheit in der Wissenschaft sind es die Treibhausgasemissionen des Menschen, die gegenwärtig eine Beschleunigung verschiedener, seine Überlebensvoraussetzungen gefährdender Vorgänge in Luft, Wasser und Boden auslösen. So ist bekannt, daß den Korallen nicht genügend Zeit gelassen wird, sich an die rasche Veränderung der Meere anzupassen. Deren allgemeine Versauerung, örtliche Belastungen mit industriellen Abfallstoffen (u.a. aus dem Kohleabbau) und andere menschliche Aktivitäten setzen den Nesseltieren zu. Im Laufe der Erdgeschichte waren die Ozeane schon mal sehr viel saurer gewesen als heute, aber da konnten sich die Korallen, Kieselalgen, Muscheln und andere Lebewesen der sich nur allmählich verändernden Umwelt anpassen.

Die Folgen des gegenwärtig weltweit zu beobachtenden Korallensterbens sind umfangreicher, als man sich das bislang vorgestellt hat. Korallenriffe bieten nicht nur Lebensraum und Schutz für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten des Meeres, sie sind auch ein natürlicher Küstenschutz für viele Inseln und flache Küstengebiete. Und das in einem viel umfassenderen Maße, als man es sich bislang vorgestellt hat. So berichtet eine Forschergruppe des US-amerikanischen Geologischen Dienstes in der Online-Ausgabe des Journals "Biogeosciences" [1], daß in Folge des Absterbens von Korallenbänken große Mengen an Meeresboden weggeschwemmt werden.

Man habe zwar gewußt, daß abgestorbene Korallenriffe degradiert werden, aber bis jetzt nicht sagen können, wie sehr der Vorgang voranschreitet, berichtete Studienleiterin Kimberly Yates. Noch viel weniger habe die Forschergruppe darüber gewußt, daß davon auch der übrige Meeresboden betroffen ist.

Korallen bilden Riffe. Die abgestorbenen, kalkhaltigen Körper lösen sich teilweise auf und werden irgendwann zu Meeresboden, der dann von späteren Generationen abgestorbener Korallen bedeckt wird. Nach oben hin, Richtung Meeresoberfläche, wachsen die neuen Korallen auf den Skeletten der Verstorbenen auf, so daß nach und nach die größten je von Lebewesen gebauten Strukturen entstehen. Das Wachstum der Korallenriffe hält mit dem gegenwärtigen Anstieg des Meeresspiegels mit.

Wenn Korallen nicht ständig Meeresboden nachliefern, kann dieser nach und nach abgetragen werden. Nun liegen Berechnungen dazu vor, wie groß dieser Faktor ist. Am Beispiel von drei Untersuchungsgebieten - Florida, Hawaii und Virgin Island - und mit Rückgriff auf Daten, die teilweise bis in die 1930er Jahre zurückreichen, in denen bereits die Höhe des Meeresbodens in der Nähe von Korallenriffen ausgemessen worden war, stellte die Forschergruppe einen Meeresbodenverlust von in der Regel zwischen 10 und 75 cm fest; stellenweise lag er sogar mehr als vier Meter tiefer.

Mit Blick auf den Küstenschutz kann das regional enorme Konsequenzen haben. Wenn der inzwischen pro Jahr um 3 Millimeter steigende Meeresspiegel bereits zu spürbaren Landverlusten im Laufe des vergangenen und dieses Jahrhunderts beigetragen hat, so verstärkt das Korallensterben diesen Effekt nochmals. Denn je steiler das Gefälle zwischen Landfläche und Meeresboden, um so stärker treten Erosionseffekte auf. Vor allem aber treffen Wellen mit größerer Wucht auf Land und erodieren die Küste deutlich stärker, wenn ein Meeresboden nicht mehr flach, sondern zunehmend steiler abfällt. Hinzu kommt in vielen Gebieten, daß die Riffe einen natürlichen, mechanischen Küstenschutz bilden.

Durch das Verbrennen über Jahrmillionen entstandener fossiler Kohlenwasserstoffe, die zu "Energieträgern" erklärt wurden und zum wesentlichen Antriebs- und Schmiermittel der industriellen Revolution gerieten, setzt der Mensch seine eigenen Überlebensvoraussetzungen aufs Spiel. Es hätte dieser Studie nicht bedurft, um festzustellen, daß die Forderungen unter anderem der kleinen, flachen Inselstaaten, von denen einige auch auf Korallenriffen aufgebaut sind, nach einer deutlichen Reduzierung von Treibhausgasemissionen legitim sind und daß die sogenannte 2-Grad-Leitplanke, die als Orientierungsmarke im UN-Klimaschutzabkommen von Paris genannt wird und von den Unterzeichnerstaaten "möglichst" deutlich unterschritten werden soll, den Untergang vieler Siedlungsgebiete bedeutet.

Die Untersuchung zum umfangreichen Verlust von Meeresboden in Folge des Korallensterbens zeigt, wie komplex und zumindest teilweise noch völlig unverstanden und daher überraschend manche Prozesse sind, die mit dem Klimawandel einhergehen.


Fußnote:

[1] http://www.biogeosciences.net/14/1739/2017/

21. April 2017


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