Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


KLIMA/653: CO2 - zerrissene Nahrungskette ... (SB)


"Der stumme Frühling" titelte Rachel Carson 1962 ihr Buch, das den Verlust von Singvögeln in Folge des Einsatzes von DDT beschreibt. Das Insektizid wurde längst verboten, das Vogelgezwitscher ist zurückgekehrt, doch vor allem in den letzten Jahren scheint eine Neuauflage des stummen Frühlings einzutreten. Die handelt nicht nur von Landvögeln, denen es an Insekten und Habitaten mangelt, sondern auch von Seevögeln.

Einst lebten auf den Shetlandinseln zig Tausende Seevögel unterschiedlichster Arten. In diesem Frühjahr jedoch hat ein bereits seit Jahren beobachteter Trend des Populationsschwunds seinen vorläufigen Höhepunkt erfahren. Statt schrillem Gekreisch herrscht Schweigen auf dem Vogelfelsen an der Südspitze Shetlands, Sumburgh Head genannt. Nur eine Handvoll Vögel nistet hier in einem Gebiet, das einmal zu den größten Nistplätzen für Seevögel in ganz Großbritannien zählte, berichtete die britische Zeitung "The Observer" [1]. Nahrungsmangel gilt als Hauptursache des Vogelrückgangs, dem wiederum das Ausbleiben der Fische vorausging. Die waren auf Plankton angewiesen, das aufgrund des Klimawandels ebenfalls abgenommen hat.


Einander zugewandt stehen zwei der Vögel auf einem Stückchen Rasen an einer Felskante - Foto: Tuluqaruk, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de]

Papageientaucher von Sumburgh Head, Shetland
Foto: Tuluqaruk, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de]

Papageientaucher, Lummen, Tordalks, Dreizehenmöven, Eissturmvögel und andere Seevögel nisten regelmäßig auf den hundert Meter hohen Klippen, auf deren Spitze ein Leuchtturm steht. Der Vogelschwund ist dramatisch. Euan Dunn, leitender Fachreferent bei der Königlichen Gesellschaft für Vogelschutz RSPB (Royal Society for the Protection of Birds) spricht sogar von "apokalyptischen Zahlen". So etwas sei in dieser Gegend in der ganzen Geschichte der Ornithologie nicht vorgekommen. Der "Observer" vermeldet:

- Die Zahl der Papageientaucher auf Shetland ist von 33.000 Exemplaren im Frühjahr 2000 auf 570 im letzten Jahr gesunken.

- 1981 gab es auf den Shetlandinseln mehr als 55.000 Dreizehenmöven. 2011 waren es nur noch 5.000. Vogelbeobachter gehen davon aus, daß in den letzten Jahren die Bestände weiter abgenommen haben.

- Laut Helen Moncrieff, Leiterin des schottischen Büros der RSPB in Shetland, waren bei der letzten Seevogelzählung im Jahr 2000 an den Standorten Dalsetter und Troswick rund 9.000 Küstenseeschwalben gezählt worden. Aktuell lebten dort rund 110 Exemplare.

- Auf St. Kilda, einer im Nordatlantik gelegenen Inselgruppe, die zu Schottland gehört, sind die Nester der Dreizehenmöven seit 1990 um 99 Prozent zurückgegangen. Vor zwei Jahren gab es an allen Beobachtungsstandorten nur noch ein einziges Brutpaar - und dessen Nachwuchs ist verendet.

Der Verlust an Seevögeln wird nicht nur auf der Hauptinsel der Shetlandinseln, sondern auch auf Fair Isle sowie den nicht zu dieser Inselgruppe gehörenden Farne Islands beobachtet. Wohingegen die Populationen auf den Shiantinseln der Inneren Hebriden unverändert geblieben sind. Von dort brauchen die Elterntiere nur wenige Kilometer zurückzulegen, bis sie mit einer vollen Ladung Fisch zu ihren Jungen heimkehren. Ganz anders dagegen das Bild auf den Shetlandinseln. Einer Untersuchung zufolge ist ein Papageientaucher mehr als 400 Kilometer geflogen, bis er genügend Fische für seine Jungen gesammelt hatte.

Nahrungsmangel der Tiere gilt als Hauptursache des Schwunds an Seevögeln, wobei frühere Untersuchungen in anderen Weltregionen gezeigt haben, daß die Mägen vieler verendeter Seevögel Plastikteile enthielten. Wenn im Magen der Platz besetzt ist, können die Tiere nicht so viel Nahrung aufnehmen und verrecken allmählich; womöglich verschließen Plastikteile sogar den Magenausgang, dann tritt der Tod schneller ein. Im Falle Shetlands hat die Erwärmung von Nordsee und Nordatlantik zur Folge, daß in jener Zeit, in der Sandaale ihre Larven produzieren, weniger Plankton zur Verfügung steht. Dadurch verkümmern die Larven oder sterben - und Seevögel, die sich von den Larven ernähren, haben das Nachsehen.

Somit löst die globale Erwärmung, die auf die CO2-Emissionen des Menschen zurückgeht, ganze Kaskaden von Effekten aus, deren Folgen kaum auszuloten sind. Der Verlust an Seevögeln steht hier beispielhaft für die Folgen, die der Klimawandel und die Ausbreitung des Menschen über den gesamten Planeten mit sich bringt. Die Wissenschaft spricht bereits vom sechsten Massensterben der Erdgeschichte, das gegenwärtig stattfindet und wesentlich durch menschliche Aktivitäten ausgelöst wird. Indes ist nicht erkennbar, daß die politischen Entscheidungsträger im ausreichenden Umfang und in der notwendigen Geschwindigkeit Maßnahmen ergreifen, um den Klimawandel, das Artensterben und den Verlust an Habitaten zu stoppen.


Panorama der dicht begrünten, zum Meer hin felsig abfallenden Südspitze Shetlands - Foto: michael clarke stuff, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Sumburgh Head
Foto: michael clarke stuff, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]


Fußnote:


[1] https://www.theguardian.com/environment/2018/jun/03/shetland-seabirds-climate-change-catastrophe-terns-kittiwakes-puffins


4. Juni 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang