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KLIMA/702: Klimanotstand - ungewürdigt ... (SB)



"Klimanotstand" auszurufen, wird Mode. Im Februar die Stadt Basel, gestern das britische Parlament, demnächst vielleicht Nordrhein-Westfalen. Doch angesichts des gegenwärtig ablaufenden Klimanotstands innerhalb der Natursysteme handelt es sich bei solchen Erklärungen solange um Symbolpolitik, wie den Worten keine Taten folgen, die aus der Sache heraus durchaus weh tun könnten. Klimanotstand, das bedeutet: Deutschland muß nicht ab morgen, sondern ab sofort seine jährlichen CO2-Emissionen um sechs Prozent senken, um bis zum Jahr 2035 auf netto null Emissionen zu kommen. Ansonsten würde es das Klimaschutzziel von Paris verfehlen.

Klimanotstand, das sind in Deutschland die Braunkohlekraftwerke, die weiterbetrieben werden, obwohl sie gewaltige Mengen an Treibhausgasen emittieren; das ist auch der Autoverkehr, der auf Elektromobilität umgestellt wird, anstatt den bereits elektrisch betriebenen Nah- und Fernverkehr auszubauen; das sind die Flugzeuge, deren Treibstoff steuerlich begünstigt wird, und vieles mehr.

Für ein Land wie Mosambik ist der Klimanotstand keine Attitüde, die sich abfeiern läßt, sondern es muß den Notstand ausrufen, weil die Klimawandelfolgen ihm zwei verheerende tropische Stürme und weitreichende Überschwemmungen binnen kurzer Zeit beschert haben. Etwas weiter nördlich mußte Kenias Regierung den Notstand ausrufen, weil es an Wasser mangelt und Mensch und Vieh verdursten. In Teilen Kanadas, das wie nur wenige andere Länder auf der Erde umfassende Geschäfte mit fossilen Energieträgern betreibt, mußte wegen Überschwemmungen der Notstand ausgerufen werden. Jedes dieser und zahlloser weitere Einzelereignisse mehr beweisen nicht den Klimawandel, sondern stellen für sich genommen Wetterphänomene dar. Doch in der Summe der Ereignisse spiegeln sich Trends wider, die an Deutlichkeit nichts missen lassen: Klimanotstand herrscht bereits, er muß nicht ausgerufen werden.

Mit dem vielstimmigen Ausrufen des Klimanotstands dagegen, so der Eindruck, will man vor allem eines erreichen, nämlich der vermeintlich rebellischen Jugend, die sich in Bewegungen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion engagiert, die Zähne und Klauen ziehen, noch bevor sich diese entwickelt haben. Denn das könnten sie, sobald die Protestierenden mit ihren vielfältigen Aktionen zivilen Ungehorsams feststellen, daß all das nicht genügt, um verkrustete Strukturen aufzubrechen und die trägen Massen in Bewegung zu setzen. Oder um sich gegenüber jenen Kräften zu behaupten, die den Klimawandel leugnen und sichtlich an gesellschaftlichem Einfluß gewinnen.

Zähne und Klauen könnten auch dann zum Vorschein kommen, wenn jene Bewegungen feststellen, daß das Ausrufen des Notstands noch lange nicht bedeutet, daß sich die Politikerinnen und Politiker so verhalten wie die Menschen in Mosambik, denen das Wasser bis zum Hals steht, oder wie in Nordkenia, die jeden Tag viele Kilometer bis zur nächsten Wasserstelle und wieder zurück zu gehen gezwungen sind.

Das gegenwärtig bevorzugte neoliberale Wirtschaftsmodell ermöglicht es sogar einzelnen, als Gewinner aus dem Klimanotstand hervorzugehen, indem sie Elektroautos, Windparks, Photovoltaikanlagen, etc. produzieren und den Eindruck erwecken, als sei damit die globale Erwärmung abzuwenden. Die Anlagen werden sogar bis nach Kenia verkauft. So sichert man sich auch noch die technologische Führerschaft in Weltregionen, denen eine "nachholende" Entwicklung zugestanden wird. Anders gesagt, sie sollen wie eh und je hinterherlaufen.

"System change - not climate change" steht es hier und da bei Klimaschutzdemonstrationen auf Plakaten und Bannern. Damit ist nicht der Fahrspurwechsel gemeint, wie ihn beispielsweise die deutsche Regierung betreibt, indem sie sich mit der Energiewende bis Mitte des Jahrhunderts Zeit läßt, sondern ein Systemwechsel: Weg von der profitgetriebenen Produktionsweise, aber auch weg von staatsdirigistischen Konzepten, mit denen der Extraktivismus auf die Spitze getrieben wird. Auf eine Zukunft zu, von der man noch nicht so genau weiß, wie sie aussehen wird, aber von der man sehr wohl weiß, wie sie auf keinen Fall aussehen soll.

2. Mai 2019


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