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KLIMA/712: Land unter - kontraproduktiv ... (SB)



In den nächsten zehn Jahren entscheidet sich, ob das Mindestziel des Übereinkommens von Paris zum Klimaschutz noch eingehalten werden und die globale Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt werden kann. Möglicherweise verkürzt sich diese Frist nochmals um einige Jahre, wenn das Wunschziel der Unterzeichnerstaaten jenes "Paris Accord" hinsichtlich einer Erwärmung von unter 1,5 Grad erfüllt werden soll. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die menschenverursachten Treibhausgase auf der Nord- oder Südhalbkugel, im Osten oder Westen emittiert werden. Denn die Gase durchmischen sich in der Atmosphäre sehr schnell, was zur Folge hat, daß die Industriestaaten als die Hauptemittenten die von ihnen bewirkte Not nicht selber tragen müssen, sondern auf die ärmeren Staaten abwälzen können. Der Klimawandel verschärft die ökonomische Diskrepanz in der sogenannten internationalen Staatengemeinschaft.

Wenn also die deutsche Regierung plant, noch fast zwei Jahrzehnte lang Braunkohle abzubauen und Kohlekraftwerke weiterzubetreiben, deren Emissionen das Klima anheizen, dann verhält sie sich genauso feindselig gegenüber jenen Staaten, die am heftigsten vom Klimawandel getroffen werden, wie beispielsweise Australien, das ebenfalls an der Kohleverstromung festhält.

Die australische Energiepolitik war auf dem letzten Treffen des Pacific Island Forums (PIF) Mitte August in Tuvalu Anlaß intensiver Debatten. Der Gastgeber und gegenwärtige PIF-Vorsitzende Enele Sopoaga, Premierminister des Inselstaats Tuvalu, bezeichnete laut dem "Guardian" [1] die Gespräche als "ein sehr, sehr hartes, schwieriges Ringen". Aus der Diplomatensprache in Klartext übersetzt bedeutet das wohl, daß das Treffen eine Katastrophe war.

Australien will sich nicht auf konkrete politische Maßnahmen festlegen lassen, und so enthält die gemeinsame Abschlußerklärung die Einschränkung, daß nicht alle Länder die kürzlich abgegebene Stellungnahme der pazifischen Inselstaaten unterstützen, in der ein Verbot des Baus von Kohlekraftwerken und des Aufschlusses neuer Kohleminen sowie eines raschen Ausstiegs aus der Kohleverstromung weltweit gefordert wird. Zudem wurde offenbar auf Drängen Australiens in der Abschlußerklärung die Formulierung "Klimawandelkrise" durch das weniger scharfe Wort "Klimwandelrealität" ersetzt.

An dem pazifischen Inselforum hatte auch der australische Premierminister Scott Morrison von der wirtschaftsfreundlichen Liberal Party of Australia teilgenommen. Wie der "Guardian" berichtete, hatte der Politiker bei einer Parlamentsrede im Jahr 2017, als er noch Schatzkanzler war, die Opposition verspottet, indem er unter dem tumben Gejohle der Abgeordneten seiner Partei ein Stück Kohle hochhielt und erklärte: "Das ist Kohle. Habt keine Angst, fürchtet euch nicht. Sie wird euch nichts tun. Es ist Kohle."

Vielleicht hätte er diese Inszenierung auf dem Treffen in Tuvalu wiederholen sollen, denn dort saßen die Regierungschefs der kleinen Inselstaaten, denen das Wasser bald bis zum Hals stehen wird. Der weltweite Meeresspiegel, der um 3,0 bis 3,2 Millimeter jährlich steigt, erlebt zur Zeit einen exponentiellen Anstieg und könnte gegen Ende des Jahrhunderts einen Meter höher liegen als heute. Ganze Staaten werden von der Landkarte verschwinden. Manchen wissenschaftlichen Berechnungen zufolge wird der Anstieg sogar mehrere Meter betragen. Bekräftigt wird diese Annahme durch Ereignisse bzw. Phänomene wie den außergewöhnlich warmen Sommer 2019 in der Arktis, die Auflösung des isländischen Gletschers Okjökull sowie die gewaltigen Eismassenverluste von Grönland und der Antarktis.

Australien will im Galilee-Becken des Bundesstaats Queensland die Carmichael-Kohlemine eröffnen. Die Treibhausgasemissionen aus der dort geförderten Kohle würden den jährlichen Treibhausgasemissionen ganzer Länder wie Österreich oder Malaysia entsprechen. Abgesehen vom Treibhausgaspotential der Kohle gefährdet der Abbau und Transport dieses fossilen Energieträgers die Korallen des Great Barrier Reefs unmittelbar und mittelbar. Ersteres, weil hier in großer Nähe zu diesem einzigartigen Weltnaturerbe Bergbauindustrie betrieben wird. Dazu gehört dann auch ein enormer Schiffsverkehr quer durch die Korallenbänke. Letzteres, weil die Kohlendioxidemissionen aus der Kohleverbrennung die Versauerung der Ozeane verstärken. Den Korallen bleibt nicht genügend Zeit, sich den verändernden Verhältnissen rechtzeitig anzupassen, so daß sie absterben. Das ist auch ein Grund dafür, warum sich die Tourismuswirtschaft Australiens gegen die Eröffnung der Carmichael-Mine ausspricht.

Hätte Morrison vor zwei Jahren bei seiner Parlamentsrede eine Bleikugel hochgehalten und gesagt, hey Leute, das sind nur fünf Gramm Blei, habt keine Angst, wäre die Perfidie offenkundig gewesen. Eine Bleikugel kann töten, wenn sie von einer entsprechend ausgestatteten Apparatur abgefeuert wird. Auch Kohle tötet Menschen, wenn sie verfeuert wird. Ein Stück Kohle ist nur ein Symbol. Aber das steht für eine riesige Industrie. Die Abgase aus der Kohleverbrennung verstärken die Klimawandelfolgen wie zum Beispiel die Intensität von Wirbelstürmen, die Häufigkeit und Schwere von Dürren und umgekehrt von Überschwemmungen. Die Kohleverbrennung trägt dazu bei, daß die Gletscher Südamerikas und Zentralasiens nach und nach verschwinden und Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen ihren Zugang zu Trinkwasser verlieren könnten.

Ein einziges Stück Kohle ist nicht gefährlich, wohl aber ein Mensch wie Scott Morrison, der um des eigenen Vorteils willen Kohle fördern läßt und darüber lacht, wenn andere über ihren Tellerrand hinausblicken.


Fußnote:

[1] https://www.theguardian.com/world/2019/aug/15/australia-waters-down-pacific-islands-plea-on-climate-crisis

19. August 2019


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