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KLIMA/715: Agrar - landwirtschaftliche Nachteile zu erwarten ... (SB)



Die agroklimatischen Zonen Europas werden sich in Folge der globalen Erwärmung schneller nach Norden verschieben als in den zurückliegenden Jahrzehnten, heißt es in einer aktuellen wissenschaftlichen Studie der EU-Kommission. Dieser Trend habe Einfluß auf die landwirtschaftliche Produktion. Die Vorteile eines wärmeren Klimas werden durch andere Faktoren wie Hitzeperioden und Dürren wieder zunichte gemacht, heißt es in dem Journal "Earth´s Future" der American Geophysical Union [1].

In Europa ist es in den letzten 40 Jahren wärmer geworden. Das hat zu einer Verlängerung der Wachstumszeiten der Pflanzen geführt. Auch wenn sich die Arten sehr unterschiedlich entwickeln, kann man generell davon sprechen, daß sogenannte Nutzpflanzen wie Kräuter, Getreide und Obstbäume früher anfangen zu blühen und eine längere Zeit zur Verfügung haben, um Reife zu entwickeln. Das heißt, auch "Spätzünder" einer bestimmten Pflanzenart haben noch die Chance, ihr Reifestadium zu erreichen.

Trotz dieser Ausdehnung der Reifezeit in Folge gestiegener Temperaturen habe sich der Anbauzyklus verkürzt, schreibt die Gruppe um Andrej Ceglar vom Forschungszentrum European Commission - Joint Research Centre (JRC) in Ispra, Italien. Der Grund für die Verkürzung sind eben jene Hitzeperioden, die in Südeuropa früher im Jahr einsetzen und häufiger auftreten.

Selbstverständlich sind innerhalb Europas nicht alle Regionen auf gleiche Weise von den Trends betroffen. Klimatisch ist Westeuropa maritim, der Süden mediterran und der Osten kontinental geprägt. Man hat es also mit sehr verschiedenen Klimate, Wachstumszeiten der Vegetation und natürlich landwirtschaftlichen Praktiken zu tun. Üblicherweise würde in Nordnorwegen kein Wein angebaut und in Süditalien kein Fichtenwald aufgeforstet. Kartoffeln bevorzugen die Böden Osteuropas, Mais und Kohl die feuchteren Böden des Westens. Obst braucht eine ausgeglichene, vergleichsweise hohe Sonneneinstrahlung, Weizen, Roggen und Gerste lassen sich dagegen an vielen Standorten hochziehen.

Ungeachtet dieser Differenzierung lassen sich allgemeine Trends erkennen und in verschiedenen Szenarien in die Zukunft projizieren. Das wurde in der Studie versucht. Zwischen 1975 und 2016 haben sich die agroklimatischen Zonen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 Kilometer pro Dekade nach Norden verschoben. In den nächsten zwei, drei Jahrzehnten werde sich das Tempo verdoppeln, schreiben die Forscher aufgrund einer Computersimulation (das sogenannte Emissionsszenario RCP8.5), für das zugrunde gelegt wurde, daß die globale Erwärmung dann bereits um zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit gestiegen sein wird.

Von dieser Entwicklung wird zwar Nordeuropa profitieren, Südeuropa sich jedoch Nachteile einhandeln. Zugleich machte die Forschergruppe einen Trend aus, wonach das kontinentale Klima beispielsweise in Teilen Deutschlands durch maritimes Klima, das allmählich von West nach Ost wandert, ersetzt wird.

Generell wird der landwirtschaftliche Anbau in fast allen Regionen Europas einem stärkeren Wasserstreß ausgesetzt, berichten die Forscher, die zwar beim Abfassen ihrer Studie bereits die extreme Dürre im vergangenen Jahr in weiten Teilen Europas und darüber hinaus miterlebt haben dürften, aber entsprechende Daten noch nicht in ihre Analyse einbeziehen konnten. Wassermangel werde ein bedeutender Faktor sein, der die Vorteile aus verlängerten Wachstumszeiten wieder zurücknimmt, heißt es.

2018 war die Ernte in Europa um sechs Prozent zurückgegangen. Doch Wassermangel trat auch schon in früheren Jahren auf. Klaus-Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der Münchner Baywa, Europas größtem Händler von Agrarrohstoffen, sagte laut BR: "2018 war nicht der Ausreißer. Das ist das dritte und vierte Jahr in Folge, dass klimatische Kapriolen uns das Geschäft schwer machen." [2]

Der Ernterückgang wäre im vergangenen Jahr wohl um einiges höher ausgefallen, wenn die Bäuerinnen und Bauern ihre Felder nicht künstlich bewässert hätten. Dadurch stiegen die Energiekosten - Verluste, die sich nicht in den Zahlen zu der bloßen Erntemenge niederschlagen. Anfang Dezember 2018 waren 90 Prozent des Gesamtbodens in Deutschland von extremer Dürre betroffen. Obgleich es im Februar und März dieses Jahres überdurchschnittlich viel geregnet hat, wurde der Grundwassermangel aus dem Vorjahr nur etwa zu einem Viertel wieder ausgeglichen. Seitdem hat die Dürre wieder zugenommen, insbesondere in Folge der Hitzerekorde im Juni. Es wäre sicherlich interessant zu erfahren, ob nicht das die Berechnungen zur Geschwindigkeit, mit der die agroklimatischen Zonen nach Norden wandern, hinfällig werden läßt.

In der Regel sorgen klimatische Veränderungen zunächst einmal für geringere Ernten. Sowohl die Pflanzen als auch die Landwirtschaft, in der über die Art der angebauten Feldfrüchte entschieden werden muß, brauchen Zeit, um sich auf die neuen Bedingungen einzustellen. Generell werden Wetter und Witterung unberechenbarer.

Die Regenmenge allein ist noch kein ausreichender Maßstab, denn wenn das Wasser innerhalb weniger Stunden oder Tage vom Himmel fällt und damit die Monatsmenge erreicht wird, kann ein falscher Eindruck entstehen, würde dies undifferenziert mit früheren Jahren verglichen. Das gilt auch bei der reinen Betrachtung der Erntemengen oder darauf beruhenden Projektionen für zukünftige Entwicklungen unter bestimmten Eingangsparametern. Die Zunahme der Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Luft verändert die Vegetation. Bei Getreide wird mit einer Abnahme des Proteingehalts der Körner gerechnet, so daß beispielsweise ein Kilogramm Weizen aus dem Jahr 1990 nahrhafter ist als ein Kilogramm Weizen aus dem Jahr 2040 oder 2050. Ausgehend vom gegenwärtigen Stand der Züchtung wird der Weizen, den die heutigen Kinder verzehren werden, wenn sie erwachsen sind, weniger Proteine, Zink und Eisen enthalten. Ohne einen adäquaten Ersatz liefe das auf eine Mangelernährung und in der Folge Zunahme bestimmter Krankheiten hinaus.

Im Vergleich zu vielen anderen Weltregionen liegt Europa zur Zeit in klimatisch vorteilhaften Klimazonen. Die globale Erwärmung, angefeuert von der Verbrennung fossiler Energieträger und bestimmten industriellen Landwirtschaftspraktiken, könnte dem ein Ende bereiten.


Fußnoten:

[1] Ceglar, A., Zampieri, M., Toreti, A., & Dentener, F. (2019).
Observed northward migration of agro-climate zones in Europe will further accelerate under climate change. Earth's Future, 7.
https://doi.org/10. 1029/2019EF001178

[2] https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/duerre-2018-weltweit-30-millionen-tonnen-getreide-weniger,RMvf0aq

18. September 2019


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