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KLIMA/721: Erderwärmung - umgeleitet und zurück ... (SB)



Die weltweiten, medienwirksamen Aktionen von Bewegungen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion können den falschen Eindruck erzeugen, daß sich allmählich etwas tut in Sachen Klimaschutz. Viel entscheidender ist aber, was sich hinter den Kulissen abspielt. Beispielsweise hat die britische Regierung ein vergleichsweise großes Budget für Klimaschutz in ihrem Haushalt ausgewiesen, doch das verkommt zum Blendwerk, wenn mit diesen Geldern die fossile Energiewirtschaft gefördert wird. Jetzt wurde bekannt, daß London eine Milliarde brit. Pfund, mit der eigentlich Erneuerbare Energien gefördert werden sollten, in Argentiniens Fracking-Wirtschaft steckt. [1]

Davon profitieren Erdölkonzerne wie Shell und BP, die zu einer Branche gehören, die in den letzten zehn Jahren eine Viertel Milliarde Euro für Lobbyarbeit zur Beeinflussung der Europäischen Union ausgegeben hat, wie die Organisationen Corporate Europe Observatory, Food & Water Europe, Friends of the Earth Europe und Greenpeace herausgefunden haben. [2]

Vor fünf Jahren hatte die argentinische Regierung den Widerstand unter anderem durch die Mapuche-Indigenen gegen Fracking im Vaca Muerta, dem weltweit drittgrößten Schiefergasfeld, niedergeknüppelt und in Tränengas erstickt. Anschließend waren die Investoren angerückt, um Erdgas mittels der extrem zerstörerischen Methode des Frackings aus der Schieferformation herauszupressen. In diesem Sommer wurde das erste Flüssiggas aus Vaca Muerta exportiert.

UK Export Finance (UKEF), das für die britische Wirtschaft Exportgeschäfte mit Krediten absichert, vergleichbar mit den Hermesbürgschaften in Deutschland, hatte vor zwei Jahren eine Milliarde brit. Pfund für "Infrastruktur, grüne Energie und Gesundheitswesen" der argentinischen Wirtschaft vorgesehen, berichtete die britische Zeitung "Guardian". Entgegen den offiziellen Verlautbarungen kam aufgrund von offiziellen Dokumenten, die von der Umweltorganisation Friends of the Earth nach dem Informationsfreiheitsgesetz angefragt worden waren, heraus, daß mit den Geldern hauptsächlich größere Ölkonzerne unterstützt werden sollen.

In einem Regierungsmemo heißt es, daß Argentiniens Sektor für saubere Energien wachse, aber daß die riesigen Schiefergasressourcen das größte Potential für das Vereinigte Königreich böten. Das Dokument war im Vorfeld eines Treffens im Februar dieses Jahres zwischen dem britischen Handelsbeauftragten für Lateinamerika, dem britischen Botschafter in Argentinien und dem Energieminister Argentiniens abgefaßt worden.

Gegenüber Erdöl und Kohle galt Erdgas lange Zeit als weniger problematisch hinsichtlich seines Potentials, zur globalen Erwärmung beizutragen, und wird selbst von der EU-Kommission als Brückentechnologie bis zur angestrebten Klimaneutralität im Jahr 2050 beworben. Allerdings stellt sich inzwischen mehr und mehr heraus, daß entlang der gesamten Erdgasinfrastruktur Methan emittiert wird. Auf einen Zeithorizont von 20 Jahren bezogen kommt diesem Gas das 87fache Treibhausgaspotential von Kohlenstoffdioxid zu. Die Klimabilanz von Erdgas verschlechtert sich weiter, wenn die sehr aufwendige Fördermethode des Frackings eingesetzt wird, und sie verschlechtert sich nochmals, wenn das Erdgas unter hohem Energieeinsatz verflüssigt und damit transportfähig für den Export gemacht wird.

Erdgas ist definitiv keine "grüne" Energie, und beim Fracking wird zusätzlich noch die gashaltige Schieferschicht großflächig zerrüttet. Außerdem kann es zu Kontaminationen des Grundwassers mit Gas oder Frackfluiden kommen. Auch die Entsorgung der chemikalienbelasteten Flüssigkeiten stellt ein ökologisches Problem dar.

Die fossile Energiewirtschaft hat im Falle Argentiniens offenbar reichlich Lobbyarbeit geleistet. Jedenfalls belegen die Dokumente, die Friends of the Earth vorliegen, daß sich die britische Regierung und die Ölgesellschaften, die in Argentinien tätig sind, seit Anfang 2018 dreizehnmal getroffen haben. Man kann mit einiger Berechtigung davon ausgehen, daß dabei auch über die Exportbürgschaften der britischen Regierung für Investitionen in Argentinien gesprochen wurde.

Angesichts dessen sind sicherlich jene 251 Mio. Euro, die fünf große Öl- und Gaskonzerne sowie ihre Lobbyorganisationen seit 2010 aufgewendet haben, um in Brüssel Entscheidungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen, aus der Sicht der Unternehmen kein aus dem Fenster hinausgeworfenes Geld. Eigentlich müßte der fossilen Energiewirtschaft das Wasser bis zum Hals stehen, ziehen sich doch mehr und mehr Investoren aus ihr zurück. Das Beispiel Fracking in Argentinien verdeutlicht jedoch, daß Shell, Chevron, BP und Co. noch über einen großen Einfluß verfügen, und der beschränkt sich sicherlich nicht auf das Vereinigte Königreich.

Mit dessen Austritt aus der Europäischen Union werden sich Wirtschaft und Regierung wohl kaum strengeren Klima- und Umweltschutzauflagen unterwerfen als unter der als "Diktat von Brüssel" wahrgenommenen EU-Mitgliedschaft. Vor einigen Monaten hat das britische Parlament einstimmig den Klimanotstand erklärt. Der ist indes für die Regierung nicht bindend, also eher ein Papiertiger, solange keine Taten folgen.

Um zu vermeiden, daß die Klimasysteme global außer Rand und Band geraten, dürfen 80 bis 90 Prozent der bekannten Lagerstätten an fossilen Energieträgern nicht gefördert werden. Wer macht den ersten Schritt, solange die Wirtschaft auf Wachstum und Profit orientiert ist?


Fußnoten:

[1] https://www.theguardian.com/environment/2019/oct/22/uk-to-use-1bn-meant-for-green-energy-to-support-fracking-in-argentina

[2] tinyurl.com/yy2krqho

24. Oktober 2019


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