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KLIMA/757: Regenwald - die Säge am eigenen Ast ... (SB)



Die globale Erwärmung geht auf eine Reihe von menschlichen Einflüssen zurück, einer davon hat mit der Geringschätzung der Bäume und Wälder zu tun. Diese erfüllen - in der Sprache der Wissenschaft - wichtige "Ökosystemdienstleistungen", anders gesagt, sie sind für das Leben auf der Erde unverzichtbar.

Seit mehreren Jahrzehnten warnen Expertinnen und Experten vor dem wachsenden Waldverlust, doch politisch hat sich viel zu wenig getan. Nach 2016 und 2017 war das vergangene Jahr das waldverlustreichste der letzten mindestens zwei Dekaden. 2019 verschwand alle sechs Sekunden eine fußballfeldgroße Fläche ursprünglichen tropischen Regenwalds. Nimmt man noch den tropischen Sekundärwald hinzu, verdreifacht sich der Wert. Der Gesamtverlust belief sich im vergangenen Jahr auf 38.000 Quadratkilometer; das entspricht etwa der Fläche der Schweiz. Darüber berichteten Mikaela Weisse und ihr Team vom "Global Forest Watch" des World Resources Institute (WRI). [1]

Sie haben Satellitenaufnahmen ausgewertet und darüber den Verlust der Baumbedeckung des tropischen Regenwalds festgestellt. Ein "Verlust der Baumbedeckung" (tree cover loss) ist nicht deckungsgleich mit "Entwaldung" (deforestation) und schließt sowohl ursprünglichen Wald als auch Plantagen mit ein. Die Baumbedeckung geht zwar durch menschliche Aktivitäten verloren, aber beispielsweise auch durch natürlich entstandene Brände. Indem sich die Analyse aber auf den ursprünglichen tropischen Regenwald beschränkt hat, liefert sie ein bezeichnendes Bild für den Zustand dieser für den gesamten Planeten wichtigen Region.

Mehr als ein Drittel des Waldverlustes findet in Brasilien statt, wo zur Zeit mit Jair Bolsonaro ein ultranationalistischer, rassistischer Präsident das Sagen hat. Eng verbunden mit der Bergbau- und der Agroindustrie hat er der Abholzung des Amazonas-Regenwalds und dem Vordringen von Holzfällern in die indigenen Schutzgebiete grünes Licht erteilt. Ein Trend, der allerdings bereits unter seinem Vorgänger Michel Temer, der mittels eines kalten Putschs an die Macht gekommen war, eingesetzt hat.

Mit deutlichem Abstand zu Brasilien liegt die Demokratische Republik Kongo auf Platz zwei der Waldverluste, gefolgt von Indonesien. Auch Bolivien, an vierter Stelle der Rangfolge, erlebte im vergangenen Jahr immense Waldverluste. Sie waren 80 Prozent höher als in irgendeinem Jahr zuvor in diesem Land. So wie in Bolivien ausgedehnte Brände für Waldverluste sorgten, erfuhr auch Australien durch historisch außergewöhnlich schwere Feuersbrünste eine signifikante Verringerung seiner Waldfläche.

Gegenüber AFP drückte Weisse ihre Besorgnis aus, daß trotz der Bemühungen einzelner Länder und Unternehmen, die Waldrodungen zu reduzieren, die Geschwindigkeit, mit der die Bäume gefällt werden, nach wie vor sehr hoch ist. [2]

Dem noch nicht genug, berichteten in einer kürzlich veröffentlichten "Science"-Studie Nate McDowell vom Pacific Northwest National Laboratory und sein Team von einem weiteren Effekt: Auf der ganzen Welt sind die Bäume in den Wäldern jünger und weniger groß als früher. Als Ursache wurden die steigenden Temperaturen, die Zunahme der Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre sowie Umweltstreß und häufigere Extremwetterereignisse genannt. [3]

Ursprünglicher Regenwald mit seinen häufig weit über hundert Jahre alten Bäumen zählt zu den artenreichsten Refugien der Erde, zugleich bindet er große Mengen an Kohlenstoff. Der wird freigesetzt, wenn die Wälder in Flammen aufgehen, und trägt zur globalen Erwärmung bei. Mancher Feuerausbruch in den tropischen Regenwäldern war nicht natürlich entstanden, sondern wurde durch Unachtsamkeit oder Absicht von Menschen verursacht. Wald wird abgebrannt oder gerodet, um landwirtschaftliche Flächen zu gewinnen. Davon profitiert nicht zuletzt eine Handvoll Unternehmen, die eine hohe Rendite einfahren, weil sie für die von ihnen erzeugten Verluste nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Der Preis dafür ist hoch: Langfristige Abnahme der Biodiversität des Planeten, Reduzierung der globalen Sauerstofffreisetzung, wachsender Wassermangel innerhalb und außerhalb der Tropen, da die Wolkenbildung unterbrochen wird, Begünstigung der Entstehung von Zoonosen durch die Einengung der Lebensräume von Wildtieren.

Die oben beschriebenen Waldbedeckungsverluste entsprechen den Emissionen von 1,8 Gigatonnen Kohlenstoffdioxid. Das ist soviel wie der jährliche Ausstoß von 400 Millionen Autos. Darüber hinaus werden sich voraussichtlich gegen Mitte des Jahrhunderts die tropischen Regenwälder von Kohlenstoffsenken zu Kohlenstoffquellen wandeln, sofern nicht entschieden gegengesteuert wird. Doch wo ein Wirtschaftssystem als alternativlos angesehen wird, stehen die für manche der Waldverluste verantwortlichen Unternehmen verschiedener Branchen zwangsläufig in Konkurrenz zueinander. Aufgrund des hohen Verwertungsdrucks müssen sie laufend expandieren. Letztlich richtet sich der räuberische Umgang mit den natürlichen Ressourcen unmittelbar gegen die Lebensvoraussetzungen der Menschen und ihrer Mitwelt.


Fußnoten:

[1] https://www.wri.org/blog/2020/06/global-tree-cover-loss-data-2019

[2] https://www.terradaily.com/reports/Football_pitch_of_rainforest_destroyed_every_six_seconds_999.html

[3] https://science.sciencemag.org/content/368/6494/eaaz9463

5. Juni 2020


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