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FORSCHUNG/284: Seen in der Sahara - ein hochpräzises Umweltarchiv (DFG)


forschung 3/2008 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Seen in der Sahara

Von Stefan Kröpelin


Große Wasserflächen inmitten der Wüste sind nicht nur ein Naturspektakel, sondern auch ein hochpräzises Umweltarchiv. Die aus ihnen gewonnen Sedimente dokumentieren die Klimaentwicklung und geben Aufschluss über Staubstürme, Savannenbrände und Vulkanausbrüche. Eine Reise in den Nordosten des Tschad.

Kroepelin Seen in der Sahara - Foto © Uwe George

Abbildung 1: Foto © Uwe George



Mit dem Kanu geht es hinaus auf den Salzsee. Dort ist eine aus zwei Schlauchbooten und Holzbrettern bestehende Bohrplattform verankert, die über mehrere tausend Kilometer durch die libysche und ägyptische, dann sudanesische und tschadische Wüste bis zu ihrem Einsatzort transportiert worden ist.

Aufbruch mit dem Kanu.

Jetzt, am Nachmittag, ist der beständig wehende Passatwind etwas zur Ruhe gekommen, und die Sonne brennt weniger gleißend vom Himmel. Um sicher zu sein, in einer der windreichsten Gegenden der Sahara bei aufkommendem Sturm auch wieder an Land zu gelangen, ist die Plattform an einem 400 Meter langen Seil mit einer Palme am Ufer verbunden.

Das Wasser an der Bohrstelle ist 26 Meter tief. Die Wellen schaukeln die Boote und unsere Haut ist schnell vom überschwappenden Salzwasser mit einer weißen Schicht überzogen. Es erfordert viel Geschick und Handarbeit, den Stechzylinder in dem 35 Meter langen Bohrrohr Stück für Stück tiefer in die Ablagerungen am Seeboden hineinzudrücken und dann am schweren Gestänge Meter für Meter so vorsichtig heraufzuziehen, dass der kostbare Bohrkern nicht herausfällt. Auf diese Weise werden bis zu 9 Meter lange Sedimentkerne gewonnen, die alle eine millimeterdünne Feinschichtung auszeichnet.

Während frühere Untersuchungen an den Seeablagerungen in den ägyptischen und nordsudanesischen Wüsten die Klimageschichte der letzten Feuchtzeit in der Sahara zwischen etwa 10.000 und 1500 v. Chr. rekonstruieren konnten, existieren für die Folgezeit praktisch keine Daten. Doch diese Hinweise zum Umwelt- und Klimawandel in der größten Wüste der Erde sind von großem Wert - für Aussagen zur jüngeren Dynamik von Trockengebieten oder für Klimamodellierungen im Rahmen der "Global Change"-Programme.

Der Nordosten des Tschad, verkehrstechnisch entlegen und von einer lebensfeindlichen Umwelt geprägt, ist bis heute die unbekannteste Region der Sahara, wenn nicht ganz Afrikas; hinzu kommt die notorisch instabile Sicherheitslage im Land. Auch die Seen von Ounianga sind seit ihrer Entdeckung durch den französischen Militärgeografen Jean Tilho im frühen 20. Jahrhundert kein Feld geowissenschaftlicher Forschung gewesen. In der Hoffnung, das Geheimnis um die größten Seen der Sahara zu lüften, wurde erst Anfang 1999 in Zusammenarbeit mit Uwe George vom GEO Magazin eine fünfwöchige Expedition gestartet, die das Gesicht und "paläoklimatische Profil" der Seen von Ounianga und der angrenzenden Gebiete erkunden sollte.

Der vier Quadratkilometer große Yoa-See von Ounianga Kebir liegt inmitten der tschadischen Sahara. Regen fällt hier fast nie, während die jährliche Verdunstung einen Weltrekord von über 6000 Millimetern erreicht - etwa das 2000-fache der örtlichen Niederschläge. Die Verdunstungsverluste, die etwa dem Wasserverbrauch der Millionenstadt Köln entsprechen, werden ausschließlich durch den unterirdischen Zufluss fossilen Grundwassers ausgeglichen. Lotungen in dem äußerst salzigen Seewasser ergaben maximale Tiefen von 26 Metern.

Abbildung 3: Lagerplatz in der Sahara: Mit Expeditionsfahrzeugen und schwerem Gerät sind die Forscher in den Tschad gekommen. Abbildung 4: Daneben: Auf dem Yoa-Salzsee von Ounianga Kebir wird eine Bohrplattform verankert.

Abbildung 3: Lagerplatz in der Sahara: Mit Expeditionsfahrzeugen und schwerem Gerät sind die Forscher in den Tschad gekommen.
Abbildung 4: Daneben: Auf dem Yoa-Salzsee von Ounianga Kebir wird eine Bohrplattform verankert.


Um die Beschaffenheit der Ablagerungen am Seegrund zu bestimmen, wurde mithilfe eines an einem Drahtseil hängenden Stechzylinders eine erste Probe genommen. Der 50 Zentimeter lange Sedimentkern zeigte Millimeter dünne Schichten mit einem charakteristischen Gefüge, welches offenbar auf Winter- und Sommerphasen zurückging. Das Entstehen einer solchen Feinschichtung erfordert außergewöhnlich konstante Ablagerungsbedingungen, auch in einer Oase der Extremwüste. Die Beobachtung unterstützte die Annahme, dass der Boden des Yoa-Sees ein bis in die Gegenwart reichendes Umwelt- und Klimaarchiv vermutlich des gesamten Holozäns, also der bisher 12.000 Jahre dauernden Nacheiszeit, birgt.

Die Entdeckung dieses vollständig erhaltenen Klimaarchivs führte zu einem neuen Tschad-Projekt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 389 "Kultur- und Landschaftswandel im ariden Afrika" (ACACIA). Nach umfangreichen Vorbereitungen mit der Partnerbehörde in der tschadischen Hauptstadt N'Djaména und einer drei Monate beanspruchenden Überführung der Fahrzeuge und des Bohrgeräts von Deutschland in die Sahara begannen im Dezember 2003 die ersten Studien vor Ort. Mit einer speziellen Metallzylinder-Bohrvorrichtung konnten dabei bis zu 4,5 Meter lange Bohrkerne aus dem Seeboden geborgen werden, welche die letzten 2600 Jahre detailliert dokumentieren.

Abbildung 5: Der Boku-See, gespeist aus fossilem Grundwasser, im heute versandeten Becken von Ounianga Serir. Der Süßwassersee trotzt seit 4000 Jahren der Austrocknung. Abbildung 6: Daneben: Massive Ablagerungen aus dem frühen Holozän.

Abbildung 5: Der Boku-See, gespeist aus fossilem Grundwasser, im heute versandeten Becken von Ounianga Serir. Der Süßwassersee trotzt seit 4000 Jahren der Austrocknung.
Abbildung 6: Daneben: Massive Ablagerungen aus dem frühen Holozän.


Die sich anschließende Geländekampagne im Herbst 2004 ermöglichte mit einer 35 Meter langen Bohrvorrichtung das tiefere Eindringen in die zunehmend verfestigten Sedimente. Bei einer Wassertiefe von 26 Metern war die Grenze der Leichtbohrtechnik erreicht, und es wurden bis zu 9 Meter lange Bohrkerne gezogen, bis eine stärker verfestigte Schicht ein weiteres Vordringen verhinderte. Auch dieser lange Sedimentkern wies eine durchgehende Feinschichtung auf, welche nach Radiokarbondatierungen und Auszählungen die letzten 6000 Jahre in jahreszeitlicher Auflösung erfasst. Diese Datenbasis stellt das bisher vollständigste und genaueste Klimaarchiv der Sahara für das mittlere und späte Holozän dar.

Die laufenden Laborarbeiten, an spezialisierten Laboratorien im In- und Ausland durchgeführt, umfassen sedimentologische und geochemische Untersuchungen. Dazu gehören auch hochauflösende Bildanalysen, Alters- und Isotopenbestimmungen sowie detaillierte Auswertungen des Gehalts an pflanzlichen und tierischen Mikrofossilien. Die rund 12.000 hauchdünnen "Lagen" erlauben nicht nur lückenlose Aussagen über den Klimaverlauf und die Entwicklung der Ökosysteme des Wassers und der Erde in der Sahara. Sie liefern auch jahresgenaue Informationen über Naturereignisse wie schwere Staubstürme, Savannenbrände und Vulkanausbrüche oder über das erste Auftreten bestimmter Nutzpflanzen, zum Beispiel der Dattelpalme. Die Angaben umfassen damit das Mittel- und Spätholozän bis zu den modernen Nukleartests und kriegerischen Konflikten der Zeitgeschichte in bisher unerreichter Genauigkeit. Die Ergebnisse beleuchten auch die klimatischen und ökologischen Grundlagen für die prähistorische Siedlungsgeschichte in der Region. Vor allem aber bieten sie eine Antwort auf die Frage, ob und wie aus Bohrkernen des Meeres und des Eises abgeleitete Klimaereignisse und Klimaschwankungen Gültigkeit für den kontinentalen afrikanischen Wüstengürtel besitzen. Darüber hinaus können sie helfen, computergestützte Klimamodelle zu überprüfen und damit globale Klimaprognosen zu verbessern.

Auch die 40 Kilometer östlich von Ounianga Kebir (arabisch kebir = groß) gelegene Senke von Ounianga Serir (arabisch serir = klein) zählt mit ihren Seen zu den landschaftlich schönsten als auch wissenschaftlich interessantesten Orten der Sahara. In einer nahezu regenlosen Region ist schon die bloße Existenz dieser Seen bemerkenswert. Wie beim Yoa-See ist deren Vorhandensein nur dem permanenten Zustrom fossilen Grundwassers zu verdanken, das während der letzten Feuchtzeit aufgefüllt wurde. Gemeinsam mit Ounianga Kebir stellen die Seen Überreste des frühholozänen "Mega-Tschad"-Systems dar, des einst ausgedehntesten Binnensees der Erde. Auch wenn alle Wasserflächen der Sahara aufgrund anhaltender Austrocknung, fallender Grundwasserspiegel und vorrückender Dünen ihrer baldigen Verlandung entgegensehen, werden sie bei weiter anhaltendem Grundwasserzustrom noch zumindest einige Jahrhunderte überdauern.

Abbildung 7: Stille Größe: Der 5,5 Quadratkilometer umspannende, salzhaltige Lac Tel von Ounianga Serir. Einst befanden sich die Inseln mindestens 50 Meter unter Wasser.

Abbildung 7: Stille Größe: Der 5,5 Quadratkilometer umspannende, salzhaltige Lac Tel von Ounianga Serir. Einst befanden sich die Inseln mindestens 50 Meter unter Wasser.


Während der letzten Jahrtausende haben die stetig wehenden Nordostpassate lange Sandzungen in das Becken getrieben. Diese haben den einst zusammenhängenden Süßwassersee in 15 kleinere Seen geteilt, die eine Gesamtfläche von etwa 20 Quadratkilometern aufweisen. Bis auf den zentralen Salzsee (Teli) sind sie weitgehend, zum Teil sogar vollständig von schwimmenden Schilfmatten bedeckt, wodurch die Verdunstung deutlich reduziert wird.

Der offene Zentralsee verdunstet dagegen weitaus stärker und wirkt dadurch wie eine gigantische Verdunstungspumpe, die hier den niedrigsten Seespiegel verursacht. Als Folge dieses Niveaugefälles wird stetig frisches Süßwasser aus den höher gelegenen Seen durch die durchlässigen Dünenkörper angezogen.

Dieser Mechanismus erklärt auch die Existenz von Süßwasserseen - ein Paradox unter den klimatischen Bedingungen der Sahara, wo in der Regel aufgrund der hohen Verdunstung eine rasche Versalzung eintritt. Das macht das ökologische System von Ounianga Serir einzigartig. Vergleichbare Süßwasser-Ökosysteme sind weder aus der Sahara noch aus anderen Extremwüsten bekannt.

Infolge der starken Windabtragungen sind an der Oberfläche nur sehr wenige Überreste der Ablagerungen älterer Seestadien erhalten. Diese liegen bis zu 80 Meter über dem heutigen Seeboden. Die fein geschichteten Kieselalgenschlämme und von Schneckengehäusen durchsetzten Kalke sind aufgrund von Radiokarbondatierungen im frühen Holozän entstanden, also vor 7000-10.000 Jahren. Die einzelnen Sedimentabfolgen sollen später mit dem Klimaarchiv des Yoa-Sees von Ounianga Kebir verglichen werden.

Abbildung 8: Links: Der Autor mit einheimischen Honoratioren Abbildung 9: Rechts: Ein überladener Lkw erreicht nach einer Irrfahrt durch die Sahara das Forscherquartier.

Abbildung 8: Links: Der Autor mit einheimischen Honoratioren.
Abbildung 9: Rechts: Ein überladener Lkw erreicht nach einer Irrfahrt durch die Sahara das Forscherquartier.


Durch Präzisionsmessungen der höher gelegenen Seeablagerungen mithilfe des sogenannten differentiellen Global Positioning System (DGPS) konnten verschiedene Seestände der Vergangenheit ermittelt werden. "Virtuelle Flutungen" von digitalen Höhenmodellen auf der Basis dieser Messdaten gestatten eine präzise Rekonstruktion des während der letzten Feuchtzeit vielfach größeren Sees von Ounianga Serir. In geoarchäologischer Gemeinschaftsarbeit hilft dieses Vorgehen auch bei der Suche nach prähistorischen Siedlungsplätzen, da diese meist an den Ufern angelegt wurden - und heute in dem weitläufigen, meist sandbedeckten Gelände sonst kaum auffindbar wären.

Doch die bisher gewonnenen paläoklimatischen Daten müssen schrittweise erweitert werden. Deshalb ist geplant, die aufwendigen Bohrungen in Ounianga Kebir mit schwererem Gerät fortzusetzen, um damit die Umwelt- und Klimaentwicklung der Sahara während des gesamten Holozäns und womöglich sogar des Spätpleistozäns, also während der vergangenen 130.000 Jahre, zu erschließen und besser zu verstehen.


Dr. Stefan Kröpelin war Leiter der geoarchäologischen Teilprojekte "Sudan" und "Tschad" im Sonderforschungsbereich 389 "Kultur- und Landschaftswandel im ariden Afrika" (ACACIA).

Adresse:
Forschungsstelle Afrika,
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität zu Köln,
Jennerstr. 8, 50823 Köln

Der SFB 389 wurde von 1995 bis 2007 von der DFG gefördert.

→ www.uni-koeln.de/sfb389


alle Fotos bis auf Abbildung 1 © Dr. Stefan Kröpelin


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Quelle:
forschung 3/2008 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft,
S. 4-9
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2009